Darabeygi, Lena, Die Causa „Blinkfüer“ und die Grundrechtsdogmatik zur Pressefreiheit in Weimar und Bonn (= Rechtshistorische Reihe 466). Lang, Frankfurt am Main 2016. 231 S.

 

Der „Blinkfüer“-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts in der Verfassungsbeschwerde des Kommunisten Ernst Aust gegen den Boykott des Verlags Springer wegen der Veröffentlichung ostdeutscher Programmvorschauen hat dogmatische und historische Bedeutung für die Entwicklung der Meinungsfreiheit und Pressefreiheit. Die Studie, eine Frankfurter Dissertation, untersucht die demokratie-theoretische Bedeutung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von 1969 und der darauf basierenden weiteren Entwicklung. Diese äußerst bemerkenswerte Arbeit stellt nicht nur einen Rückblick dar auf die Wissenschaftsgeschichte der Grundrechte, sondern fragt nach den grundsätzlichen Linien des Bundesverfassungsgerichts seit dem Lüth-Urteil (1958) und nach der Fundierung auf der Lehre Rudolf Smends. Damit verbunden ist eine interessante Historisierung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die Arbeit liegt daher auf der Linie eines erst in neuerer Zeit entwickelten Forschungsfeldes als Teilstück der juristischen Zeitgeschichte. Die Grundlage bieten auch neue, archivalische Quellen. Das macht die Lektüre besonders interessant, weil über die bisherige dogmatische Bearbeitung der Thematik hier weit hinausgegangen wird: als Gesellschafts-. Wissenschafts- und staatsrechtlicher Interpretationsgeschichte.

 

Nach der Darstellung des Boykottfalles im Einzelnen und der Konsequenzen des Boykottaufrufs von Springer richtet sich der Blick auf die Zivilprozesse zu Beginn der 1960er Jahre. Die zivilrechtliche Auseinandersetzung verlief parallel zu Debatten um Pressekonzentration. Das Oberlandesgericht Hamburg griff diese gesellschaftliche Debatte in seinem Urteil auf (1962). Nachdem die Springer-Verlage auch in der zweiten Instanz gescheitert waren, konnten sie bei dem Bundesgerichtshof durchdringen. Das BGH-Urteil wurde hart kritisiert. Parallel zu den zivilrechtlichen Verfahren liefen Strafverfahren gegen Aust. Die rechtshistorische Bedeutung dieser Fälle für die Entwicklung der „politischen Justiz“ der 60er Jahre liegt auf der Hand. Auch hier zeigt die Studie den zeitgeschichtlichen Kontext eindringlich und differenziert auf. Das dann angerufene Bundesverfassungsgericht untersuchte die Frage, ob ein Boykott in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit falle, und ob sich der Beschwerdeführer, der Blinkfüer-Verleger, auf das Grundrecht der Pressefreiheit stützen könne. Entscheidend war dann, dass die Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung unzulässig war.

 

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird im Übrigen im Gesamtzusammenhang der Debatte um die Wiederzulassung der Kommunistischen Partei Deutschlands gesehen. Die politischen Dimensionen dieses Rechtsfalles reichten damals bis in den Bundestag.

 

Wissenschaftsgeschichtlich, aber auch für die rechtshistorisch interessante Entwicklung der Judikatur des höchsten deutschen Gerichts ist die Analyse des Schulenstreits zur Meinungsfreiheit und Pressefreiheit vor und nach dem Erlass des Grundgesetzes. Die Smend-Schule und die Carl Schmitt-Schule mit ihren gegensätzlichen Grundauffassungen wirkten sich auf die Grundrechtstheorie und, wie in diesem Rechtsfall deutlich wird, auf die Interpretation von Artikel 5 GG aus. In diesem Schulenstreit treten die bedeutendsten Staatsrechtler auf. Die Differenzen wurden schon auf der Staatsrechtslehrer-Tagung von 1963 ausgetragen. Dass im Übrigen die personelle Zusammensetzung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine deutliche Nähe zur Smend-Schule aufwies, wird nicht nur durch die Entscheidung selbst, sondern auch durch die Lebensläufe der beteiligten Richter, ihre Generationszugehörigkeit und ihr wissenschaftliches Verständnis eindrücklich belegt. Unter ihnen konnte allenfalls Wolfgang Zeidler eher der Schmitt-Schule zugerechnet werden. Unabhängig davon lässt sich festhalten, dass der Schulenstreit in Staatsrechtslehre und Rechtsprechung mit der Theorie der „objektiven Wertordnung“ sich weitgehend als obsolet erwiesen hatte. Auf die genaue Analyse der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts muss an dieser Stelle verzichtet werden. Die Unterschiede der staatsrechtlichen Auffassungen setzen sich allerdings u. a. in der Zeitschrift „Der Staat“ fort. Die Debatte um die objektive Wertordnung entwickelte sich auch zu einem Streit über die Grenzen des Rechts. Carl Schmitt und Forsthoff nahe stehende Staatsrechtler wie Hans H. Klein kritisierten das Bundesverfassungsgericht. In diese Debatte griff auch ein früherer Assistent Carl Schmitts, Günther Krauss, mit scharfer Polemik ein.

 

Die Wirkungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in der Folgezeit bilden den Abschluss der Arbeit. „Die Lehren der Smend-Schule boten dem Gericht ein geeignetes Instrumentarium zur Lösung aktueller Verfassungsprobleme wie etwa für den Umgang mit dem Kommunismus oder mit der Pressekonzentration …“ (S. 196). Damit wurde ein „pluralistisches Pressefreiheitsverständnis“ begründet zur Stärkung des demokratischen Meinungsbildungsprozesses. Die Analyse des Falles zeigt auch die methodischen Grundsätze richterlicher Anwendung auf das Privatrecht. Neben der dogmatisch sehr aufschlussreichen Untersuchung beeindruckt ihre Einbettung in den zeithistorischen Kontext, aber auch durch die Rückbesinnung auf die Staatsrechtlehren der 1920er Jahre mit ihren Lagerbildungen in der Weimarer Republik und ihrer positivistischen staatsrechtlichen Interpretationsmethode. Sie bietet damit ein elegante und durch ausgezeichnete Materialbeherrschung herausragendes Beispiel für eine interdisziplinäre Urteils- und Rechtsgeschichte.

 

Man wird auf diesem Hintergrund auch den erst vor einigen Jahren edierten Briefwechsel zwischen Carl Schmitt und Rudolf Smend unter neuen Perspektiven lesen. (Reinhard Mehring (Hrsg.): „Auf der gefahrenvollen Straße des öffentlichen Rechts“. Briefwechsel Carl Schmitt – Rudolf Smend 1921-1961, Berlin 2010).

 

Freiburg im Breisgau/Düsseldorf                                           Albrecht Götz von Olenhusen