Wunder, Dieter, Der Adel im Hessen des 18. Jahrhunderts – Herrenstand und Fürstendienst. Grundlagen einer Sozialgeschichte des Adels in Hessen (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 84). Historische Kommission für Hessen, Marburg 2016. XIV, 844 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Die Geschichte des Adels beginnt wohl mit seiner überlegenen Kraft, der mit dem Aufkommen der Geldwirtschaft und dem Sieg der Aufklärung mehr und mehr die Grundlage entzogen wird. Dies zeichnet sich spätestens im Laufe des 18. Jahrhunderts deutlich ab, an dessen Ende die Revolution in Frankreich das Bekenntnis zur Gleichheit durchsetzt. Seitdem hat der Adel seine besonderen Rechte verloren und lebt neben den verbliebenen materiellen Gütern am ehesten von der Erinnerung an eine glanzvolle Vergangenheit.
Mit einem ihrer Teilaspekte beschäftigt sich die vorliegende gewichtige Untersuchung des in Düsseldorf 1936 geborenen, nach der Promotion über den Nebensatz bei Otfrid und langem Wirken in Schule und Gewerkschaft nach dem kurzen Vorwort erst im Alter (2003) zum historischen Forschen gekommenen Verfassers, den dafür seine Frau Heide Wunder mit ihren Erfahrungen aus Forschung und Lehre sowie ihren umfassenden Kenntnissen in vielfältiger Weise unterstützte. Den Anstoß gab Joseph Matzerath auf der Tagung über den Adel in Hessen in dem ritterschaftlichen Stift Kaufungen im Jahre 2008. Binnen acht Jahren ist daraus eine große Monographie entstanden, die mit Hilfe der historischen Kommission, des Landes Hessen, der Kulturstiftung des Hauses Hessen und des Stiftes Kaufungen in beeindruckender Form veröffentlicht werden konnte.
Gegliedert ist das Werk nach einer Einleitung über Ziele und Fragestellungen, Erklärung der Begriffe Adel, Ritterschaft, neuhessischer Adel, althessischer Adel, Reich, Geschlecht und Familie sowie den historischen Rahmen, den Forschungsstand, die Quellen und die Arbeitsweise in sechs Teile. Sie betreffen den Adel als Stand, zu dem um 1730 mehr als 250 Familienoberhäupter (Hessen-Kassel 168, Hessen-Darmstadt 98) gezählt werden können, die Lebensgrundlagen I (Rittergut, lokale Herrenstellung, Gutsherr) und II (Fürstendiener), die hessische Ritterschaft, Landgrafen und Ritterschaft I und II. Als besonders wichtige Erkenntnisse kann der Verfasser dabei festhalten, dass die althessische Ritterschaft fast nur die alten Geschlechter des 16. Jahrhunderts zuließ, so dass den ausgeschlossenen Adligen und den Neuadeligen wichtige Vorrechte fehlten, und dass das Stift der althessischen Ritterschaft Kaufungen seit 1735 bis zur Gegenwart arme Töchter und Witwen der Ritterschaft unterstützt.
Am Ende nennt der Verfasser die aus seiner Sicht verbleibenden Desiderata der Adelsforschung in Hessen, die ihm während seiner Studien bewusst geworden sind. In den Addenda bietet er insgesamt 40 Anhänge. Zahlreiche Tabellen und Abbildungen veranschaulichen die weiterführenden Angaben, Verzeichnisse der zahlreiche Archivalien einschließenden Quellen und der zitierten Literatur mit vorangestellten Vornamen weisen die wissenschaftliche Grundlage nach und Register der Personen und Orte schließen den Inhalt benutzerfreundlich auf, so dass der Verfasser insgesamt eine optimale Grundlage für weitere Einzelforschungen zum neuzeitlichen Adel in Hessen und darüber hinaus bietet.
Innsbruck Gerhard Köbler