Wahlkapitulationen in Europa, hg. v. Duchhardt, Heinz (= Schriftenreihe der historischen Kommission bei der bayerischen Akademie der Wissenschaften 95). V&R, Göttingen 2016. 172 S., 3 Abb. Besprochen von Gerhard Köbler.
Das Wesen des Menschen ist in vielerlei Hinsicht ambivalent und vor allem einerseits möglichst individuell und andererseits notwendigerweise sozial. Daraus ist letztlich der Staat entstanden, in dem die Verwirklichung des einzelnen Seins vielseitig beschränkt ist. Im Laufe der Entwicklung hat sich dabei die Wahlkapitulation ergeben, durch die der von Wählern bestimmte Inhaber von Macht seine ihm übertragene St3ellung zu Gunsten der Rechtes seiner Wähler mit vorweg abgesprochenen Grenzen versieht.
Der sich mit ihr unter einem europäischen Aspekt befassende, durch ein Personenregister von Alberigo bis Żółkiewski abgerundete und durch eine Abbildung des menschenleeren „churfürstlichen Wahl- und Conferenz-Zimmers“ von 1756 veranschaulichte schlanke Sammelband geht nach dem kurzen Vorwort des Herausgebers in seinem Kern auf einen eintägigen Workshop in dem Historischen Kolleg in München zurück, mit dem – zugleich symbolisch wie öffentlichkeitswirksam – der Abschluss des von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften getragenen Editionsprojekt der deutschen Wahlkapitulationen des Heiligen römischen Reiches gewürdigt werden sollte. Er enthält nach einer sachkundigen Einleitung des Herausgebers acht einzelne Studien. Sie beginnen mit den vor einer geplanten Edition stehenden päpstlichen Wahlkapitulationen (zwischen 1352 und 1730) und enden mit den bischöflichen Wahlkapitulationen in der Reichskirche.
In diesem interessanten, aussagekräftigen Rahmen werden Venedig, Polen im 16. und 17. Jahrhundert, das russländische Reich der frühen Neuzeit und Dänemark im Jahre 1648 erfasst. Danach behandelt Wolfgang Burgdorf die von ihm edierten Wahlkapitulationen der deutschen Könige und Kaiser, die der Herausgeber um die flankierenden Kollegialschreiben der Kurfürsten ergänzt. Insgesamt zeigen die vielfältig weiterführenden Untersuchungen, dass Wahlkapitulationen seit dem Spätmittelalter eine wichtige Quelle für Gemeinwesen sind, in denen der Inhaber durch Wahlen oder wahlähnliche Vorgänge bestimmt wird, wobei es auch ohne schriftliche Fixierungen naheliegend war und ist, Gespräche über die gegebene Lage und die Eignung sowie Zielsetzungen möglicher Kandidaten vor einer Wahl zu führen, selbst wenn förmliche Kapitulationen bewusst ausgeschlossen werden.
Innsbruck Gerhard Köbler