Vormbaum, Moritz, Das Strafrecht der Deutschen Demokratischen Republik (= Jus Poenale 6). Mohr Siebeck, Tübingen 2015. XIX, 738 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Karl Marx hat nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass das Recht von den Kapitalisten zur Verteidigung ihres Kapitals gegen die rechtlosen Proletarier geschaffen wurde. Deswegen lag es für ihn und seine sozialistischen Anhänger nahe, das Recht zurückzudrängen und nach Möglichkeit ganz entbehrlich werden zu lassen. Dies wurde während des 20. Jahrhunderts an unterschiedlichen Stellen der Welt tatsächlich versucht, weshalb für die Geschichte das Ergebnis dieser Versuche große Aufmerksamkeit verdient.

 

Die vorliegende Habilitationsschrift des 1979 geborenen, in Münster ausgebildeten, 2005 promovierten, seit 2008 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an dem Lehrstuhl Gerhard Werles an der Humboldt-Universität zu Berlin tätigen, in dem Wintersemester 2014/2015 habilitierten Verfassers beschäftigt sich an dem Beispiel der von 1949 bis 1990 bestehenden Deutschen Demokratischen Republik exemplarisch mit diesem wichtigen Gegenstand. Sie gliedert sich nach einer Einführung über Themenstellung, Forschungsstand, Methodologie, Quellen und Gang der Untersuchung in acht grundsätzlich chronologisch gereihte Kapitel. Sie betreffen die sowjetische Besatzungszone, den Weg von der Staatsgründung zum „Neuen Kurs“, vom „Neuen Kurs“ zum „Rechtspflegeerlass“ mit dem Strafgesetzbuch von 1968, mit den Reformen des Strafgesetzbuchs, mit der Zeit nach dem Mauerfall und mit der extrajustiziellen Kriminalitätsbekämpfung.

 

Zusammenfassend unterscheidet der Verfasser personell zwischen einer Ulbrichtphase (Prolog 1945 bis 1949, unvollendete Entwicklung 1949 bis 1953, Stagnation und Schwankungen 1953 bis 1957, Konsolidierung 1957 bis 1963, Abschluss der Entwicklung 1963 bis 1968) und einer Honeckerphase (Übergang 1968 bis 1974, unvollendete Verschärfung 1974 bis 1985, unvollständiger Abbau 1985 bis 1989) des Strafrechts der früheren Deutschen Demokratischen Republik mit einer Zäsur in dem Jahre 1968, wobei eine abgeschlossene Entwicklungslinie nur für die Verabschiedung des Strafgesetzbuchs 1968 festzustellen ist und nahezu abgeschlossene Entwicklungslinien 1953 wegen des Todes Josef Stalins und um 1985 wegen des wirtschaftlichen Abschwungs und der wachsenden Abhängigkeit von dem Westen letztlich nicht vervollständigt wurden. Hinsichtlich der Kontinuität stellt er fest, dass die Bereinigung des Strafrechts von faschistischen Elementen der nationalsozialistischen Herrschaft weniger stark erfolgte, als es der in der früheren Deutschen Demokratischen Republik behauptete Antagonismus vermuten lässt, weil sich wegen utilitaristischer Zielvorstellungen Ähnlichkeiten  besonders bei der Bekämpfung und Kontrolle von Kritikern der Politik des Regimes und sonstigen unangepasseten Menschen ergeben. In einem Vergleich mit der Bundesrepublik Deutschland bestehen Parallelen insoweit, als eine Expansion des Strafrechts zu Lasten von Rechtsprinzipien zum Schutze des Bürgers auszumachen ist.

 

Insgesamt kann der Verfasser nach ausführlicher und gründlicher eigenständiger Betrachtung das Strafrecht der früheren, trotz der sozialistischen Ausgangsvorstellung auf Nutzung von Recht letztlich nicht verzichtenden Deutschen Demokratischen Republik in verschiedene Ebenen untergliedern, bei denen ein allmählicher Anstieg repressiver Merkmale feststellbar ist. Demgegenüber lehnt er eine Unterscheidung in einen akzeptablen Bereich und in einen inakzeptablen Bereich ab. Dementsprechend geht er in seiner Grundlegenden Untersuchung von einem durchgehend ideologisierten System aus, in dem sich allerdings verschiedene Abstufungen autoritärer Einflüsse unterscheiden lassen.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler