Schumann, Antje, Verhör, Vernehmung, Befragung. Zu Geschichte und Dogmatik des Rechtsbegriffs der Vernehmung im Strafprozess und seiner Auflösung im 20. Jahrhundert (= Jus Poenale 8). Mohr Siebeck, Tübingen 2016. XIII, 265 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Bei wohl keinem irdischen Geschehen sind alle Umstände allgemein bekannt, so dass in vielen Fällen der Mensch an nachträglicher Aufhellung interessiert ist. Das gilt vor allem auch für alle Verhaltensweisen, die er im Laufe seiner Geschichte mit Strafe bedroht und damit allgemein zu Straftatbeständen bestimmt hat. Hier ist grundsätzlich die Ermittlung von Wahrheit durch Unterredung zwischen Ermittlern und möglichen Beteiligten oder auch nur Wissenden weiterführend.

 

Mit dem in deren Mittelpunkt stehenden Rechtsbegriff der Vernehmung im Strafprozess beschäftigt sich die vorliegende interessante Habilitationsschrift der 1972 geborenen, in Rechtswissenschaft und Psychologie in Halle-Wittenberg und Vigo ausgebildeten, an der Universität Erlangen-Nürnberg 2005 mit einer Dissertation „Zum Standort des Rücktritts vom Versuch im Verbrechensaufbau - eine Untersuchung anhand der Dogmatik zum System von Versuch und Rücktritt seit dem 19. Jahrhundert“ promovierten und 2014 in Leipzig unter Betreuung durch Heribert Schumann habilitierten Verfasserin. Sie gliedert sich nach einer Einführung in vier Abschnitte. Sie betreffen den aktuellen Befund des Begriffs der Vernehmung, zwecks historischer Grundlegung  (peinliche) Befragung, Verhör und Vernehmung als Formen der Befragung in dem Strafverfahren von der Constitutio Criminalis Carolina von 1532 bis zu der Reichstrafprozessordnung von 1877 und den Wandlungen und Verschiebungen  bis 1933/1934, den Rechtsbegriff der Vernehmung und dessen Konsequenzen.

 

Im Rahmen ihrer eindringlichen, umfangreich Literatur und psychologische Erfahrung einbindenden Untersuchung bestimmt sie ansprechend die richterliche Vernehmung als offene Befragung mit erkennbarem Ermittlungscharakter, die sie als einzige im Strafverfahren zulässige Form der Befragung einstuft. Keine Vernehmung sind die verdeckte Befragung und die informatorische Befragung im Vorfeld eines tatbezogenen Anfangsverdachts im Gegensatz zu der informatorischen Befragung, die – bei Vorliegen eines tatbezogenen Anfangsverdachts – klären soll, wer als Beschuldigter in Betracht kommt, und zu dem informatorischen Vorgespräch. Damit wird mit rechtsstaatlicher Zielsetzung die staatliche Wahrnehmung von Macht bei der Aufklärung von Straftaten begrenzt und die Wahrung der Rechte der Betroffenen gestärkt.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler