Petersmann, Astrid, Die Kelten. Eine Einführung in die Keltologie aus archäologisch-historischer, sprachkundlicher und religionsgeschichtlicher Sicht. Winter, Heidelberg 2016. 235 S., 7 Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Im Jahr 1999 trat der Heidelberger Gräzist Albrecht Dihle an seinen 1940 in Klagenfurt geborenen Professorenkollegen Hubert Petersmann, seit 1981 Inhaber der Lehrkanzel für lateinische und griechische Sprachwissenschaft an der Universität Heidelberg, mit der Bitte heran, er möge für das „Reallexikon für Antike und Christentum“ (RAC) einen Beitrag zum Thema „Die Kelten und das Christentum“ beisteuern. Noch bevor Hubert Petersmann sich an die Arbeit machen konnte, verstarb er 2001 völlig unerwartet, sodass seine Ehegattin Astrid Petersmann, ebenfalls in Klassischer Philologie promoviert, dieses Projekt übernahm und auch inhaltlich so erweiterte, dass es schließlich für eine Veröffentlichung im RAC nicht mehr in Frage kam. Stattdessen liegt ihr Text nun als selbständige Publikation mit dem Untertitel einer „Einführung in die Keltologie“ vor.

 

Es ist auffallend, dass sich gerade Sprachwissenschaftler gerne der Kelten annehmen, ist denn auch der Wiener Helmut Birkhan, einer der profiliertesten deutschsprachigen Kenner der keltischen Kultur, gelernter Altgermanist. Denn „die Kelten“ – was unter diesen Begriff genau zu subsumieren sei, ist je nach Ansatz umstritten – haben uns mit keiner eigenen reichen literarischen Hinterlassenschaft gesegnet; was wir über sie zu wissen meinen, erschließen wir - neben der Interpretation und der Zuordnung archäologischer Evidenzen - aus den Äußerungen von Autoren der griechisch-römischen Antike von Herodot bis Caesar und Livius sowie aus der sprachwissenschaftlichen Analyse rezenter und ausgestorbener keltischer Sprachen (das der Kentum-Gruppe der indogermanischen Sprachen zuzurechnende Keltische erscheint in Form des älteren „q-Keltisch“ und des jüngeren „p-Keltisch“; territorial wird zwischen dem bereits in der Antike ausgestorbenen Festlandkeltischen mit Lepontisch, Keltiberisch, Lusitanisch, Gallisch und Galatisch sowie dem Inselkeltischen unterschieden, welches sich wiederum in das Gälische oder Goidelische mit Irisch, Schottisch und Manx sowie das Britannische mit Walisisch bzw. Kymrisch, Cornisch und dem von keltischen Auswanderern aus Südwestengland in der französischen Bretagne etablierten Bretonisch untergliedert). Wie somit zu erwarten steht, legt die Verfasserin ihr Schwergewicht auf literaturkritische, linguistische und etymologische Annäherungen an ihren Gegenstand auf der Grundlage des aktuellen archäologischen Status. Ihre Darstellung richtet sich zwar ausdrücklich an ein „interessiertes Fachpublikum“ (S. 17), vermittelt aber auch gebildeten Laien ein durchgehend verständliches Bild vom zeitgenössischen Stand der Keltenforschung, indem beispielsweise Zitate in Griechisch oder Latein stets auch in ihrer deutschen Übersetzung abgedruckt sind.

 

Nach kurzen Vorbemerkungen zu Name, Herkunft und Verbreitungsgebiet berichtet der Band über die archäologisch fassbare materielle Kultur der Kelten, zunächst der Hallstattzeit (780 – 500 v. Chr.), beginnend mit der Iberischen Halbinsel und Südwestfrankreich, weil dort „Kelten und Griechen zum ersten Mal aufeinander getroffen sind und gegenseitig in ihrer Eigenart wahrgenommen wurden“ (S. 17), danach gefolgt von den Zentren des westlichen (Südwestdeutschland), des östlichen und südöstlichen (Ostösterreich, Westungarn, Slawonien) und schließlich des späten nordwestalpinen Hallstattkreises. In der nachfolgenden Latènezeit (480 – 40/0 v. Chr.) finden sich in der Frühphase zunächst noch Prunkgräber, doch vollzog sich bereits seit der Mitte des fünften vorchristlichen Jahrhunderts, ausgelöst vermutlich durch „kriegerische Auseinandersetzungen infolge von größeren Wanderungsbewegungen“, ein „Umbruch in der keltischen Welt: Das kulturelle Zentrum verschob sich von Mitteleuropa nach Westen“ (S. 47). Die Spätphase ab etwa 200 v. Chr. ist gekennzeichnet von der stadtähnlichen Siedlungsform des Oppidum und der Anlage sogenannter, wahrscheinlich kultisch genützter Viereckschanzen. Mit der Eingliederung der Kelten in das Römische Reich während der Gallo-römischen Periode (51 v. Chr. – 400 n. Chr.) gerieten auch die Kelten Britanniens für Jahrhunderte in das Blickfeld der römischen Politik, bis die Provinz Britannia 410 n. Chr. schließlich aufgegeben wurde. Gegenstand eines zweiten, nun weitgehend von sprachlichen Gesichtspunkten inspirierten und dominierten Großabschnitts ist die geistige Kultur der Kelten. Er dokumentiert die keltischen Sprachen und ihre epigraphisch und numismatisch überlieferten Schriftdokumente, beschäftigt sich mit der auf Verwandtschaftsverbänden beruhenden altkeltischen Gesellschaftsordnung sowie mit der keltischen Religion (Opferbräuche und Menschenopfer, Jenseitsglaube, Druidentum, Götterwelt). Dem ursprünglichen Primärthema des Stellenwertes der Kelten im Rahmen der Entwicklung des Christentums widmet der Band abschließende 14 Druckseiten, die unter anderem die Christianisierung der Kelten auf dem Kontinent und auf den Britischen Inseln, die iroschottische Mission mit ihrer Klostergründungswelle und mögliche Zusammenhänge des christlichen Allerheiligenfestes mit dem altkeltischen Samuin-Fest erörtern.

 

Für Rechtshistoriker mögen allerdings die verstreuten Hinweise von größerem Interesse sein, die sich aus der Betrachtung der geistigen Kultur der Kelten im Hinblick auf die Gestaltung des Rechtslebens in den keltischen Gemeinschaften ergeben, in dem den privilegierten Druiden offenbar eine herausragende Rolle zukam. So berichtet Strabon, diese Opferpriester würden „als die Gerechtesten (gelten), und deshalb werden ihnen die Entscheidungen in privaten wie öffentlichen Streitfällen anvertraut, sodass sie früher sogar Kriege entschieden und Heere, die sich eine Schlacht liefern wollten, davon abgehalten haben. Besonders in Mordfällen wurde ihnen das Urteil anvertraut“ (S. 158). Ähnlich und noch ausführlicher ist bei Caesar zu lesen: „Denn in fast allen öffentlichen und privaten Streitfällen entscheiden sie und, wenn irgendein Verbrechen begangen oder wenn ein Mord verübt wurde, wenn eine Erbschafts- oder Grenzstreitigkeit vorliegt, treffen sie ein Urteil und legen Belohnungen und Bestrafungen fest. Wenn aber ein Privater oder ein Stamm ihrem Urteil nicht Folge leistete, untersagen sie ihm die Teilnahme an allen Opfern. Diese Strafe gilt bei ihnen als die schwerste. […] Die Druiden versammeln sich zu einer bestimmten Zeit des Jahres im Gebiet der Carnuten, das für die Mitte ganz Galliens gehalten wird, an einem geweihten Ort. Dorthin kommen von überall her alle zusammen, die Streitigkeiten haben, und gehorchen ihren Beschlüssen und Urteilen. […] Die Druiden nehmen gewöhnlich nicht am Krieg teil und zahlen auch keine Abgaben […]. Vom Kriegsdienst und allen anderen Leistungen sind sie freigestellt“ (S. 162). Delinquenten sollen, schenkt man Caesar Glauben, bei Menschenopfern bevorzugt ausgewählt worden sein, denn die Kelten hätten gemeint, „dass Menschen, die man bei Diebstahl, Raub oder sonst einem Vergehen ergriffen hat, den unsterblichen Göttern als Opfer in höherem Maße willkommen sind. Fehlt es aber an solchen Leuten, gehen sie sogar soweit, Unschuldige zu opfern“ (S. 150). Zu antiken Berichten über besonders grausame Menschenopfer bei den Kelten wie auch bei anderen Völkern weist die Verfasserin zu Recht darauf hin, dass hier Skepsis angebracht sei, ginge es den Autoren doch mitunter primär darum, diese „in ihrer Barbarei der humanitas der zivilisierten römischen Welt gegenüberzustellen“ (S. 154). Auch sogenannte Fluchinschriften nehmen Bezug auf gerichtliche Vorgänge: Eine Interpretation des Textes auf dem Bleitäfelchen von Chamelières „(versetzt) uns in die Atmosphäre des Gerichtssaals. In diesem Fall würde sich der Autor dieser Fluchinschrift für ein aufgrund einer falschen Anklage und falscher Zeugenaussagen erlittenes oder zu erleidendes Unrecht an seinen Gegnern rächen wollen“ (S. 119f.). Das Bleiplättchen von Larzac enthält eine Verwünschung, stammend von einer männlichen oder weiblichen Person M, welche sich „als Opfer einer Verschwörung von Frauen (wähnt), die sich der Dienste einer Hexe […] bedienten, um die Richter in einem Prozess gegen M zu beeinflussen“ (S. 123). Graffiti auf Gefäßen, meist Namensabkürzungen, zeigen die Bedeutung des Eigentums (vgl. S. 102). An anderer Stelle betont die Arbeit die Ähnlichkeit zwischen keltischer und germanischer Gesellschaftsordnung, wo sich jeweils mit der zunehmenden Akkumulation von Ressourcen die Notwendigkeit einer spezifischen Verwaltungsstruktur, der Gefolgschaft, ergab, die laut Verfasserin „eine keltisch-germanische Eigenheit dar(stellt): Der keltische Begriff für den (adeligen) Dienstmann, *ambaxtos, ‚Bote, Höriger, Dienstmann, der herumgeschickt wird, der umherläuft, Abgesandter‘, wurde als *ambahtaz ins Germanische entlehnt“ (S. 133). Im neuhochdeutschen Wort „Amt“ hat sich dieser Terminus bis heute erhalten.

 

Neben einer knappen Auswahlbibliographie bietet der Band – „da es zur keltischen Kunst schon genügend Darstellungen in Büchern gibt“ (S. 219) – nur wenige Abbildungen von insgesamt drei Artefakten, diese aber in Farbe (die bronzene „Kline von Hochdorf“, ein rollengelagertes Sitzmöbel, mit einigen Elementen im Detail, den aus Sandstein gefertigten „Krieger von Hirschlanden“, der als älteste bekannte anthropomorphe Großplastik nördlich der Alpen gilt, sowie den „Heidelberger Kopf“ aus dem gleichen Material). Den Zugang zum Text sollen ein alphabetisch gegliederter Index nominum der antiken Autoren und ein Index rerum sicherstellen. Der Nutzwert des Letztgenannten ist höchst zweifelhaft, da die einzelnen Suchbegriffe, anstatt in alphabetischer Ordnung zu erscheinen, der Paginierung folgend nach dem Zeitpunkt ihres erstmaligen Erscheinens im Text aufgenommen worden sind und somit ein systematisches Suchen nicht zulassen.

 

Kapfenberg                                                    Werner Augustinovic