Longerich, Peter, Wannseekonferenz. Der Weg zur „Endlösung“. Pantheon, München 2016. 221 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Der große Wannsee ist eine frühere Bucht (Wannensee) der Havel im Südwesten Berlins. die zusammen mit anderen Seeen den westlich von ihm gelegenen Ortsteil Wannsee inselartig umschließt. 1914 ließ in einer dort entstehenden Siedlung der einige Jahre vorher von Coburg nach Berlin gekommene schillernde Kaufmann Ernst Marlier auf einem mehr als 30000 Quadratmeter umfassenden Grundstück eine Villa mit etwa 1500 Quadratmetern Wohnfläche bauen (Villa Marlier), die er 1921 an Friedrich Minoux, Generaldirektor bei Hugo Stinnes, verkaufte, der sie seinerseits an dem Ende des Jahres 1940 nach Verhaftung wegen Betrugsverdachts abgeben musste. Erworben wurde sie unter der Adresse Am Großen Wannsee 56-58 von der durch Reinhard Heydrich (Halle 7. 3. 1904-Prag 4. 6. 1942) am 30. Juli 1939 zur Schaffung und Unterhaltung von Erholungsheimen für die Angehörigen des Sicherheitsdiensts der nationalsozialistischen Schutzstaffel gegründeten Stiftung Nordhav im „kommenden“ (oder vielleicht besser folgenden) Jahr, wobei das Haus als Gästehaus „den Leitern der auswärtigen Dienststellen  von Sicherheitspolizei u. SD sowie deren Vertretern bei Übernachtungen in Berlin zur Verfügung“ stehen sollte, tatsächlich aber auch für dienstliche Besprechungen und außerordentliche Zusammenkünfte benutzt wurde.

 

Am 29. November 1941 ließ Heydrich an 13 Adressaten (Luther, Hofmann, Hans Frank, Meyer, Leibbrandt, Stuckart, Neumann, Schlegelberger, Gutterer, Kritzinger, Klopfer, Krüger, Greifelt) eine in zwei Exemplaren erhaltene Einladung zu einer Besprechung am 9. Dezember 1941 unter Verweis auf einen Auftrag Hermann Görings vom 31. Juli 1941 versenden, „unter Beteiligung der infrage kommenden anderen Zentralinstanzen alle erforderlichen Vorbereitungen in organisatorischer, sachlicher und materieller Hinsicht für die Gesamtlösung der Judenfrage in Europa zu treffen und ihm in Bälde einen Gesamtentwurf vorzulegen“, die am 9. 12. 1941 in der Dienststelle der Internationalen Kriminalpolizeilichen Kommission (Interpol), deren Vorsitzender Heydrich seit August 1940 war, am Kleinen Wannsee Nr. 16 stattfinden sollte. Wegen der sich zuspitzenden politischen Lage im Kriege musste diese Zusammenkunft wenig später auf den 20. Januar 1942 verlegt werden, wobei als neuer Ort die Villa Marlier  bestimmt wurde.

 

Zu dieser etwa 60 bis 90 Minuten dauernden, nicht öffentlich mitgeteilten Wannseekonferenz kamen neben Heydrich Gauleiter Dr. Meyer, Reichsamtsleiter Dr. Leibbrandt, Staatssekretär Dr. Stuckart, Staatssekretär Neumann, Staatssekretär Dr. Freisler, Staatssekretär Dr. Bühler, Staatssekretär Luther, SS-Oberführer Klopfer, Ministerialdirektor Kritzinger, SS-Gruppenführer Hofmann, SS-Gruppenführer Müller, SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, SS-Oberführer Dr. Schöngarth und SS-Sturmbannführer Dr. Lange, während wenige Eingeladene verhindert waren. Adolf Eichmann erstellte ein zusammenfassendes Besprechungsprotokoll von 15 Seiten Länge in 30 Ausfertigungen, von denen nur die 16. Ausfertigung bei der Vorbereitung des so genannten Wilhelmstraßenprozesses in den Akten des Unterstaatssekretärs im Auswärtigen Amt (Martin Luther) im März 1947 durch alliierte Dokumentenfahnder entdeckt wurde, während alle anderen Ausfertigungen später vernichtet wurden oder anderweitig verloren gingen.

 

Das vorliegende Werk des 1955 geborenen, ab 1983 an dem Royal Holloway College der Universität London, ab 2000 als Professor für moderne deutsche Geschichte und Gründungsdirektor des dortigen Holocaust Research Centre sowie ab 2012 als Professor an der Universität der Bundeswehr in München tätigen, bereits durch Titel wie die Politik der Vernichtung (1998), Davon haben wir nichts gewusst (2006) und Biographien Heinrich Himmlers (2008), Joseph Goebbels (2011) und Adolf Hitlers (2015) - , der im Übrigen im Sportpalast in Berlin am 30. Januar 1942 seinen im am 16. 9. 1919 in einem Brief erstmals geäußerten Antisemitismus in den Satz fasste „Wir sind uns dabei im Klaren darüber, dass der Krieg nur damit enden kann, daß entweder die arischen Völker ausgerottet werden oder daß das Judentum aus Europa verschwindet“ - wissenschaftsliterarisch hervorgetretenen Verfassers hat unmittelbar nach seiner Ankündigung das Interesse eines sachkundigen Rezensenten erweckt. Deswegen genügt an dieser Stelle die Mitteilung der Gliederung in einen Prolog über eine Besprechung mit anschließenden Frühstück und die drei Kapitel die Vorgeschichte, die Konferenz und die „Endlösung“ als Realität sowie ein Resümee. Im Übrigen soll der detailliert und differenzierend auf die unterschiedlichen Zielsetzungen und Umsetzungen der Beteiligten eingehende Inhalt der ausführlichen Würdigung des Sachkenners vorbehalten bleiben.

 

Innsbruck                                                                                          Gerhard Köbler