Linke, Tobias, Entstehung und Fortbildung des Enquête- und Untersuchungsrechts in Deutschland - Rechtsentwicklungen aus 200 Jahren. Duncker & Humblot, Berlin 2015. 1380 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Der Mensch ist ein grundsätzlich egoistischer Wettbewerber unter geschichtlich zunehmend mehr Mitmenschen. Deswegen ist er in der Regel an einem Wissensvorsprung gegenüber anderen interessiert, der ihm Wettbewerbsvorteile verschaffen kann. Hat ein Wettbewerber einen derartigen Mehrwert, strebt seine Konkurrenz mit vielen zulässigen Mitteln nach einem Wissensausgleich.

 

Mit einem wichtigen Teilaspekt dieser allgemeinen Problematik beschäftigt sich die vorliegende, von Wolfgang Löwer betreute und im Jahre 2014 als Habilitationsschrift an der rechts-und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn angenommene Schrift des als Mitarbeiter an dem Lehrstuhl seines Betreuers vom März 1996 bis August 1998 und von Juli 2001 bis Februar 2014 tätigen Verfassers. Gegliedert ist die umfangreiche, detaillierte Arbeit in insgesamt neun Teile. Sie betreffen nach einem Prolog über die Bedeutung des modernen Enquête- und Untersuchungsrechts, den Forschungsstand und das Untersuchungsinteresse, eine provisorische „Idee“ als Wegweiser und den Untersuchungsablauf in grundsätzlich chronologischer Ordnung Frühkonstitutionalismus, Entwicklungen in der Revolution von 1848/1849 (Frankfurter Nationalversammlung, preußische Vereinbarungsversammlung, Charte Waldeck, Schleswig-Holstein, Lauenburg, Waldeck und Pyrmont, Gotha), süddeutsche Folgeentwicklungen in Württemberg und Bayern, das Enquete- und Untersuchungsrecht im konstitutionellen Preußen (1849-1873), den Norddeutschen Bund und das Kaiserreich (1867-1918), den Schritt in die Moderne (1917-1932) und die Bewahrung und Fortentwicklung (1949-2015) mit besonderer Berücksichtigung von Artikel 44 GG.

 

Im Ergebnis beginnt die informationsrechtliche Reise durch die deutsche Verfassungsgeschichte überzeugend mit dem Ende der Vorherrschaft Napoleons (Staatsgrundgesetze Sachsen-Weimar-Eisenachs 1816, Kurhessens 1831 und Hohenzollern-Sigmaringens 1833) und sieht nach einem Durchbruch von 1848/1849 das heutige Enquête- und Untersuchungsrecht des deutschen Bundestags als vorläufigen Höhepunkt einer erstaunlich folgerichtigen und kontinuierlichen Entwicklung, in der sich aber die Interessen der Regierung und der Volksvertretung in den letzten  200 Jahren  nach ihrer Struktur , Lagerung und Qualität weniger verändert haben, als zu vermuten war. Da nunmehr die allerdings Minderheit des Parlaments der Mehrheit übergeordnet oder zumindest gleichgeordnet ist, empfiehlt der Verfasser die Wiederentdeckung der Enquêtefunktion und die Repolitisierung bzw. Dejuridifizierung des Enquête- und Untersuchungsverfahrens. Unabhängig davon, ob diese Vorschläge in der Zukunft verwirklicht werden können, bietet der Verfasser eine grundlegende, sehr hilfreiche, durch Bibliographie, Personenverzeichnis und Sachverzeichnis benutzerfreundlich abgerundete verfassungsgeschichtliche Rückschau über den gewichtigen Forschungsgegenstand, an der kein weiterer Betrachter künftig vorbeigehen können wird.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler