Kischkel, Thomas, Die Spruchtätigkeit der Gießener Juristenfakultät. Grundlagen – Verlauf – Inhalt (= Studia Giessensia Neue Folge Band 3). Olms, Hildesheim 2016. XI, 591 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Die seit dem 12. Jahrhundert von Bologna aus erst europaweit und dann weltweit entstehenden juristischen (Fakultäten der) Universitäten haben über die Lehre und die Forschung hinaus lange Zeit auch Gutachten erstellt und Sprüche gefällt. Aus dieser Tätigkeit heraus sind in unterschiedlichem Umfang örtlich Gutachten erhalten geblieben. Sie waren in der jüngeren Vergangenheit oft Gegenstand wissenschaftlicher Bearbeitung, ohne dass der Bestand bisher völlig ausgeschöpft worden wäre.

 

Zu diesen Fakultäten zählt auch die Universität Gießen (s. die Literaturhinweise in http://www.koeblergerhard.de/Zielwoerterbuch6.htm Stichwort Gießen), die 1607 anlässlich einer Konversion als lutherische Universität von Professoren der älteren Universität Marburg gegründet wurde. Auf die diesbezügliche Untersuchung des Verfassers hat Werner Schubert hingewiesen, dem auch die zu erwartende inhaltliche Besprechung vorbehalten bleiben soll. Davon abgesehen darf aber auch der Herausgeber seine Freude darüber äußern, dass Heiner Lück dem Verfasser die erste Anregung zu einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den bislang nur zum Teil erschlossenen Gießener Responsabeständen gegeben und Diethelm Klippel in dem Rahmen des Gießener Graduiertenkollegs „mittelalterliche und neuzeitliche Staatlichkeit (10.-19. Jahrhundert“ die tatsächliche Auswertung der Spruchakten (gut 6300 der mehr als 15000 in dem Universitätsarchiv Gießen aufbewahrten und der rund 1600 in der 1729 posthum edierten Sammlung Johann Nicolaus Herts enthaltenen Spruchkonzepte) angeregt und den naturrechtlichen Schwerpunkt der Dissertation nahegebracht hat, wodurch die Aufhellung der Spruchtätigkeiten der juristischen Fakultäten des deutschen Sprachraums einen beachtlichen Schritt vorangekommen ist.

 

Gegliedert ist die gewichtige, vielfältige, überwiegend durchaus vergleichbare Ergebnisse (z. B. über jüdische Beteiligte, Untertanenprozesse, Verhältnis zu dem Reichskammergericht in Wetzlar, naturrechtliche Inhalte, Sprüche mit naturrechtlicher Allegierung) zeitigende Arbeit nach einer Einführung über Inhalt, Aufbau und Methode in sieben Kapitel über die Spruchtätigkeit der deutschen Juristenfakultäten bis 1607, die Geschichte der Gießener Juristenfakultät als Spruchkollegium, die Aktenversendung als prozessuales Mittel, die Funktion der Aktenversendung in Prozessrecht und Rechtspolitik, die Gießener Juristenfakultät als Spruchfakultät, die Spruchfakultät und ihre Konsulenten sowie auf den Seiten 312-397 den Inhalt der Spruchsachen, getrennt nach Zivilsachen und Strafsachen sowie Überlegungen zu Naturrecht und Rechtspraxis. In seinen Anhängen listet der verdienstvolle Verfasser erfreulicherweise die rund 100 Angehörigen der Gießener Spruchfakultät von 1605/1607 bis 1882 (von Antonii bis Kries), die personelle Zusammensetzung der Spruchfakultät von 1605 bis 1883, die geographische Herkunft der Konsulenten von Aachen bis Zweibrücken sowie die gerichtlichen Instanzenzüge in Hessen-Darmstadt auf.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler