Hofinger, Johannes, Nationalsozialismus in Salzburg. Täter, Opfer, Gegner (= Nationalsozialismus in den österreichischen Bundesländern 5 = Schriftenreihe des Archivs der Stadt Salzburg 44). StudienVerlag, Innsbruck 2016. 451 S., Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

In der vor allem auf ein jugendliches Publikum zugeschnittenen Reihe zum Nationalsozialismus in den österreichischen Bundesländern liegt nunmehr auch der Text für Salzburg vor. Die Bände über Oberösterreich sowie die Steiermark konnten im Jahrgang 2015 der ZIER näher vorgestellt werden, darüber hinaus sind bereits Darstellungen zu Tirol und Südtirol, dem Burgenland, Vorarlberg sowie Kärnten erschienen. Der am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck habilitierte Horst Schreiber zeichnet als Herausgeber der Reihe verantwortlich, ein wissenschaftlicher Beirat wacht im Auftrag des seit 2009 bestehenden, vom österreichischen Bundesministerium für Bildung und Frauen (BMBF) getragenen Vereins _erinnern.at_ über die Qualität der Publikationen. Ihre Verfasser agieren einzeln oder im Zweierteam, sind mehrheitlich im Bildungssektor tätig und häufig zugleich auch die Leiter des Netzwerkes _erinnern.at_ im jeweiligen Bundesland. Des Salzburger Bandes hat sich der vornehmlich mit Oral History Projekten befasste Salzburger Historiker Johannes Hofinger in alleiniger Verantwortung angenommen.

 

Was das politische Vorgehen, die Institutionen, Proponenten, Mitläufer und Gegner des Nationalsozialismus angeht, unterschied sich die allgemeine Situation in Salzburg wenig überraschend kaum von der in den anderen österreichischen Bundesländern. Spezifika, welche die Ausgangslage in Salzburg besonders kennzeichnen, mögen am ehesten in der jahrhundertelangen Tradition als geistliches Fürstentum (bis 1803) unter der Regierung eines Fürsterzbischofs und in der unmittelbaren Grenzlage zu Bayern (so ist die Rede von „Salzburg als Vorzimmer des Berghofs“; S. 71) zu sehen sein. Dazu ist die starke Position der Stadt Salzburg in exekutiver Hinsicht hervorzuheben, die nicht nur den Dienstsitz des Höheren SS- und Polizeiführers Alpenland beherbergte, sondern mit dem Generalkommando des Wehrkreises XVIII auch jene militärische Führungseinheit, die im „Gebiet von Vorarlberg und Tirol über Salzburg, Kärnten und Steiermark bis an die ungarische Grenze“ die militärischen Maßnahmen koordinierte (S. 99). Nicht zutreffend ist hingegen wohl die Feststellung – man denke vergleichend an Groß-Wien –, dass Salzburg der „kleinste Gau des ‚Dritten Reichs‘“ (S. 124) gewesen sein soll.

 

Die insgesamt 15 inhaltlichen Abschnitte umfassen einen Zeitrahmen vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zur Gegenwart. Die ersten beiden Kapitel sind der Ersten Republik und dem sogenannten Anschluss gewidmet, drei weitere der Vorkriegszeit, dem Zweiten Weltkrieg und der Lage an der „Heimatfront“. In den folgenden Teilen behandelt die Arbeit die klassischen Themen zur nationalsozialistischen Herrschaft: Jugend und Schule (geschuldet vermutlich der primären Zielgruppe des Bandes), den Umgang mit den christlichen Kirchen, die Überwachung und Verfolgung der Bevölkerung, Juden, Roma und Sinti, „Euthanasie“, Zwangsarbeit und schließlich den Widerstand. Den Abschluss bilden zwei Blöcke zum Kriegsende in Salzburg sowie zur Nachkriegszeit. Jedes Kapitel erfährt seine Binnendifferenzierung durch mit „W-Fragen“ überschriebene, großzügig illustrierte Informationseinheiten (z. B.: Wie läuft die Volksabstimmung in Salzburg ab?) und wird durch (im Durchschnitt zwei bis drei) als „Menschengeschichten“ bezeichnete biographische Skizzen beteiligter oder betroffener Zeitgenossen beschlossen.

 

Gemäß dem nationalsozialistischen Führerprinzip war die politische Macht im jeweiligen Reichsgau beim „Gauleiter und Reichsstatthalter“ konzentriert. Seit Januar 1937 ist der Diplomingenieur Anton Wintersteiger (illegaler) Gauleiter der NSDAP im Bundesland Salzburg, wird aber nach dem vollzogenen Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich schon im Mai 1938 vom Kärntner Juristen Friedrich Rainer in seinem Amt beerbt. Unter anderem, so mutmaßt der Verfasser, mag gegen Wintersteiger gesprochen haben, „dass er Techniker und damit juristisch nicht ausreichend geschult“ gewesen sei (S. 63). Rainer wechselt im November 1941 als Gauleiter in seine Heimat Kärnten, die Funktion des Salzburger Gauleiters übernimmt bis zum Kriegsende der reichsdeutsche Mediziner und Höhere SS- und Polizeiführer des SS-Oberabschnitts Alpenland, Gustav Adolf Scheel. Während Wintersteiger und Scheel das Ende der NS-Herrschaft relativ glimpflich überstehen und ab den 1950er-Jahren ein bürgerliches Leben führen können, wird Rainer an Jugoslawien ausgeliefert und hingerichtet. Alle drei Genannten porträtiert der Band näher: „Anton Wintersteiger: Ein ‚alter Kämpfer‘ muss in die zweite Reihe“ (S. 62ff.), „Friedrich Rainer: Ein Netzwerker wird Salzburger Gauleiter“ (S. 86ff.) sowie „Gustav Adolf Scheel: Landesvater, Retter von Salzburg oder Verbrecher?“ (S. 138ff.). Mit Franz Hofer (Tirol und Vorarlberg) und Sigfried Uiberreither (Steiermark) bekleiden zwei gebürtige Salzburger jeweils ein auswärtiges Gauleiteramt. Weitere waren an anderer Stelle in die Verbrechen des Regimes verstrickt, so zuvorderst Hermann Julius Höfle, der als Odilo Globocniks Referent für Judenangelegenheiten in Lublin „bis zum Ende der ‚Aktion Reinhardt‘ […] für die Ermordung von über zwei Millionen Menschen […] mitverantwortlich“ ist und sich 1962 seinem Prozess durch Suizid in seiner Zelle im Wiener Straflandesgericht entzieht (S. 246f.); der (zwar in Tomaschow/Russland geborene, aber in Salzburg nationalsozialistisch sozialisierte) Karl Dumböck, der als Kommandeur der Gärtnerei des Konzentrationslagers Buchenwald ein „Sadist und Mörder“ gewesen sei, „eigenhändig mindestens 40 politische Häftlinge umgebracht und besonders seine österreichischen Landsleute im Lager mit Zähigkeit verfolgt hat“ (S. 216); Josef Janisch, der in Auschwitz-Birkenau „als Bauleiter […] die technischen Voraussetzungen für die ‚Sonderbehandlung’ [… ,] die fabrikmäßige Tötung und Verbrennung von Gefangenen in den Gaskammern und Krematorien (organisiert)“ und „den Auftrag vorbildlich (erfüllt)“ (S. 267f.).; der (in Przemyśl geborene, in der Abteilung III ‚Volkspflege‘ der Reichsstatthalterei Salzburg tätige) Arzt Georg Pöch ist im Rahmen der NS-„Euthanasie“ für „die administrativen Vorbereitungen der Mordaktionen mitverantwortlich“ und setzt sich 1946 nach Indonesien ab, wo er 1970 verstirbt (S. 286f.).

 

Täterschaft lässt sich natürlich auch abseits dieser Kapitalverbrechen orten. Auf kulturellem Gebiet betätigten sich unter anderem Kajetan Mühlmann, der als Kunsthistoriker „die höchsten politischen Kreise mit gestohlener Kunst“ zu versorgen hatte (S. 118); der (in Florenz geborene) Komponist, Hitlerjugend-Führer und spätere Professor am Mozarteum und Träger des Österreichischen Staatspreises Cesar Bresgen; Franz Lospichl, der als Offizier der SS und des Sicherheitsdienstes (SD) „die kirchenfeindliche Politik des Regimes mitorganisiert“ (S. 194); sowie der Lehrer und Schriftsteller Karl Springenschmid, der am 30. April 1938 auf dem Salzburger Residenzplatz die einzige Bücherverbrennung auf österreichischem Boden ins Werk setzt. Unter den militärischen Führern nimmt der bayerische Oberst Hans Lepperdinger eine besondere Rolle ein, der im Mai 1945 als zuständiger Kampfkommandant durch die kampflose Übergabe der Stadt Salzburg an die Amerikaner sinnlose Zerstörungen verhindert, damit „vom ‚überzeugten Nationalsozialisten‘ zum ‚Retter Salzburgs‘“ (S. 347) mutiert, sodann mit mehreren Ehrenbürgerschaften bedacht und nach seinem Ableben 1984 in einem Ehrengrab auf dem Salzburger Kommunalfriedhof beigesetzt wird. Wie überall im Deutschen Reich lebten selbstverständlich auch auf Salzburger Boden Menschen, die der Rassenideologie und der Religionsfeindlichkeit des Nationalsozialismus zum Opfer fielen (wie die „Asoziale“ Julianne Kreimer, die Jüdin Gertrude Bonyhadi, das nicht einmal zweijährige „Zigeunerkind“ Agathe Herzenberger, das „Euthanasie“-Opfer Rosa Leeb, Dechant Felix Gredler oder die Zeugen Jehovas Anna Wegscheider und Josef Wegscheider), sich der Anpassung verweigerten (wie der Domherr Franz Simmerstätter oder der Wärter Friedrich Zehentner), für Verfolgte eintraten (wie Johann Pscheidt, „ein Salzburger Oskar Schindler“) oder sich aktiv als Widerstandskämpfer gegen das Regime stellten (wie Sepp Plieseis, Agnes Primocic und Josef Reischenböck).

 

Nicht zuletzt thematisiert der Band die politische Justiz im Salzburgischen. Im September 1939 nimmt das Sondergericht beim damaligen Landgericht Salzburg seine Tätigkeit auf, wo die Verhandlungen von Hans Meyer, Karl Klemenz und Franz Tusch geleitet werden, Stephan Balthasar, Friedrich Stainer und Robert Blum agieren als Staatsanwälte. Die Bilanz bis 1945: „Knapp einem Viertel der 1.254 Angeklagten […] wird der Verstoß gegen die ‚Kriegswirtschaftsverordnung‘ vorgeworfen, ein weiteres Viertel muss sich wegen des Vergehens gegen das ‚Heimtückegesetz‘ verantworten. […] 120 Personen, also rund 10 % aller Beschuldigten, werden […] freigesprochen […]. Die verhängten Strafen reichen von Zuchthaus über die Einweisung in ein Konzentrationslager bis hin zur unmittelbaren Tötung durch Enthauptung. […] Insgesamt fällt das Salzburger Sondergericht nachweislich mehr als 60 Todesurteile. Jede 20. Verhandlung endet mit einem staatlichen Tötungsauftrag. […] Über ein Drittel aller Todesurteile verhängt das Gericht wegen Diebstahls“ (S. 208ff.). Leider werden diese Werte nicht vergleichend in Bezug zu den Kennzahlen anderer Sondergerichte im Reich gesetzt. Hingewiesen wird aber darauf, dass Landesverrat und Hochverrat vor dem Volksgerichtshof beim Oberlandesgericht Wien angeklagt wurden, wovon zwischen 1940 und 1944 insgesamt 264 Salzburger beiderlei Geschlechts betroffen gewesen seien. Die Geschichte der Salzburger Gerichte in der NS-Zeit sei allerdings „erst in Ansätzen erforscht“ (S. 211), was auch für die Nachkriegskarrieren ihres Personals gelte. Eine Ausnahme bilde Karl Klemenz, der als Vorsitzender am Sondergericht nachweislich neun Todesurteile zu verantworten hatte und von dem bekannt sei, dass er nicht nur ab 1947 wieder als Senatsvorsitzender am Kreisgericht Leoben tätig war, sondern darüber hinaus von 1949 bis 1953 als Abgeordneter der politischen Rechten die Steiermark im Bundesrat vertrat.

 

Was für die Bände zu Oberösterreich und zur Steiermark gesagt wurde, gilt mithin auch für den Salzburger Band: Mit Hilfe des dreigliedrigen „Opfer-Täter-Gegner“-Ansatzes wird eine multidimensionale Ausleuchtung der nationalsozialistischen Alltagsrealität im jeweiligen Raum gewährleistet und ein realistisches Bild der Verhaltensoptionen gezeichnet, die den Zeitgenossen zur Verfügung standen. Durch die Vielfalt und die Aktualität der gebotenen Informationen (beispielsweise wird auch die wechselvolle Geschichte der 1920 von Max Reinhardt, Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss ins Leben gerufenen, für die Entwicklung der Stadt so bedeutsamen Salzburger Festspiele thematisiert), das reiche Bildmaterial, das (aus dem Tirol-Band für Salzburg adaptierte) Sach- und Personenlexikon und die einfache Lesbarkeit ist der Band vor allem auch für historische Laien geeignet, die über ihn rasch Zugang nicht nur zu den Salzburger Verhältnissen in der Zeit des Nationalsozialismus, sondern zu dessen Charakter generell finden werden.

 

Kapfenberg                                                    Werner Augustinovic