Danglmaier, Nadja/Koroschitz, Werner, Nationalsozialismus in Kärnten. Opfer. Täter. Gegner (= Nationalsozialismus in den österreichischen Bundesländern 7). StudienVerlag, Innsbruck 2015. 463 S., Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.
Aufgrund seines hohen autochthonen slowenischen Bevölkerungsanteils – Slawen wanderten schon ab dem 6. Jahrhundert in den karantanischen Raum ein, um 1850 sprach noch ein Drittel der Einwohner Slowenisch – stellte das Bundesland Kärnten nicht nur die Minderheitenpolitik der Zweiten Republik vor besondere Herausforderungen, sondern war umso mehr unter nationalsozialistischer Herrschaft, aber auch bereits lange davor ein sensibler Brennpunkt volkstumspolitischer Aktivität. Denn nach der Volksabstimmung vom 10. Oktober 1920 wurde „das pro-österreichische Votum den Kärntner Slowenen und Sloweninnen in keiner Weise gedankt. Gemeinsam mit deutschnationalen Organisationen sowie Vertretern aus Wirtschaft und Wissenschaft treibt die Kärntner Landesregierung die Germanisierungspolitik konsequent voran. Repräsentanten der slowenischen Intelligenz sind Verfolgung, Repression und Vertreibung ausgesetzt. […] 58 Lehrer werden entlassen und 18 Juristen außer Dienst gestellt“ (S. 26f.). Der prominente Landeshistoriker Martin Wutte (vgl. S. 114ff.) lieferte mit seinem Konzept der „Windischen“ bereitwillig eine theoretische Grundlage für die Assimilierung. Die zunehmend rigideren, rassistisch motivierten Maßnahmen der nationalsozialistischen Machthaber nach dem „Anschluss“ 1938 förderten schließlich den Widerstand und das Aufwachsen einer ernstzunehmenden Partisanenbewegung.
Dementsprechend räumt der siebente Band der gehobenen Jugendsachbuchreihe zum Nationalsozialismus in den österreichischen Bundesländern der Minderheitenfrage in Kärnten besonders breiten Raum ein. Die beiden promovierten Verfasser, die Pädagogin Nadja Danglmaier, die in Klagenfurt das _erinnern.at_ -Netzwerk Kärnten leitet, und der in Villach ansässige freiberufliche Historiker Werner Koroschitz, folgen in ihrer Darstellung den strukturellen Vorgaben der Reihe, wie sie durch das Motto „Opfer . Täter . Gegner“ inhaltlich auf den Punkt gebracht und vom Rezensenten im Rahmen der Besprechung der Bände 4 (Steiermark), 5 (Salzburg) und 6 (Oberösterreich) bereits eingehend dargelegt worden sind. Die Besprechung kann sich daher auf Kärntner Spezifika beschränken.
So führt die wie gewohnt reich illustrierte Arbeit aus, dass „die Anzahl der ‚Illegalen‘ in Kärnten vor dem ‚Anschluss‘ 1938 im Bundesländervergleich am höchsten“ gewesen sei, nicht zuletzt dank „der antislowenischen Haltung vieler KärntnerInnen“ und einer „Vielzahl deutsch-völkischer Vereine“, wovon alleine im nationalsozialistisch besonders aktiven Lavanttal 16 existiert hätten (S. 36). Bei dem nationalsozialistischen Juliputsch 1934 vermochten dort kurzfristig „1.300 Putschisten binnen weniger Stunden die Macht an sich zu reißen“; es „sterben 21 Menschen auf beiden Seiten“, wobei die Aufständischen „aus allen Gesellschaftsschichten (stammen), 60 Prozent […] jünger als 28 Jahre [sind], nur ein Viertel von ihnen ist Mitglied der NSDAP“ (S. 46ff.). Dass bei der Volksabstimmung 1938 auch die Kärntner Slowenen zu nahezu 100 % für den „Anschluss“ an Hitlerdeutschland stimmen, erklären die Verfasser aus einer Mischung später nicht erfüllter Versprechungen und unverhohlener Drohungen. Tatsächlich beginnt bereits am 1. August 1938 eine „Volkstumsstelle“ unter dem gebürtigen Steirer und Führer des Kärntner Heimatdienstes/Kärntner Heimatbundes Alois Maier-Kaibitsch ihre von der Zurückdrängung der slowenischen Sprache, Enteignungen, Festnahmen und Deportationen gekennzeichnete radikale Germanisierungspolitik umzusetzen, die Maier-Kaibitsch 1947 eine Verurteilung zu lebenslangem schwerem Kerker einbringen wird.
Entgegen wesentlich weiter reichenden Planungen – im Gespräch sind ursprünglich 20.000 bis 50.000 Menschen – werden ab 1942 „rund 200 slowenische Familien unter dem Vorwand volks- und staatsfeindlicher Einstellung aus dem Südkärntner Raum nach Deutschland deportiert“ (S. 200) und zwangsweise bis Kriegsende in Lagern der „Volksdeutschen Mittelstelle“ untergebracht. Unter solchen Umständen schwindet die Motivation der Kärntner Slowenen, sich in der deutschen Wehrmacht zu engagieren, zunehmend: Im Juli 1943 „(entwickelt sich) die Desertion der Kärntner Slowenen zu einem derart weit verbreiteten Phänomen, dass sich das NS-Regime gezwungen sieht, […] eine Urlaubssperre für das Gebiet südlich der Drau zu verhängen“ (S. 168), nicht wenige Deserteure schließen sich den Partisanen an. Unter den Akteuren des Kärntner Widerstands (katholische, evangelische, sozialdemokratische und kommunistische) kommt den Partisanen – vermutlich an die 1000 Personen aus dem zweisprachigen Kärnten plus 3000 Slowenen, mit einem Frauenanteil um die sieben Prozent – insofern eine herausragende Rolle zu, als ihre von Großbritannien unterstützten Operationen im Sommer 1944 die Erklärung Südkärntens zum „Bandengebiet“ provozieren und damit erhebliche nationalsozialistische Exekutivkräfte binden. Die Plastizität der antislowenischen Volkstumspolitik der Nationalsozialisten untermauert der vorliegende Band mit der Präsentation zahlreicher Einzel- und Familienschicksale: Helena Igerc, Lipej Kolenik, Andrej Kokot, Marija Kogoj, Terezija Urbančič, Hanzi Županc, Ivana Sadolšek, Tomaž Olip oder die unter Roland Freisler zum Tod verurteilte und im Jänner 1945 in Graz hingerichtete Terezija Mičej stehen paradigmatisch für das an den Kärntner Slowenen vollzogene Unrecht und für deren Widerstandshandlungen. Im Nachkriegsösterreich sind die kärntnerslowenischen Heimkehrer wenig willkommen: So zieht sich „die grundbücherliche Rückgabe der slowenischen Gehöfte […] bis Anfang der 1950er Jahre“, die „Wiedergutmachung“ für politisch oder rassisch Verfolgte bis 1952, eine gesetzliche Berücksichtigung der Zwangsaufenthalte gar bis 1961 hin (S. 206).
Doch selbstverständlich ist die Geschichte der Kärntner Slowenen unter dem Nationalsozialismus nur ein einzelner – wenn auch markanter – Ausschnitt aus der gesamten Kärntner Landesgeschichte jener Jahre. Wie überall im nationalsozialistisch beherrschten Raum sind auch in diesem Bundesland die gemeinhin bekannten Opfergruppen fassbar, agierten Täter und Mitläufer, existierten Orte der Unterdrückung und des Terrors, etwa die als Nebenlager von Mauthausen installierten Konzentrationslager Loibl-Süd und Loibl-Nord sowie ein weiteres in der SS-Kaserne Klagenfurt-Lendorf. Obwohl im Gegensatz zum Stammlager Mauthausen vor Ort in den genannten Lagern „die Ermordung von Häftlingen […] offiziell nicht vorgesehen“ ist (S. 316), kommen am Loibl zumindest 39 und in Klagenfurt „einige KZ-Häftlinge aufgrund der unmenschlichen Lagerbedingungen, durch Mord oder Selbstmord zu Tode“ (S. 328). Der Anteil der jüdischen Bevölkerung sei in Kärnten „stets gering“ gewesen, 1910 wurden insgesamt offiziell gerade einmal 341 Personen gezählt (S. 218); trotz offenkundig patriotischer Leistungen im Ersten Weltkrieg und im Kärntner Abwehrkampf waren sie wie überall in Österreich bald verstärkt antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt. Heute lebten nur noch vereinzelt Nachkommen dieser wenigen, einst über Generationen verwurzelten jüdischen Familien in Kärnten, das Schicksal von 50 jüdischen NS-Opfern sei „mehr oder weniger ausführlich dokumentiert […,] genaue Opferzahlen anzugeben mangels verlässlicher Quellen unmöglich“ (S. 238). Dies gelte ähnlich für die sogenannten „Euthanasie“-Opfer, wobei die Wissenschaft „von rund 1.500 Kärntnerinnen und Kärntnern aus(geht), die in Hartheim oder im Gaukrankenhaus Klagenfurt als ‚unwertes Leben‘ getötet wurden“ (S. 257). „Nahezu unerforscht“ (S. 270) sei die Geschichte der Roma und Sinti in Kärnten. Diese werden „1941 verhaftet, ins Polizeigefängnis Klagenfurt überstellt und in Sammeltransporten ins ‚Zigeunerlager Lackenbach‘ deportiert [,] am 31. Oktober 1941 […] 65 Personen […,] ein weiterer Transport mit 14 […] am 18. November“ (S. 274); österreichweit überleben 9.000 der insgesamt 11.000 österreichischen Roma und Sinti die NS-Zeit nicht. In den großen Kriegsgefangenenlagern Spittal an der Drau und Wolfsberg sterben Menschen aufgrund unzumutbarer Arbeits- und Lebensbedingungen. Zeugen Jehovas und Homosexuelle werden auch in Kärnten exekutiv und strafgerichtlich unnachsichtig verfolgt, ebenso wie jene, die das sogenannte „Umgangsverbot“ mit ausländischen Zwangsarbeitern missachten.
Zu allen Opfergruppen bringt der Band konkrete exemplarische Beispiele, bisweilen begleitet auch von Täterbiographien, wie jenen der „Euthanasie“-Schwester Antonia Pachner (S. 261f.) oder des SS-Lagerarztes Sigbert Ramsauer (S. 408ff.). Hier überrascht doch, dass der neben Gauleiter Friedrich Rainer (vgl. S. 378f. sowie die Ausführungen im Salzburger Band der Reihe) vielleicht prominenteste Kärntner NS-Täter, SS-Gruppenführer Odilo Globocnik (die Familie seines Vaters stammt aus dem oberkrainischen Neumarktl südlich des Loiblpasses, heute das slowenische Tržič, er selbst wurde in Triest geboren und war seit Ende des Ersten Weltkriegs in Klagenfurt ansässig, wo er unter anderem auch am Abwehrkampf teilnahm) überhaupt nur auf drei der immerhin fast 400 Textseiten namentlich und dabei in seinen Funktionen als Leiter der „Aktion Reinhard(t)“ und als Höherer SS- und Polizeiführer in der „Operationszone Adriatisches Küstenland“ genannt wird, ansonsten aber weder im „Sach- und Personenlexikon“ und schon gar nicht in Form einer der ausführlicheren „Menschengeschichten“, wie sie beispielsweise über die in Villach geborene Schauspielerin Heidemarie Hatheyer (S. 117f.) oder – auf der anderen Seite als entschiedene Gegnerin des NS-Regimes – über die renommierte Klagenfurter Schriftstellerin Ingeborg Bachmann (S. 83ff.) nachzulesen sind, näher vorgestellt wird. Eine solche weitergehende Würdigung erfährt hingegen der weniger bekannte, 1972 rechtskräftig zu sieben Jahren Haft verurteilte Wolfsberger Franz Novak (S. 243f.), dereinst als Transportmanager im Berliner Reichssicherheitshauptamt Adolf Eichmanns „Fahrdienstleiter des Todes“.
Knapp zwei Druckseiten entfallen auf die Kurzkapitel „NS-Justiz und ihre Urteile“ und „Schauprozesse als Abschreckung“ – „in fünf großen Prozessen im Landgericht Klagenfurt sprechen die Richter der NS-Justiz insgesamt 47 Todesurteile aus, die wenig später in Graz oder Wien vollstreckt werden“ (S. 97), wobei auch Roland Freisler in Klagenfurt gelegentlich den Vorsitz führt. Die rechtlich durchaus problematische Verhaftung und Verschleppung von Zivilpersonen durch jugoslawische Behörden und die Auslieferung bestimmter belasteter Gruppen durch die Briten an Jugoslawien nach Kriegsende – für die Betroffenen häufig de facto das Todesurteil – gilt den Verfassern „keineswegs [als ein] Kärntner Spezifikum“, sondern als „ein durchaus übliches Vorgehen aller Alliierten“ (S. 375). Im Rahmen der Entnazifizierung wird allgemein auf das Verbotsgesetz, das Kriegsverbrechergesetz und die Spruchpraxis der Volksgerichte hingewiesen, speziell für Kärnten auch auf das Handeln der zuständigen britischen Militärregierung und schließlich auf den Prozess gegen Franz Niedermoser, angeklagt als Primararzt der Irrenanstalt und des Siechenhauses Klagenfurt wegen der Ermordung von mindestens 400 Patienten. Bei Niedermoser habe es sich bemerkenswerter Weise „um den einzigen in Kärnten von einem österreichischen Gericht zum Tode verurteilten österreichischen Nationalsozialisten und Kriegsverbrecher, dessen Hinrichtung tatsächlich vollzogen wird“ (S. 400), gehandelt.
Kapfenberg Werner Augustinovic