Bargon, Vanessa, Die Strafrechtsnovelle vom 26. Februar 1876. Die erste Revision des Strafgesetzbuchs (= Beiträge zur Strafrechtswissenschaft Band 18). Lit, Berlin 2015. XII, 258 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Das Strafrecht als ein eigenes besonderes Rechtsgebiet sondert sich erst im Laufe der frühen Neuzeit aus dem Recht im Allgemeinen aus, wozu die Constitutio Criminalis Carolina von 1532 trotz ihrer salvatorischen Klausel erheblich beiträgt. Die dabei noch bestehende Verbindung mit dem Strafverfahrensrecht löst sich erst in dem 19. Jahrhundert. Ein einheitliches Strafrecht für den größten Teil des deutschen Sprachraums gelingt schließlich mit dem an dem 15. Mai 1871 ausgefertigten Reichsstrafgesetzbuch des Deutschen Reiches von 1871
Mit seiner Geschichte befasst sich seit langem besonders Thomas Vormbaum in Hagen. Von ihm betreut und im Dezember 2013 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der FernUniversität angenommen wurde die vorliegende Dissertation der Verfasserin, die sich mit der einer ersten Ergänzung des Reichsstrafgesetzbuches an dem 10. Dezember 1871 (§ 130a) folgenden ersten und umfangreichsten Revision des Reichsstrafgesetzbuchs fünf Jahre nach seiner Ausfertigung beschäftigt. Sie gliedert sich nach einer Einleitung über Problemstellung, Forschungsstand, Methoden und Fragestellungen sowie Darstellungsweise in drei Teile über Grundlagen, Entstehungsgeschichte, Inhalt und Entwicklungen sowie ein Resümee.
Im Ergebnis kann die Verfasserin darauf hinweisen, dass das zwecks Herstellung von Rechtseinheit nach der Reichsgründung sehr rasch zustande gebrachte Strafgesetzbuch auch nach Ansicht der Zeitgenossen aus verständlichen Gründen bei seiner Geburt bereits veraltet war. Die deswegen 1876 verabschiedete Novelle (Strafgesetzbuchnovelle statt Strafrechtsnovelle?) setzte sich aus einer Vielzahl inhaltlich nicht zusammenhängender, von der Verfasserin sorgfältig überprüfter Änderungen zusammen, mit denen Fehler behoben, das Gesetz an die veränderten gesellschaftlichen und sozialen Bedürfnisse angepasst und das Strafrecht als Instrument zur Verfolgung Bismarcks politischer Zwecke genutzt werden sollte (nach der Verfasserin wollte Bismarck das Strafrecht als Instrument nutzten). Im Gegensatz zu der das Strafgesetzbuch prägenden liberalen Ära, dessen (!) Höhepunkt das Reichsstrafgesetzbuch nach der Verfasserin bildete, stellt die im Lichte ihrer Zeit zu sehende Novelle nach der Autorin sowohl eine Zäsur in der strafrechtlichen Entwicklung dar (,!) als auch einen Ausgangspunkt für neue antiliberale Einflüsse.
Innsbruck Gerhard Köbler