Suchtext: Radowitz
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Abs. 175 [1-45] Aussichten Preußens zu schädigen, in dem Moment, wo er meine Dienste gewinnen wollte, nicht aussprach. Ich erwiderte, daß das formale Recht und seine Grenzen in der vorliegenden Situation verwischt erschienen und von den Gegnern, sobald sie die Macht hätten, ebenso wenig respectirt werden würden, wie am 18. März, ich sähe die Situation mehr in dem Lichte von Krieg und Nothwehr, als von rechtlichen Argumentationen. Der König beharrte jedoch dabei, daß seine Stellung zu schwach werde, wenn er von dem Rechtsboden abweiche, und der Eindruck ist mir geblieben, daß er dem von Radowitz bei ihm gepflegten Gedankengange, dem schwarz-roth-goldnen, wie man damals sagte, die Möglichkeit der Herstellung der Ordnung in Preußen zunächst unterordnete. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 219 Gegenüber der Versuchung, die in der Situation lag, hatte der König ein Gefühl, welches ich dem Unbehagen vergleichen möchte, von dem ich, obwohl ein großer Liebhaber des Schwimmens, ergriffen wurde, wenn ich an einem kalten stürmischen Tage den ersten Schritt in das Wasser thun wollte. Seine Bedenken, ob die Dinge reif seien, wurden unter anderm genährt durch die geschichtlichen Erörterungen, die er mit Radowitz pflog, nicht nur über das sächsische und hanöversche Gesandschaftsrecht, sondern auch über die Vertheilung der Sitze im "Reichstage" zwischen Regirenden und Mediatisirten, zwischen Landesherrn und Personalisten, recipirten und nicht recipirten Grafen unter den verschiedenen Kategorien der Reichstagsmasse, wobei die Specialität des Freien Standesherrn von Grote-Schauen zu untersuchen war. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 226 Unbeantwortet ist die Frage geblieben, ob der Einfluß des Generals von Radowitz aus katholisirenden Gründen in einer auf den König wirksamen Gestalt verwendet worden ist, um das evangelische Preußen an der Wahrnehmung der günstigen Gelegenheit zu hindern und den König über dieselbe hinweg zu täuschen. Ich weiß heut noch nicht, ob er ein katholisirender Gegner Preußens war oder nur bestrebt, seine Stellung bei dem Könige zu halten *) . Gewiß ist, daß er den geschickten Garderobier der (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 227 *) Der General von Gerlach hat im August 1850 niedergeschrieben (Denkwürdigkeiten I 514): "Die Verehrung des Königs für Radowitz beruht auf zwei Dingen: 1) seinem scheinbar scharf logisch-mathematischen Raisonnement, bei dem seine gedankenlose Indifferenz es ihm möglich macht, jeden Widerspruch mit dem Könige zu vermeiden. Nun sieht der König in dieser seinem Ideengange ganz entgegensetzten Denkart die Probe für das Exempel, was er sich zusammengerechnet, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 228 [1-65] mittelalterlichen Phantasie des Königs machte und dazu beitrug, daß der König über historische Formfragen und reichsgeschichtliche Erinnerungen die Gelegenheiten zu praktischem Eingreifen in die Entwicklung der Gegenwart versäumte. Das tempus utile für Einrichtung des Dreikönigsbundes wurde dilatorisch mit nebensächlichen Formfragen ausgefüllt, bis Oestreich wieder stark genug war, um Sachsen und Hanover zum Rücktritt zu vermögen, so daß beide Mitbegründer dieses Dreibundes in Erfurt ausfielen. Während des Erfurter Parlaments, in einer von dem General von Pfuel geladenen Gesellschaft, kamen vertrauliche Nachrichten einiger Abgeordneten zur Sprache über die Stärke der östreichischen Armee, die sich in Böhmen sammelte und dem Parlament als Gegengewicht und Correctiv dienen sollte. Es wurden verschiedene Zahlen, 80000 und 130000 Mann angegeben. Radowitz hörte eine Zeit lang ruhig zu und sagte dann mit dem ihm eignen Ausdruck unwiderleglicher Gewißheit auf seinen regelmäßigen Zügen in entscheidendem Tone: "Oestreich hat in Böhmen 28254 Mann und 7132 Pferde." Die Tausende, die er angab, sind mir obiter in Erinnerung, die übrigen Ziffern setze ich nach Gutdünken hinzu, nur um die erdrückende Genauigkeit der Angaben des Generals anschaulich zu machen. Natürlich brachten diese Zahlen aus dem Munde des amtlichen und competenten Vertreters der preußischen Regirung einstweilen jede abweichende Meinung zum Schweigen. Wie stark die östreichische Armee im Frühjahr 1850 in Böhmen gewesen ist, wird heut wohl feststehn; daß sie zur Olmützer Zeit erheblich mehr als 100000 Mann betrug, habe ich annehmen müssen *) *und hält sich so seiner Sache gewiß. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 229 2) Der König hält seine Minister und auch mich für Rindvieh, schon darum, weil jene mit ihm currente und praktische Geschäfte abmachen müssen, welche nie seinen Ideen entsprechen. Er traut sich nicht die Fähigkeit zu, diese Minister sich folgsam zu machen, auch nicht die, andre zu finden, er giebt also diesen Weg auf und glaubt, in Radowitz einen gefunden zu haben, von Deutschland aus Preußen zu restauriren, wie das Radowitz in ,Deutschland und Friedrich Wilhelm IV.' geradezu eingesteht." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 236 Es ist merkwürdig, daß in den beiden Familien, welche damals in Deutschland und in Preußen den nationalen Liberalismus vertraten, Gagern und Auerswald, je drei Brüder vorhanden waren, unter denen je ein General, daß diese beiden Generale die praktischeren Politiker unter ihren Brüdern waren und beide in Folge der revolutionären Bewegungen ermordet wurden, deren Entwicklung jeder von ihnen in seinem Wirkungskreise in gutem patriotischen Glauben gefördert hatte. Der General von Auerswald, der am 18. September 1848 bei Frankfurt ermordet wurde, wie man sagt, weil er für Radowitz gehalten wurde, hatte sich zur (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 354 [1-105] z. B. mit einer Restauration von Polen, einem rücksichtslosen Verfahren gegen Rußland u. s. w., sowie es keinem Zweifel unterliegt, daß Frankreich und England ihm auf der andern Seite noch leichter als uns Verlegenheiten bereiten können, sowohl in Ungarn als in Italien. Der Kaiser ist in den Händen seiner Polizei und was das heißt, habe ich in den letzten Jahren gelernt *), hat sich vorlügen lassen, Rußland habe Kossuth aufgehetzt u. s. w. Er hat damit sein Gewissen beschwichtigt, und was die Polizei nicht vermag, das leistet der Ultramontanismus, die Wuth gegen die orthodoxe Kirche und gegen das protéstantische Preußen. Daher ist auch schon jetzt von einem Königreich Polen unter einem österreichischen Erzherzoge die Rede. ... Aus allem diesem folgt, daß man sehr auf seiner Hut sein und auf alles, selbst auf einen Krieg gegen die mit Oesterreich verbündeten Westmächte gefaßt sein muß, daß den deutschen Fürsten nicht zu trauen ist u. s. w. Der Herr möge uns geben, daß wir nicht schwach befunden werden, aber ich müßte eine Unwahrheit sagen, wenn ich den Leitern unsrer Geschicke fest vertraute. Halten wir daher eng zusammen. Anno 1850 hatte Radowitz uns etwa auf denselben Punkt gebracht wie Buol jetzt passiv von drüben her 1). ... (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 454 Soeben erhalte ich Ihren Brief Ofen-Frankfurt vom 25. Juni und 19. Juli 1), dessen Anfang so interessant ist wie das Ende. Aber von mir verlangen Sie das Unmögliche. Ich soll Ihnen die hiesige Lage der Dinge erklären, die so verwickelt und durcheinander ist, daß man sie an Ort und Stelle nicht versteht. Wagener's Auftreten gegen Manteuffel ist nicht zu rechtfertigen, wenn er sich nicht ganz von der Partei isoliren will. Ein Blatt, wie die Kreuzzeitung, darf nur dann gegen einen Premierminister auftreten, wenn die ganze Partei in die Opposition geworfen ist, wie das bei Radowitz der Fall war. ... Ein solches bellum omnium contra omnes kann nicht bleiben. Wagener wird nolens volens müssen mit dem Preußischen Wochenblatt Chorus machen, was ein großes Uebel ist; Hinckeldey und der kleine Manteuffel, sonst entschiedene Feinde, alliiren sich über die Kreuzzeitung, wie Herodes und Pilatus. Das Traurigste ist mir der Minister Manteuffel, der kaum zu halten ist und doch gehalten werden muß, denn seine präsumtiven Nachfolger sind schrecklich. Alles schreit, er soll Quehl entlassen. Ich glaube, damit wird wenig gewonnen sein, Quehl's etwaiger Nachfolger Fr. 2)ist vielleicht noch schlimmer. Wenn Manteuffel sich nicht zu Allianzen mit honetten Leuten entschließt, ist ihm nicht zu helfen 3). ... (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 456 ... Ich habe Manteuffel's sonderbares Benehmen mit seinen Creaturen, ich habe die Anstellung von Radowitz benutzt, um offen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 472 [1-136] gebe, daß Quehl eine Art von Vertrag mit der Hollweg'schen Partei geschlossen, wonach Manteuffel geschont, die andern mißliebigen Minister Raumer, Westphalen, Bodelschwingh, rücksichtslos angegriffen würden, wenn ich ferner beachte, daß Manteuffel über sein Verhältniß zum Prinzen von Preußen ein böses Gewissen gegen mich hat, daß er jetzt Niebuhr dichter an sein Herz schließt als mich, während er sich sonst gegen mich oft über Niebuhr beklagte, wenn ich endlich beachte, daß Quehl geradezu den Prinzen von Preußen und seinen Herrn Sohn als mit sich und mit Manteuffel übereinstimmend [darstellt] und sich demgemäß äußert, was ich aus der zuverlässigsten Quelle weiß, wenn dies Alles auf Radowitz sieht (sic), so fühle ich den Boden mir unter den Füßen schwanken, obschon der König schwerlich für diese Wirthschaft zu gewinnen ist und mir persönlich dies Alles Gott sei Dank ziemlich gleichgültig ist. Sie aber, mein verehrter Freund, der Sie noch jung sind, müssen sich rüsten und stärken, dies Lügengewebe zur passenden Zeit zur Rettung des Landes zu zerreißen 1). ... (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 550 [1-163] vieles zu Gute und lassen uns viel gefallen dafür, selbst im Beutel. Aber wenn wir uns für's Innre sagen müssen, daß wir mehr durch unsre guten Säfte die Krankheiten ausstoßen, welche unsre ministeriellen Aerzte uns einimpfen, als daß wir von ihnen geheilt und zu gesunder Diät angeleitet würden, so sucht man im Auswärtigen vergebens nach einem Trost dafür. Sie sind doch, verehrtester Freund, au fait von unsrer Politik; können Sie mir nun ein Ziel nennen, welches dieselbe sich etwa vorgesteckt hat, auch nur einen Plan auf einige Monate hinaus; grade rebus sic stantibus weiß man da, was man eigentlich will? weiß das irgend Jemand in Berlin und glauben Sie, daß bei den Leitern eines andern Staates dieselbe Leere an positiven Zwecken und Ideen vorhanden ist? Können Sie mir ferner einen Verbündeten nennen, auf welchen Preußen zählen könnte, wenn es heut grade zum Kriege käme, oder der für uns spräche bei einem Anliegen, wie etwa das Neuenburger, oder der für uns irgend etwas thäte, weil er auf unsern Beistand rechnet oder unsre Feindschaft fürchtet? Wir sind die gutmüthigsten, ungefährlichsten Politiker, und doch traut uns eigentlich niemand; wir gelten wie unsichre Genossen und ungefährliche Feinde, ganz als hätten wir uns im Aeußern so betragen und wären im Innern so krank wie Oestreich. Ich spreche nicht von der Gegenwart; aber können Sie mir einen positiven Plan (abwehrende genug) oder eine Absicht nennen, die wir seit dem Radowitzischen Dreikönigsbündniß in auswärtiger Politik gehabt haben? Doch, den Jahdebusen; der bleibt aber bisher ein todtes Wasserloch, und den Zollverein werden wir uns von Oestreich ganz freundlich ausziehn lassen, weil wir nicht den Entschluß haben, einfach Nein zu sagen. Ich wundre mich, wenn es bei uns noch Diplomaten gibt, denen der Muth, einen Gedanken zu haben, denen die sachliche Ambition, etwas leisten zu wollen, nicht schon erstorben ist, und ich werde mich ebenso gut wie meine Collegen darin finden, einfältig meine Instruction zu vollziehn, den Sitzungen beizuwohnen und mich der Theilnahme für den allgemeinen Gang unsrer Politik (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 619 ... Zunächst will ich gern die practische Seite Ihrer Ansicht anerkennen. Nesselrode sagte hier mit Recht, ebenso wie Sie, daß, so lange Buol regiere (Sie nennen richtig Bach zugleich mit), es nicht möglich wäre, sich mit Oestreich zu stellen. Oestreich hätte mit lauter Freundschafts-Versicherungen Europa gegen sie (d. i. die Russen) gehetzt, ihnen das Stück Bessarabien entrissen und thäte ihnen noch jetzt das gebrannte Herzeleid an. Aehnlich benimmt es sich mit uns und hat sich während des orientalischen Krieges scheuslich perfide benommen. Wenn Sie also sagen, man kann nicht mit Oestreich gehen, so hat das eine relative Wahrheit, und würden wir in casu concreto schwerlich uns hierüber veruneinigen. Vergessen Sie aber nicht, daß die Sünde stets wieder die Sünde gebiert, und daß Oestreich uns auch ein Sündenregister schlimmer Art vorhalten kann, z. B. die Abwehr des Einmarsches 1849 in den Badischen Seekreis, was den eigentlichen Verlust von Neuenburg, das damals durch den Prinzen von Preußen zu erobern war, bewirkt hat, dann die Radowitzische Politik, dann die hochmüthige Behandlung des Interim, bei dem selbst Schwarzenberg guten Willen hatte, und endlich eine Menge unbedeutenderer Einzelnheiten: alles Repetitionen der Politik von 1793-1805. Die Anschauung aber, daß unser schlechtes Verhältniß zu Oestreich nur ein relatives sein darf, wird bei jeder Gelegenheit practisch, indem sie einmal die Rache von unsrer Seite, weil sie nur zu Unglück führen kann, verhindert und dann den Willen zur Versöhnung und Annäherung festhält und daher das, was eine solche Annäherung unmöglich macht, vermeidet. Beides fehlt bei uns, und warum? weil unsre Staatsmänner donnent dans le Bonapartisme. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 492 Als 1875 während der Vacanz des Botschafterpostens ein Legationssekretär als Geschäftsträger fungirte, wurde Herr von Radowitz, damals Gesandter in Athen, en mission extraordinaire nach Petersburg geschickt, um die Geschäftsführung auch äußerlich auf den Fuß der Gleichheit zu bringen. Er hatte dadurch Gelegenheit, sich durch entschlossene Emancipation von Gortschakows präpotenter Beeinflussung dessen Abneigung in einem so hohen Grade zuzuziehn, daß die Abneigung des russischen Cabinets gegen ihn ungeachtet seiner russischen Heirath vielleicht noch heut nicht erloschen ist. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 493 Die Rolle des Friedensengels, sehr geeignet, Gortschakows Selbstgefühl durch den ihm über alles theuern Eindruck in Paris zu befriedigen, war von Gontaut in Berlin vorbereitet worden; es läßt sich annehmen, daß seine Gespräche mit dem Grafen Moltke und mit Radowitz, die später als Beweismittel für unsre kriegerischen Absichten angeführt wurden, von ihm mit Geschick herbeigeführt waren, um vor Europa das Bild eines von uns bedrohten, von Rußland beschützten Frankreich zur Anschauung zu bringen. In Berlin am 10. Mai 1875 angekommen, erließ Gortschakow unter dem Datum dieses Ortes ein zur Mittheilung bestimmtes telegraphisches Circular, welches mit den Worten anfing: „Maintenant, also unter russischem Druck, la paix est assurée,“ als ob das vorher nicht der Fall gewesen wäre. Einer der dadurch avisirten außerdeutschen Monarchen hat mir gelegentlich den Text gezeigt. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)