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Abs. 117 Dagegen muß sie ihrem Gemal nach England geschrieben haben, daß ich versucht hatte, zu ihm zu gelangen, um seine Unterstützung für eine contrarevolutionäre Bewegung zur Befreiung des Königs zu gewinnen; denn als er auf der Rückkehr am 7. Juni einige Minuten auf dem Genthiner Bahnhof verweilte und ich (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 317 [1-97] Posten zu Posten zurückwichen, und unter dem Druck der Inferiorität, in Furcht vor Frankreich und in Demuth vor England, im Schlepptau Oestreichs Deckung suchten. Der König war nicht unempfänglich für diesen meinen Eindruck, aber nicht geneigt, ihn durch eine Politik im großen Stile abzuschütteln. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 318 Nachdem England und Frankreich am 28. März 1854 Rußland den Krieg erklärt hatten, waren wir mit Oestreich das Schutzund Trutzbündniß vom 20. April eingegangen, das Preußen verpflichtete, unter Umständen 100000 Mann in Zeit von 36 Tagen zu concentriren, ein Drittel in Ostpreußen, die beiden andern zu Posen oder zu Breslau, und sein Heer, wenn die Umstände es erheischten, auf 200000 Mann zu bringen und sich behufs alles dessen mit Oestreich zu verständigen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 338 [1-102] Rheinbundes ist und den französischen Einfluß bis unter die Thore von Berlin bringt. Jetzt haben die Bamberger es versucht, sich unter dem Protectorate von Rußland als Trias zu constituiren, wohl wissend, daß es ein leichtes ist, ein Protectorat zu wechseln, um so mehr, da die russisch-französische Allianz doch das Ende vom Liede ist, wenn England nicht bald die Augen aufgehen über die Thorheit des Krieges und des Bündnisses mit Frankreich 1). ... (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 354 [1-105] z. B. mit einer Restauration von Polen, einem rücksichtslosen Verfahren gegen Rußland u. s. w., sowie es keinem Zweifel unterliegt, daß Frankreich und England ihm auf der andern Seite noch leichter als uns Verlegenheiten bereiten können, sowohl in Ungarn als in Italien. Der Kaiser ist in den Händen seiner Polizei und was das heißt, habe ich in den letzten Jahren gelernt *), hat sich vorlügen lassen, Rußland habe Kossuth aufgehetzt u. s. w. Er hat damit sein Gewissen beschwichtigt, und was die Polizei nicht vermag, das leistet der Ultramontanismus, die Wuth gegen die orthodoxe Kirche und gegen das protéstantische Preußen. Daher ist auch schon jetzt von einem Königreich Polen unter einem österreichischen Erzherzoge die Rede. ... Aus allem diesem folgt, daß man sehr auf seiner Hut sein und auf alles, selbst auf einen Krieg gegen die mit Oesterreich verbündeten Westmächte gefaßt sein muß, daß den deutschen Fürsten nicht zu trauen ist u. s. w. Der Herr möge uns geben, daß wir nicht schwach befunden werden, aber ich müßte eine Unwahrheit sagen, wenn ich den Leitern unsrer Geschicke fest vertraute. Halten wir daher eng zusammen. Anno 1850 hatte Radowitz uns etwa auf denselben Punkt gebracht wie Buol jetzt passiv von drüben her 1). ... (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 378 Aus dieser Theorie wurde die Nothwendigkeit der Pflege des natürlichen Bündnisses mit England entwickelt, mit dunkeln Andeutungen, daß England, wenn Preußen ihm mit seiner Armee gegen Rußland diene, seinerseits die preußische Politik in dem Sinne, den man damals den "Gothaer" nannte, fördern würde. Von der angeblichen öffentlichen Meinung des englischen Volkes im Bunde bald mit dem Prinzen Albert, welcher dem Könige und dem Prinzen von Preußen unerbetene Lectionen ertheilte, bald mit Lord Palmerston, der im November 1851 gegen eine Deputation radicaler Vorstädter England als den einsichtigen Sekundanten (judicious bottleholder) jedes für seine Freiheit kämpfenden Volkes (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 379 [1-111] bezeichnete und später in Flugschriften den Prinzen Albert als den gefährlichsten Gegner seiner befreienden Anstrengungen denunciren ließ, von diesen Hülfen wurde die Gestaltung der deutschen Zustände mit Sicherheit vorhergesagt, welche später von der Armee des Königs Wilhelm auf den Schlachtfeldern erkämpft worden ist. Die Frage, ob Palmerston oder ein andrer englischer Minister geneigt sein würde, Arm in Arm mit dem gothaisirenden Liberalismus und mit der Fronde am preußischen Hofe Europa zu einem ungleichen Kampfe herauszufordern und englische Interessen auf dem Altar der deutschen Einheitsbestrebungen zu opfern, - die weitere Frage, ob England dazu ohne andern continentalen Beistand als den einer in coburgische Wege geleiteten preußischen Politik im Stande sein würde - diese Fragen bis an's Ende durchzudenken, fühlte niemand den Beruf, am allerwenigsten die Fürsprecher derartiger Experimente. Die Phrase und die Bereitwilligkeit, im Partei-Interesse jede Dummheit hinzunehmen, deckten alle Lücken in dem windigen Bau der damaligen westmächtlichen Hofnebenpolitik. Mit diesen kindischen Utopien spielten sich die zweifellos klugen Köpfe der Bethmann-Hollwegschen Partei als Staatsmänner aus, hielten es für möglich, den Körper von sechzig Millionen Groß-Russen in der europäischen Zukunft als ein caput mortuum zu behandeln, das man nach Belieben mißhandeln könne, ohne daraus einen sichern Bundesgenossen jedes zukünftigen Feindes von Preußen zu machen und ohne Preußen in jedem französischen Kriege zur Rückendeckung gegen Polen zu nöthigen, da eine Polen befriedigende Auseinandersetzung in den Provinzen Preußen und Posen und selbst noch in Schlesien unmöglich ist, ohne den Bestand Preußens aufzulösen. Diese Politiker hielten sich damals nicht nur für weise, sondern wurden in der liberalen Presse als solche verehrt. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 388 Um ihn aus diesem Gedankenkreise loszumachen, stellte ich ihm vor, daß wir absolut keinen eignen Kriegsgrund gegen Rußland hätten und kein Interesse an der orientalischen Frage, das einen Krieg mit Rußland oder auch nur das Opfer unsrer langjährigen guten Beziehungen zu Rußland rechtfertigen könnte; im Gegentheil, jeder siegreiche Krieg gegen Rußland unter unsrer nachbarlichen Betheiligung belade uns nicht nur mit dem dauernden Revanchegefühl Rußlands, das wir ohne eignen Kriegsgrund angefallen, sondern zugleich mit einer sehr bedenklichen Aufgabe, nämlich die polnische Frage in einer für Preußen erträglichen Form zu lösen. Wenn eigne Interessen keinenfalls für, eher gegen einen Bruch mit Rußland sprächen, so würden wir den bisherigen Freund und immerwährenden Nachbar, ohne daß wir provocirt wären, entweder aus Furcht vor Frankreich oder im Liebesdienste Englands und Oestreichs angreifen. Wir würden die Rolle eines indischen Vasallenfürsten übernehmen, der im englischen Patronat englische Kriege zu führen hat, oder die des York'schen Corps beim Ausmarsch zum Kriege 1812, wo die damals berechtigte Furcht vor Frankreich uns zu dessen gehorsamen Bundesgenossen zwangsweis gemacht hatte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 407 Wäre es solchen Eventualitäten nicht bei weitem vorzuziehn, daß wir als europäische Macht direct mit Frankreich und England über unsern Beitritt unterhandelt hätten, als daß wir es wie einer, der nicht sui juris ist, unter Oestreichs Vormundschaft thun und nur noch als Pfeil in Buol's Köcher auf der Conferenz in Rechnung kommen? 1)... v. B." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 422 [1-124] befreundeten Höfen gehalten, jedes verstimmende Detail nach Hause zu melden; namentlich als ich in Petersburg mit einem Vertrauen beehrt wurde, welches ich fremden Diplomaten in Berlin zu gewähren für bedenklich gehalten haben würde. Jede zur Erregung von Verstimmung zwischen uns und Rußland geeignete Meldung würde bei der damals und in der Regel antirussischen Politik der Königin zur Lockerung unsrer russischen Beziehungen ausgenutzt worden sein, sei es aus Abneigung gegen Rußland und aus vorübergehenden Popularitätsrücksichten, sei es aus Wohlwollen für England und in der Voraussetzung, daß Wohlwollen für England und selbst für Frankreich einen höhern Grad von Civilisation und Bildung anzeige als Wohlwollen für Rußland. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 436 [1-129] England betrachtete. Manteuffel vermied es, durch schärferes Vertreten seiner Auffassung den König noch mehr zu verstimmen oder durch Eintreten für meine angeblich russische Auffassung die Westmächte und Oestreich zu reizen, er effacirte sich lieber. Marquis Moustier kannte diese Stellung, und mein Chef überließ ihm gelegentlich die Aufgabe, mich zur westmächtlichen Politik und zur Vertretung derselben beim Könige zu bekehren. Bei einem Besuche, den ich Moustier machte, riß ihn die Lebhaftigkeit seines Temperaments zu der bedrohlichen Aeußerung hin: "La politique que vous faites, va vous conduire à Jéna." Worauf ich antwortete: "Pourquoi pas à Leipzig ou à Rossbach?" Moustier war eine so unabhängige Sprache in Berlin nicht gewohnt und wurde stumm und bleich vor Zorn. Nach einigem Schweigen setzte ich hinzu: "Enfin toute nation a perdu et gagné des batailles. Je ne suis pas venu pour faire avec vous un cours d'histoire." Die Unterhaltung kam nicht wieder in Fluß. Moustier beschwerte sich über mich bei Manteuffel, der die Beschwerde an den König brachte. Dieser aber lobte mich Manteuffel gegenüber, später auch direct, wegen der richtigen Antwort, die ich dem Franzosen gegeben hatte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 446 [1-132] consequent gewesen, gereicht ihm zum Ruhme, aber wenn auch Se. Majestät einmal sagten, die Consequenz sei die elendeste aller Tugenden, so ist die Manteuffel'sche Inconsequenz doch etwas stark. Man spricht gegen die Kammern und gegen den Constitutionalismus. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bis jetzt aber sind alle Regierungen revolutionär gewesen, außer England bis zur Reform und Preußen in geringen Unterbrechungen, 1823 und 1847. Die Kreuzzeitung hat in ihren kleinen Apologien der Kammern in Wahrheit nicht Unrecht, und doch sehnt sich unser Premier nach dem Bonapartismus, der doch ganz gewiß keine Zukunft hat. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 486 "Bunsen hetzt den König immer mehr in die Pairie hinein. Er behauptet, die größten Staatsmänner in England glaubten, daß in wenigen Jahren der Continent in zwei Theile zerfallen würde: a) protestantische Staaten mit constitutionellem System, getragen von den Säulen der Pairie, d) katholisch-jesuitisch-demokratisch-absolutistische Staaten. In die letzte Kategorie stellt er Oesterreich, Frankreich und Rußland. Ich halte das für ganz falsch. Solche Kategorien gibt es gar nicht. Jeder Staat hat seinen eignen Entwicklungsgang. Friedrich Wilhelm I. war weder katholisch noch demokratisch, nur absolut. Aber dergleichen Dinge machen großen Eindruck auf S. M. Das constitutionelle System, welches die Majoritätenherrschaft proclamirt, halte ich für nichts weniger als protestantisch." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 514 Der 15. August, Napoleonstag, wurde u. A. dadurch gefeiert, daß man russische Gefangene durch die Straßen führte. Am 19. traf die Königin von England ein, der zu Ehren am 25. August ein großes Ballfest in Versailles stattfand, auf dem ich ihr und dem Prinzen Albert vorgestellt wurde. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 517 [1-150] antiwestmächtliche Einwirkung auf den König nicht unbekannt war. Nach der ihm eignen Sinnesweise suchte er die Beweggründe meines Verhaltens nicht da, wo sie lagen, nämlich in dem Interesse an der Unabhängigkeit meines Vaterlandes von fremden Einflüssen, Einflüssen, die in unsrer kleinstädtischen Verehrung für England und Furcht vor Frankreich einen empfänglichen Boden fanden, sowie in dem Wunsche, uns von einem Kriege freizuhalten, den wir nicht in unserm Interesse, sondern in Abhängigkeit von östreichischer und englischer Politik geführt haben würden. In den Augen des Prinzen war ich, was ich natürlich nicht dem momentanen Eindruck bei meiner Vorstellung, sondern anderweitiger Sach- und Aktenkunde entnahm, ein reactionärer Parteimann, der sich auf die Seite Rußlands stellte, um eine absolutistische und Junker-Politik zu fördern. Es konnte nicht befremden, daß diese Ansicht des Prinzen und der damaligen Parteigenossen des Herzogs von Coburg sich auf die Tochter des Erstern, welche demnächst unsre Kronprinzessin wurde, übertragen hatte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 526 [1-154] Der Kaiser, den ich bei meiner damaligen Anwesenheit in Paris zum ersten Male sah, hat mir bei verschiedenen Besprechungen damals nur in allgemeinen Worten seinen Wunsch und seine Absicht im Sinne einer französisch-preußischen Intimität zu erkennen gegeben. Er sprach davon, daß diese beiden benachbarten Staaten, die vermöge ihrer Bildung und ihrer Einrichtungen an der Spitze der Civilisation ständen, auf einander angewiesen seien. Eine Neigung, Beschwerden, die durch unsre Verweigerung des Anschlusses an die Westmächte hervorgerufen wären, mir gegenüber zum Ausdruck zu bringen, stand nicht im Vordergrunde. Ich hatte das Gefühl, daß der Druck, den England und Oestreich in Berlin und Frankfurt ausübten, um uns zu Kriegsdiensten im westmächtlichen Lager zu nöthigen, sehr viel stärker, man könnte sagen, leidenschaftlicher und gröber war, als die in wohlwollender Form mir kund gegebenen Wünsche und Versprechungen, mit denen der Kaiser unsre Verständigung speciell mit Frankreich befürwortete. Er war für unsre Sünden gegen die westmächtliche Politik viel nachsichtiger, als England und Oestreich. Er sprach nie Deutsch mit mir, auch später nicht. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 545 Ganz erstaunt bin ich, in Ihrem Briefe zu lesen, daß die Oestreicher behaupten, sie hätten uns in Neuenburg mehr verschafft als die Franzosen. So unverschämt im Lügen ist doch nur Oestreich; wenn sie gewollt hätten, so hätten sie es nicht gekonnt und mit Frankreich und England wahrlich keine Händel um (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 546 [1-161] unsertwillen angefangen. Aber sie haben im Gegentheil uns in der Durchmarschfrage genirt, so viel sie konnten, uns verleumdet, uns Baden abwendig gemacht, und jetzt in Paris sind sie mit England unsre Gegner gewesen. Ich weiß von den Franzosen und von Kisseleff, daß in allen Besprechungen, wo Hübner ohne Hatzfeldt gewesen ist, und das waren grade die entscheidenden, er stets der Erste war, sich dem englischen Widerspruch gegen uns anzuschließen; dann ist Frankreich gefolgt, dann Rußland. Warum sollte aber überhaupt Jemand etwas für uns in Neuenburg thun und sich für unsre Interessen einsetzen? hatte denn Jemand von uns etwas dafür zu hoffen oder zu fürchten, wenn er uns den Gefallen that oder nicht? Daß man in der Politik aus Gefälligkeit oder aus allgemeinem Rechtsgefühl handelt, das dürfen Andre von uns, wir aber nicht von ihnen erwarten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 553 [1-165] kann und will, so drücke ich mich mit Zurückhaltung aus, wenn ich sage: Ich habe dafür kein Verständniß als Diplomat und finde mit der Annahme eines solchen Systems in auswärtigen Beziehungen das ganze Gewerbe der Diplomatie bis auf das Consularwesen hinunter überflüssig und thatsächlich cassirt. Sie sagen mir, ‚der Mann ist unser natürlicher Feind, und daß er es ist und bleiben muß, wird sich bald zeigen'; ich könnte das bestreiten oder mit demselben Rechte sagen: ‚Oestreich, England sind unsre Feinde, und daß sie es sind, zeigt sich schon längst, bei Oestreich natürlicher, bei England unnatürlicher Weise.' Aber ich will das auf sich beruhn lassen und annehmen, Ihr Satz wäre richtig, so kann ich es auch dann noch nicht für politisch halten, unsre Befürchtungen schon im Frieden von andern und von Frankreich selbst erkennen zu lassen, sondern finde es, bis der von Ihnen vorhergesehne Bruch wirklich eintritt, immer noch nützlich, die Leute glauben zu lassen, daß ein Krieg gegen Frankreich uns nicht nothwendig über kurz oder lang bevorsteht, daß er wenigstens nichts von Preußens Lage Unzertrennliches, daß die Spannung gegen Frankreich nicht ein organischer Fehler, eine angeborne schwache Seite unsrer Natur ist, auf die jeder Andre mit Sicherheit speculiren kann. Sobald man uns für kühl mit Frankreich hält, wird auch der Bundescollege hier kühl für mich. ... (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 561 [1-167] Widerstand gegen die gefährliche Macht der Türken übrig, und Oesterreich sowie später Rußland waren wahrlich nicht unpraktisch, als sie diesem Principe gemäß die Türken bekämpften. Die Türkenkriege begründeten die Macht dieser Reiche, und wäre man diesem Princip, das türkische Reich zu bekämpfen, treu geblieben: Europa oder die Christenheit wären nach menschlichen Begriffen dem Orient gegenüber in einer besseren Lage als jetzt, wo uns von dort die größten Gefahren drohen. Vor der französischen Revolution, dem schroffen und sehr praktischen Abfall von der Kirche Christi zunächst in der Politik, war eine Politik ‚der Interessen?, des sogenannten Patriotismus, und wohin diese führte, haben wir gesehen. Etwas Elenderes als die Politik Preußens von 1778 bis zur französischen Revolution hat es nie gegeben; ich erinnere an die Subsidien, die Friedrich II. an Rußland zahlte, die einem Tribut gleichkamen, an den Haß gegen England. Bei Holland hielt 1787 noch das alte Ansehen Friedrichs II.; die Reichenbacher Convention war aber schon eine durch Abweichung von dem Princip veranlaßte Blamage. Die Kriege des Großen Kurfürsten waren im protestantischen Interesse, und die Kriege Friedrich Wilhelms III. gegen Frankreich waren recht eigentlich Kriege gegen die Revolution. Den protestantischen Charakter hatten wesentlich auch die drei schlesischen Kriege 1740-1763, wenn auch bei allem diesen die Interessen des Territorialismus und das Gleichgewicht mitspielten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 562 Das Princip, was durch die Revolution, welche die Tour durch Europa machte, der europäischen Politik gegeben wurde, ist das nach meiner Meinung bis heute gültige. Es war wahrlich nicht unpraktisch, dieser Auffassung treu zu bleiben. England, was dem Kampfe gegen die Revolution bis 1815 treu blieb und sich durch den alten Bonaparte nicht beirren ließ, stieg zur höchsten Macht; Oestreich kam nach vielem unglücklichen Kreigen dennoch gut aus der Fechtschule; Preußen hat schwer an den Folgen des Baseler Friedens gelitten und nur durch 1813-1815 sich rehabilitirt, noch viel mehr Spanien, das daran zu Grunde gegangen; und (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 566 Dann klagen Sie unsre Politik der Isolirtheit an. Dieselbe Anklage erhob der Freimaurer Usedom, als er uns in den Vertrag vom 2. December hineintreiben wollte, und Manteuffel, jetzt Usedoms entschiedener Feind, war sehr von diesem Gedanken imponirt, Sie damals aber Gott sei Dank nicht. Oesterreich schloß damals den Decembervertrag mit, was hat es ihm genutzt? Es taumelt umher nach Bündnissen. Eine Quasi-Allianz schloß es gleich nach dem Pariser Frieden, jetzt soll es eine geheime mit England geschlossen haben. Ich sehe dabei keinen Gewinn, sondern nur Verlegenheiten. Letztere Allianz kann nur für den Fall gültig werden, daß die französisch-englische auseinandergeht, und auch nur bis dahin wird Palmerston sich nicht abhalten lassen, mit Sardinien und Italien zu coquettiren. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 567 Mein politisches Princip ist und bleibt der Kampf gegen die Revolution. Sie werden Bonaparte nicht davon überzeugen, daß er nicht auf der Seite der Revolution steht. Er will auch nirgends anders stehen, denn er hat davon seine entschiedenen Vortheile. Es ist hier also weder von Sympathie noch von Antipathie die Rede. Diese Stellung Bonapartes ist eine ,Realität', die Sie nicht ‚ignoriren' können. Daraus folgt aber keineswegs, daß man nicht höflich und nachgiebig, anerkennend und rücksichtsvoll gegen ihn sein, nicht daß man sich zu bestimmten Dingen mit ihm verbinden kann. Wenn aber mein Princip wie das des Gegensatzes gegen die Revolution ein richtiges ist, und ich glaube, daß Sie es auch als ein solches anerkennen, so muß man es auch in der Praxis stets festhalten, damit wenn die Zeit kommt, wo es praktisch wird, und diese Zeit muß kommen, wenn das Princip richtig ist, diejenigen, die wie vielleicht bald Oesterreich und auch England es anerkennen müssen, dann wissen, was sie von uns zu halten haben. Sie sagen selbst, daß man sich auf uns nicht verlassen kann, und (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 568 [1-170] es ist doch nicht zu verkennen, daß nur der zuverlässig ist, welcher nach bestimmten Grundsätzen und nicht nach schwankenden Begriffen von Interessen u. s. w. handelt. England und in seiner Art auch Oesterreich waren von 1793 bis 1813 völlig zuverlässig und fanden daher immer Verbündete trotz aller Niederlagen, welche die Franzosen ihnen beibrachten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 569 Was nun unsre deutsche Politik anbetrifft, so glaube ich, daß es doch unser Beruf ist, den kleinen Staaten die preußische Ueberlegenheit zu zeigen und sich nicht Alles gefallen zu lassen, so in den Zollvereins-Verhältnissen und bei vielen andern Gelegenheiten, bis zu den Jagdeinladungen, bis zu den Prinzen, die in unsre Dienste treten u. s. w. Hier, d. h. in Deutschland, ist auch der Ort, wo man Oesterreich, wie es mir scheint, entgegentreten muß; gleichzeitig wäre aber auch jede Blöße gegen Oesterreich zu vermeiden. Dies wäre meine Erwiderung auf Ihren Brief. Wenn ich aber noch über unsre außerdeutsche Politik reden soll, so kann ich es nicht auffallend und auch nicht ängstlich finden, wenn wir da in einer Zeit isolirt stehen, wo alle Verhältnisse auf den Kopf gestellt sind, England und Frankreich für jetzt noch so eng verbunden sind, daß Frankreich nicht den Muth hat, an Sicherheiten gegen die schweizer Radikalen zu denken, weil England es übel nehmen könnte, unterdessen aber dasselbe England in Furcht mit seinen Landungsvorbereitungen setzt und entschiedene Schritte zu einer russischen Allianz macht; Oesterreich in einem Bunde mit England, was dennoch fortwährend Italien aufwiegelt u. s. w. Wohin sollen wir uns da wenden nach Ihrer Ansicht, etwa wie es der hier anwesende Plonplon angedeutet haben soll, zu einer Allianz mit Frankreich und Rußland gegen Oesterreich und England? Aus einer solchen Allianz folgt aber unmittelbar ein überwiegender Einfluß Frankreichs in Italien, die gänzliche Revolutionirung dieses Landes und ebenfalls ein überwiegender Einfluß von Bonaparte in Deutschland. An diesem Einfluß würde man uns in den untergeordneten Sphären einigen Antheil lassen, aber keinen großen und (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 570 [1-171] keinen langen. Wir haben ja schon einmal Deutschland unter russischfranzösischem Einflusse gesehen 1801-1803, wo die Bisthümer säcularisirt und nach Pariser und Petersburger Vorschriften vertheilt wurden; Preußen, was sich damals gut mit den beiden Staaten und schlecht mit Oesterreich und England stand, erhielt auch etwas ab bei der Theilung, aber nicht viel und sein Einfluß war geringer als je. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 573 "... Berliner Nachrichten sagen mir, daß man mich am Hofe als Bonapartisten bezeichnet. Man thut mir Unrecht damit. Im Jahre 50 wurde ich von unsern Gegnern verrätherischer Hinneigung zu Oestreich angeklagt, und man nannte uns die Wiener in Berlin; später fand man, daß wir nach Juchten rochen, und nannte uns Spreekosaken. Ich habe damals auf die Frage, ob ich russisch oder westmächtlich sei, stets geantwortet, ich bin Preußisch, und mein Ideal für auswärtige Politiker ist die Vorurtheilsfreiheit, die Unabhängigkeit der Entschließungen von den Eindrücken der Abneigung oder Vorliebe für fremde Staaten und deren Regenten. Ich habe, was das Ausland anbelangt, in meinem Leben nur für England und seine Bewohner Sympathie gehabt und bin stundenweis noch nicht frei davon; aber die Leute wollen sich ja von uns nicht lieben lassen, und ich würde, sobald man mir nachweist, daß es im Interesse einer gesunden und wohldurchdachten preußischen Politik liegt, unsre Truppen mit derselben Genugthuung auf die französischen, russischen, englischen oder östreichischen feuern sehen. In Friedenszeiten halte ich es für muthwillige Selbstschwächung, sich Verstimmungen zuzuziehn oder solche zu unterhalten, ohne daß man einen praktischen politischen Zweck damit verbindet, und die Freiheit seiner künftigen Entschließungen und Verbindungen vagen und unerwiderten Sympathien zu opfern, Concessionen, wie sie Oestreich jetzt in Betreff Rastatts von uns (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 581 2. Frankreich, Rußland, Preußen eine triple alliance, in die Preußen nur eintritt, ‚ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der Dritte', und der schwächste bleibt, der Oestreich und England abwehrend und mistrauisch gegenübersteht, bewirkt unmittelbar den Sieg der ‚französischen Interessen', d. h. die Herrschaft in Italien zunächst und dann in Deutschland. 1801 bis 1804 vertheilten Rußland und Frankreich Deutschland und gaben Preußen ein Weniges ab. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 582 3. Worin unterscheidet sich die von Ihnen empfohlene Politik von der von Haugwitz von 1794-1805? Da war auch nur von einem ,Defensiv-System' die Rede. Thugut, Cobenzl, Lehrbach waren um nichts besser als Buol und Bach, Perfidien fielen Seitens Oestreichs auch vor, Rußland war noch unzuverlässiger als jetzt, dafür aber freilich England zuverlässiger. Der König war auch in seinem Herzen dieser Politik abgeneigt. ... (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 586 Die Politik des Defensiv-Systems in der Allianz mit Frankreich und Rußland durchzusetzen - ehemals nannte man das Neutralitätspolitik, bei der orientalischen Frage wollte England eine solche nicht dulden - wird Ihnen nicht schwer fallen, die Manteuffels und noch viele Andre stehen auf Ihrer Seite (S. Maj. im Herzen zwar nicht, aber doch mit der Passivität), und zwar diese alle, solange wie der Bonapartismus hält. Was kann aber unterdessen noch Alles geschehn? Ich würde mich aber sehr gefreut haben, wenn Sie dann völlig unvermischt mit demselben das Heft hätten ergreifen können. Der alte Bonaparte regierte 15 Jahr, Louis Philipp 18, glauben Sie, daß das jetzige Wesen länger halten wird? (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 594 [1-176] Wie viele Existenzen giebt es noch in der heutigen politischen Welt, die nicht in revolutionärem Boden wurzeln? Nehmen Sie Spanien, Portugal, Brasilien, alle amerikanischen Republiken, Belgien, Holland, die Schweiz, Griechenland, Schweden, das noch heut mit Bewußtsein in der glorious revolution von 1688 fußende England; selbst für das Terrain, welches die heutigen deutschen Fürsten theils Kaiser und Reich, theils ihren Mitständen, den Standesherrn, theils ihren eignen Landständen abgewonnen haben, läßt sich kein vollständig legitimer Besitztitel nachweisen, und in unserm eignen staatlichen Leben können wir der Benutzung revolutionärer Unterlagen nicht entgehn. Viele der berührten Zustände sind eingealtert, und wir haben uns an sie gewöhnt; es geht uns damit, wie mit allen den Wundern, welche uns täglich 24 Stunden lang umgeben, deßhalb aufhören, uns wunderbar zu erscheinen, und niemand abhalten, den Begriff des ‚Wunders' auf Erscheinungen einzuschränken, welche durchaus nicht wunderbarer sind als die eigne Geburt und das tägliche Leben des Menschen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 595 Wenn ich aber ein Prinzip als oberstes und allgemein durchgreifendes anerkenne, so kann ich das nur insoweit, als es sich unter allen Umständen und zu allen Zeiten bewahrheitet, und der Grundsatz quod ab initio vitiosum, lapsu temporis convalescere nequit bleibt der Doctrin gegenüber richtig. Aber selbst dann, wenn die revolutionären Erscheinungen der Vergangenheit noch nicht den Grad von Verjährung hatten, daß man von ihnen sagen konnte, wie die Hexe im Faust von ihrem Höllentrank: "Hier hab' ich eine Flasche, aus der ich selbst zuweilen nasche, die auch nicht mehr im mind'sten stinkt', hatte man nicht immer die Keuschheit, sich liebender Berührungen zu enthalten; Cromwell wurde von sehr antirevolutionären Potentaten ‚Herr Bruder' genannt und seine Freundschaft gesucht, wenn sie nützlich erschien; mit den Generalstaaten waren sehr ehrbare Fürsten im Bündniß, bevor sie von Spanien anerkannt wurden. Wilhelm von Oranien und seine Nachfolger in England galten, auch während die Stuarts noch (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 597 [1-178] Bethätigen derselben noch in dem Neuenburger Conflict, das alles hält uns nicht ab, die Beziehungen unsres Königs zu den Monarchen dieser Länder milder zu beurtheilen als diejenigen zu Napoleon III. Was steckt denn Besondres in dem Letzten und in der französischen Revolution überhaupt? Die unfürstliche Herkunft der Bonaparte thut viel, aber sie findet in Schweden auch statt, ohne dieselbe Consequenz. Liegt dieses ‚Besondre' grade in der Familie Bonaparte? Dieselbe hat weder die Revolution in die Welt gebracht, noch würde die Revolution beseitigt oder auch nur unschädlich gemacht, wenn man diese Familie ausrottete. Die Revolution ist viel älter als die Bonapartes und viel breiter in der Grundlage als Frankreich. Wenn man ihr einen irdischen Ursprung anweisen will, so wäre auch der nicht in Frankreich, sondern eher in England zu suchen, wenn nicht noch früher in Deutschland oder in Rom, je nachdem man die Auswüchse der Reformation oder die der römischen Kirche und die Einführung des römischen Rechtes in die germanische Welt als schuldig ansehn will. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 600 Der Trieb zum Erobern ist England, Nordamerika, Rußland und andern nicht minder eigen als dem Napoleonischen Frankreich, und sobald Macht und Gelegenheit dazu sich finden, ist es auch bei der legitimsten Monarchie schwerlich die Bescheidenheit oder die Gerechtigkeitsliebe, welche ihm Schranken setzt. Bei Napoleon III. scheint er als Instinct nicht zu dominiren; derselbe ist kein Feldherr, und im großen Kriege, mit großen Erfolgen oder Gefahren könnte es kaum fehlen, daß die Blicke der französischen Armee, der Trägerin seiner Herrschaft, sich mehr auf einen glücklichen General als auf den Kaiser richteten. Er wird daher den Krieg nur dann suchen, wenn er sich durch innre Gefahren dazu genöthigt glaubt. Eine solche Nöthigung würde aber für den legitimen König von Frankreich, wenn er jetzt zur Regirung käme, von Hause aus vorhanden sein. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 602 [1-180] würde es hinreichen, meine Ansicht zu erschüttern. Aber der Bonapartismus unterscheidet sich dadurch von der Republik, daß er nicht das Bedürfniß hat, seine Regirungsgrundsätze gewaltsam zu propagiren. Selbst der erste Napoleon hat den Ländern, welche nicht direct oder indirect zu Frankreich geschlagen wurden, seine Regirungsform nicht aufzudrängen versucht; man ahmte sie im Wetteifer freiwillig nach. Fremde Staaten mit Hülfe der Revolution zu bedrohn, ist heut zu Tage seit einer ziemlichen Reihe von Jahren das Gewerbe Englands, und wenn Louis Napoleon so gewollt hätte wie Palmerston, so würden wir in Neapel schon vor Jahr und Tag einen Ausbruch erlebt haben. Der französische Kaiser würde durch Ausbreitung revolutionärer Institutionen bei seinen Nachbarn Gefahren für sich selbst schaffen; er wird vielmehr, im Interesse der Erhaltung seiner Herrschaft und Dynastie, und bei seiner Ueberzeugung von der Fehlerhaftigkeit der heutigen Institutionen Frankreichs für sich selbst festere Grundlagen als die der Revolution zu gewinnen suchen. Ob er das kann, ist freilich eine andre Frage, aber er ist keineswegs blind für die Mangelhaftigkeit und die Gefahren des bonapartischen Regirungssystems, denn er spricht sich selbst darüber aus und beklagt sie. Die jetzige Regirungsform ist für Frankreich nichts Willkürliches, was Louis Napoleon einrichten oder ändern könnte; sie war für ihn ein Gegebenes und ist wahrscheinlich die einzige Methode, nach der Frankreich auf lange Zeit hin regirt werden kann; für alles andre fehlt die Grundlage entweder von Hause aus im National-Charakter, oder sie ist zerschlagen und verloren gegangen; und wenn Heinrich V. jetzt auf den Thron gelangte, er würde, wenn überhaupt, auch nicht anders regiren können. Louis Napoleon hat die revolutionären Zustände des Landes nicht geschaffen, die Herrschaft auch nicht in Auflehnung gegen eine rechtmäßig bestehende Autorität gewonnen, sondern sie als herrenloses Gut aus dem Strudel der Anarchie herausgefischt. Wenn er sie jetzt niederlegen wollte, so würde er Europa in Verlegenheit setzen, und man würde ihn ziemlich (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 603 [1-181] einstimmig bitten, zu bleiben; und wenn er sie an den Herzog von Bordeaux cedirte, so würde dieser sie sich ebensowenig erhalten können, als er sie zu erwerben vermochte. Wenn Louis Napoleon sich den élu de sept millions nennt, so erwähnt er damit einer Thatsache, die er nicht wegleugnen kann; er vermag sich keinen andern Ursprung zu geben, als er hat; daß er aber, nachdem er im Besitz der Herrschaft ist, dem Prinzip der Volkssouveränetät practisch zu huldigen fortführe und von dem Willen der Massen das Gesetz empfinge, wie das jetzt mehr und mehr in England einreißt, kann man von ihm nicht sagen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 605 [1-182] Ich finde das ‚Besondre', welches uns heut zu Tage bestimmt, grade die französische Revolution vorzugsweise als Revolution zu bezeichnen, nicht in der Familie Bonaparte, sondern in der örtlichen und zeitlichen Nähe der Ereignisse und in der Größe und Macht des Landes, auf dessen Boden sie sich zutragen. Deßhalb sind sie gefährlicher, aber ich finde es deßhalb noch nicht schlechter, mit Bonaparte in Beziehung zu stehn, als mit andern von der Revolution erzeugten Existenzen, oder mit Regirungen, welche sich freiwillig mit ihr identificiren, wie Oestreich, und für die Ausbreitung revolutionärer Grundsätze thätig sind, wie England. Ich will mit diesem allen keine Apologie der Personen und Zustände in Frankreich geben; ich habe für die erstern keine Vorliebe und halte die letztern für ein Unglück jenes Landes; ich will nur erklären, wie ich dazu komme, daß es mir weder sündlich noch ehrenrührig erscheint, mit dem von uns anerkannten Souverän eines wichtigen Landes in nähere Verbindung zu treten, wenn es der Gang der Politik mit sich bringt. Daß diese Verbindung an sich etwas Wünschenswerthes sei, sage ich nicht, sondern nur, daß alle andern Chancen schlechter sind, und daß wir, um sie zu bessern, durch die Wirklichkeit oder den Schein intimerer Beziehungen zu Frankreich hindurch müssen. Nur durch dieses Mittel können wir Oestreich so weit zur Vernunft und zur Verzichtleistung auf seinen überspannten Schwarzenbergischen Ehrgeiz bringen, daß es die Verständigung mit uns statt unsrer Uebervortheilung sucht, und nur durch dieses Mittel können wir die weitre Entwicklung der directen Beziehungen der deutschen Mittelstaaten zu Frankreich hemmen. Auch England wird anfangen zu erkennen, wie wichtig ihm die Allianz Preußens ist, wenn es erst fürchtet, sie an Frankreich zu verlieren. Also auch wenn ich mich auf Ihren Standpunkt der Neigung für Oestreich und England stellte, müssen wir bei Frankreich anfangen, um jene zur Erkenntniß zu bringen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 607 [1-183] spielen werden. Ich habe eine solche Allianz auch nie als etwas von uns zu Erstrebendes hingestellt, sondern als eine Thatsache, die wahrscheinlich früher oder später aus dem jetzigen décousu hervorgehn wird, ohne daß wir sie hindern können, mit der man also rechnen, über deren Wirkungen wir uns klar machen müssen. Ich habe hinzugefügt, daß wir sie, nachdem Frankreich um unsre Freundschaft wirbt, durch unser Eingehn auf diese Werbung vielleicht hindern, oder doch in der Wirkung modificiren, jedenfalls vermeiden können, als ‚der Dritte' in dieselbe zu treten. Verhältnißmäßig schwach werden wir in jeder Verbindung mit andern Großmächten erscheinen, so lange wir eben nicht stärker sind, als wir jetzt sind. Oestreich und England werden, wenn wir mit ihnen im Bunde sind, ihre Ueberlegenheit auch nicht grade in unserm Interesse geltend machen, das haben wir auf dem Wiener Congreß zu unserm Schaden erlebt. Oestreich kann uns keine Bedeutung in Deutschland gönnen, England keine Chancen maritimer Entwicklung in Handel oder Flotte, und ist neidisch auf unsre Industrie. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 608 Sie parallelisiren mich mit Haugwitz und der damaligen ‚Defensiv-Politik'. Die Verhältnisse damals waren aber andre. Frankreich war schon im Besitz der drohendsten Uebermacht, an seiner Spitze ein notorisch gefährlicher Eroberer, und auf England war dagegen sicher zu rechnen. Ich habe den Muth, den Baseler Frieden nicht zu tadeln; mit dem damaligen Oestreich und seinen Thugut, Lehrbach und Cobenzl war ebensowenig ein Bündniß auszuhalten, wie mit dem heutigen, und daß wir 1815 nur schlecht fortkamen, kann ich nicht auf den Baseler Frieden schieben, sondern wir konnten gegen die uns entgegenstehenden Interessen von England und Oestreich nicht aufkommen, weil unsre physische Schwäche im Vergleich mit den andern Großmächten nicht gefürchtet wurde. Die Rheinbundstaaten hatten noch ganz anders ‚gebaselt' wie wir und kamen doch in Wien vorzüglich gut fort. Daß wir aber 1805 nicht die Gelegenheit ergriffen, um Frankreichs Uebermacht (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 622 [1-188] seiner Herrschaft nicht, ebensowenig wie das Wesen des Hauses Habsburg-Lothringen durch den liberalen, ja revolutionären K. Joseph II. oder durch Franz Joseph mit seinem hochadligen Schwarzenberg und Barrikadenheld Bach geändert wird. Naturam expellas furca, sie kommt doch wieder. So kann sich kein Bonaparte von der Volkssouveränität lossagen, und er thut es auch nicht. Napoleon I. gab seine Bestrebungen, den revolutionären Ursprung loszuwerden, auf, wie das oben citirte Buch beweiset, z. B. als er den duc d'Enghien erschießen ließ; Napoleon III. wird es auch thun und hat es schon gethan, z. B. bei den Neuenburger Verhandlungen, wo ihm die beste, unter andern Umständen willkommne Gelegenheit gegeben war, die Schweiz zu restauriren. Er aber fürchtete sich vor Lord Palmerston und der Englischen Presse, was Walewski ehrlich eingestanden, Rußland fürchtet sich vor ihm, Oestreich vor ihm und vor England, und so kam diese schändliche Transaction zu Stande. - Wie merkwürdig: wir aber haben Augen und sehn nicht, haben Ohren und hören nicht, daß unmittelbar auf die Neuenburger Verhandlungen die Belgische Geschichte folgt, der Sieg der Liberalen über die Clericalen, die siegreiche Allianz der parlamentarischen Minorität und des Straßenaufruhrs über die parlamentarische Majorität. Hier darf von Seiten der legitimen Mächte nicht intervenirt werden, das würde Bonaparte gewiß nicht leiden, es wird aber, wenn es nicht noch einmal beschwichtigt wird, Seitens des Bonapartismus intervenirt werden, schwerlich aber zu Gunsten der Clericalen oder der Verfassung, sondern zu Gunsten des souveränen Volkes. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 626 [1-190] man aber feste Allianzen suchen, si, wie 1809 Kaiser Franz auf dem Ungarischen Reichstage sagte, totus mundus stultiziat? Englands Politik ging von 1800-1813 dahin. Bonaparte auf dem Continent zu beschäftigen, um ihn zu verhindern, in England zu landen, was er 1805 ernsthaft wollte. Jetzt rüstet Napoleon in allen seinen Häfen, um einst eine Landung möglich zu machen, und der leichtsinnige Palmerston verfeindet sich mit allen Continentalmächten. Oestreich fürchtet mit Recht für sein Italien und verfeindet sich mit Preußen und Rußland, den einzigen Mächten, die es ihm gönnen; es nähert sich Frankreich, was seit dem XIV. Jahrhundert lüstern nach Italien sieht, es treibt Sardinien auf das Aeußerste, was die Thüren und Eingänge Italiens in Händen hat, es liebäugelt mit Palmerston, der emsig bemüht ist, den Aufruhr dort zu erregen und zu erhalten. Rußland fängt an, im Innern zu liberalisiren und macht Frankreich den Hof. Mit wem soll man sich verbünden? Ist da etwas andres als abwarten möglich? (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 635 [1-193] sein, - "un dépôt que l'Europe coalisée un jour viendrait reprendre"; eine solche an Napoleon I. erinnernde Prätension sei für die gegenwärtigen Verhältnisse zu hoch; man würde sagen, Frankreichs Hand sei gegen Jedermann, und deshalb würde Jedermanns Hand gegen Frankreich sein. Vielleicht werde er unter Umständen zur Befriedigung des Nationalstolzes "une petite rectification des frontières" verlangen, könne aber ohne solche leben. Wenn er wieder eines Krieges bedürfen sollte, würde er denselben eher in der Richtung nach Italien suchen. Einerseits habe dieses Land doch immer eine große Affinität mit Frankreich, andrerseits sei das letztre an Landmacht und an Siegen zu Lande reich genug. Eine viel pikantere Befriedigung würden die Franzosen in einer Ausdehnung ihrer Seemacht finden. Er denke nicht daran, das Mittelmeer grade zu einem französischen See zu machen, "mais à peu près". Der Franzose sei kein Seemann von Natur, sondern ein guter Landsoldat, und eben deshalb seien Erfolge zur See ihm viel schmeichelhafter. Dies allein sei das Motiv, welches ihn hätte veranlassen können, zur Zerstörung der russischen Flotte im Schwarzen Meere zu helfen, da Rußland, wenn dereinst im Besitz eines so vortrefflichen Materials, wie die griechischen Matrosen, ein zu gefährlicher Rival im Mittelmeer werden würde. Ich hatte den Eindruck, daß der Kaiser in diesem Punkte nicht ganz aufrichtig war, daß ihm die Zerstörung der russischen Flotte eher leid that, und daß er sich nachträglich eine Rechtfertigung für das Ergebniß des Krieges zurecht machte, in den England unter seiner Mitwirkung nach dem Ausdruck seines Auswärtigen Ministers wie ein steuerloses Schiff hineingetrieben war - we are drifting into war. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 637 [1-194] Napoleon gehalten hätte. Es sei wünschenswerth, unser Gebiet durch die Erwerbung Hanovers und der Elbherzogthümer zu consolidiren, um damit die Unterlage einer stärkern preußischen Seemacht zu gewinnen. Es fehle an Seemächten zweiten Ranges, die durch Vereinigung ihrer Streitkräfte mit der französischen das jetzt erdrückende Uebergewicht Englands aufhöben. Eine Gefahr für sie selbst und für das übrige Europa könne darin nicht liegen, weil sie sich ja zu einseitig egoistisch-französischen Unternehmungen nicht einigen würden, nur für die Freiheit der Meere von der englischen Uebermacht. Zunächst wünsche er sich der Neutralität Preußens zu versichern für den Fall, daß er wegen Italien mit Oestreich in Krieg geriethe. Ich möge den König über dieses Alles sondiren. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 804 Der Fürst von Hohenzollern, der sich überzeugte, daß die Prinzessin und Schleinitz durch sie stärker waren als er, zog sich bald nachher von den Geschäften thatsächlich zurück, wenn er auch dem Namen nach bis zum September 1862 Ministerpräsident blieb. Die Leitung ging damit auch äußerlich auf Auerswald über, mit dem ich während der Zeit, die ich noch in Berlin zubrachte, in freundlichem Verkehr blieb. Er war von besonders liebenswürdigen Formen und hervorragender politischer Begabung; und nachdem ich zwei Jahr später Ministerpräsident geworden war, leistete er mir einen wohlwollenden Beistand, namentlich dadurch, daß er bei dem Kronprinzen die Bedenken und Besorgnisse über die Zukunft unsres Landes bekämpfte, die ihm von England aus gegen mich als Russenfreund beigebracht worden waren und die später zu dem Danziger Pronunciamiento führten. Auf seinem Sterbebette 1)ließ er den Kronprinzen zu sich bitten, warnte eindringlich vor den Gefahren, welche seine Opposition der Monarchie bereiten könnte, und bat den Prinzen, an mir festzuhalten 2). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 871 In Ermanglung jeder Art politischer Aufträge und Geschäfte ging ich auf kurze Zeit nach England und trat am 25. Juli eine längere Reise durch das südliche Frankreich an. In diese Zeit fällt die nachstehende Correspondenz. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 874 Ich habe mir neulich viele Fragen darüber vorgelegt, warum Sie telegraphisch Sich erkundigten, ob ich Ihren Brief vom 26. [v. M.] erhalten hätte. Ich habe nicht darauf geantwortet, weil ich etwas Neues über den Hauptgegenstand nicht geben, sondern nur empfangen konnte. Seitdem ist mir ein Courier zugegangen, der mir seit 14 Tagen telegraphisch angemeldet war und in dessen Erwartung ich 8 Tage zu früh von England zurückkam. Er brachte einen Brief von Bernstorff, in Antwort auf ein Urlaubsgesuch von mir. Ich bin hier jetzt überflüssig, weil kein Kaiser, kein Minister, kein Gesandter mehr hier ist. Ich bin nicht sehr gesund, und diese provisorische Existenz mit Spannung auf ‚ob und wie' ohne (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 937 [1-277]Selbstbewußtsein angesehn, daß wir nach allen uns widerfahrenen Geringschätzungen von Seiten Oestreichs und der Westmächte überhaupt das Bedürfniß empfanden, auf dem Congresse zugelassen zu werden und seinen Beschlüssen unsre Unterschrift hinzuzufügen. Unsre Stellung 1870 in den Londoner Besprechungen über das Schwarze Meer würde die Nichtigkeit dieser Ansicht bezeugt haben, wenn Preußen sich nicht in den Pariser Congreß in würdeloser Weise eingedrängt hätte. Als Manteuffel aus Paris zurückkehrte und am 20. und 21. April in Frankfurt mein Gast war, habe ich mir erlaubt, ihm mein Bedauern darüber auszusprechen, daß er nicht das victa Catoni zur Richtschnur genommen und uns die richtige unabhängige Stellung für die Eventualität der nach Lage der Dinge vorauszusehenden russisch-französischen gegenseitigen Annäherung angebahnt habe. Daß der Kaiser Napoleon damals die russische Freundschaft schon in Aussicht nahm, daß für maßgebende Kreise in England der Friedensschluß verfrüht erschien, konnte in dem Auswärtigen Amte in Berlin nicht zweifelhaft sein. Wie würdig und unabhängig wäre unsre Stellung gewesen, wenn wir uns nicht in den Pariser Congreß in einer demüthigenden Weise eingedrängt, sondern bei mangelnder rechtzeitiger Einladung unsre Betheiligung versagt hätten. Bei angemessener Zurückhaltung würden wir in der neuen Gruppirung umworben worden sein, und schon äußerlich wäre unsre Stellung eine würdigere gewesen, wenn wir unsre Einschätzung als europäische Großmacht nicht von diplomatischen Gegnern abhängig gemacht, sondern lediglich auf unser Selbstbewußtsein basirt hätten, indem wir uns des Anspruchs auf Betheiligung an europäischen Abmachungen enthielten, welche für Preußen kein Interesse hatten, als höchstens nach Analogie der Reichenbacher Convention das der Eitelkeit des Prestige und des Mitredens in Dingen, die unsre Interessen nicht berührten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 975 Die andern europäischen Völker bedürfen einer solchen Vermittlung für ihren Patriotismus und ihr Nationalgefühl nicht. Polen, Ungarn, Italiener, Spanier, Franzosen würden unter einer jeden Dynastie oder ganz ohne eine solche ihren einheitlichen Zusammenhang als Nation bewahren. Die germanischen Stämme des Nordens, die Schweden und Dänen, haben sich von dynastischer Sentimentalität ziemlich frei erwiesen, und in England gehört zwar der äußerliche Respect vor der Krone zu den Erfordernissen der guten Gesellschaft und wird die formale Erhaltung des Königthums (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1021 Nachdem ich dennoch Minister geworden war, stand zunächst die innere Politik mehr im Vordergrunde, als die äußere; in dieser aber lagen mir die Beziehungen zu Rußland Dank meiner jüngsten Vergangenheit besonders nahe, und ich war bestrebt, unsrer Politik den Besitz an Einfluß in Petersburg, den wir dort hatten, nach Möglichkeit zu erhalten. Es lag auf der Hand, daß die preußische Politik in deutscher Richtung damals von Oestreich keine Unterstützung zu erwarten hatte. Es war nicht wahrscheinlich, daß das Wohlwollen Frankreichs für unsre Stärkung und die deutsche Einigung auf die Dauer ehrlich sein werde, eine Ueberzeugung, die nicht hindern durfte, vorübergehende, auf irrthümlichen Berechnungen beruhende Unterstützung und Förderung Napoleons utiliter anzunehmen. Mit Rußland waren wir in derselben Lage wie mit England, insoweit als wir mit beiden prinzipielle divergirende Interessen nicht hatten und durch langjährige Freundschaft (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1022 [1-310] verbunden waren. Von England konnten wir platonisches Wohlwollen und belehrende Briefe und Zeitungsartikel, aber schwerlich mehr erwarten. Der zarische Beistand ging, wie die ungarische Expedition des Kaisers Nicolaus gezeigt hatte, unter Umständen über die wohlwollende Neutralität hinaus. Daß er zu unsern Gunsten das thun würde, darauf ließ sich nicht rechnen, wohl aber lag es nicht außerhalb der möglichen Rechnung, daß Kaiser Alexander bei französischen Versuchen zum Eingreifen in die deutsche Frage uns in deren Abwehr wenigstens diplomatisch beistehn würde. Die Stimmung dieses Monarchen, die mich zu der Annahme berechtigte, hat sich noch 1870 erkennen lassen, während wir damals das neutrale und befreundete England mit seinen Sympathien auf französischer Seite fanden. Wir hatten also nach meiner Meinung allen Grund, jede Sympathie, welche Alexander II. im Gegensatz zu vielen seiner Unterthanen und höchsten Beamten für uns hegte, wenigstens insoweit zu pflegen, als nöthig war, um Rußlands Parteinahme gegen uns nach Möglichkeit zu verhüten. Es ließ sich damals nicht mit Sicherheit voraussehn, ob und wie lange dieses politische Kapital der zarischen Freundschaft sich werde praktisch verwerthen lassen. Jedenfalls aber empfahl der einfache gesunde Menschenverstand, es nicht in den Besitz unsrer Gegner gerathen zu lassen, die wir in den Polen, den polonisirenden Russen und im letzten Abschluß wahrscheinlich auch in den Franzosen zu sehn hatten. Oestreich hatte damals in erster Linie die Rivalität mit Preußen auf deutschem Gebiet im Auge und konnte sich mit der polnischen Bewegung leichter abfinden als wir oder als Rußland, weil der katholische Kaiserstaat ungeachtet der Reminiscenzen von 1846 und der auf die Köpfe polnischer Edelleute gesetzten Preise doch unter diesen und der Geistlichkeit immer viel mehr Sympathie besaß als Preußen und Rußland. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1024 [1-311] mit den Westmächten zu Gunsten der polnischen Bewegung bewies, daß Oestreich die russische Rivalität in einem wieder auferstandenen Polen nicht fürchtete. Hatte es doch dreimal, im April, im Juni und unter dem 12. August mit Frankreich und England gemeinsame Schritte zu Gunsten der Polen in Petersburg gethan. "Wir haben", heißt es in der östreichischen Note vom 18. Juni 1), "nach den Bedingungen geforscht, durch die dem Königreiche Polen Ruhe und Frieden wiedergegeben werden könnten, und sind dahin gelangt, diese Bedingungen in den folgenden sechs Punkten zusammen zu fassen, die wir der Erwägung des Cabinets von Sankt Petersburg empfehlen: 1. Vollständige und allgemeine Amnestie, 2. Nationale Vertretung, welche an der Gesetzgebung des Landes theilnimmt und Mittel einer wirksamen Controlle besitzt, 3. Ernennung von Polen zu den öffentlichen Aemtern in solcher Weise, daß eine besondre nationale und dem Lande Vertrauen einflößende Administration gebildet werde, 4. Volle und gänzliche Gewissensfreiheit und Aufhebung der die Ausübung des katholischen Cultus treffenden Beschränkungen, 5. Ausschließlicher Gebrauch der polnischen Sprache als amtlicher Sprache in der Verwaltung, der Justiz und dem Unterrichtswesen, 6. Einführung eines regelmäßigen und gesetzlichen Rekrutirungssystems." Den Vorschlag Gortschakows, daß Rußland, Oestreich und Preußen sich in's Einvernehmen setzen möchten, um das Loos ihrer betreffenden polnischen Unterthanen festzustellen, wies die östreichische Regirung mit der Erklärung zurück, "daß das zwischen den drei Cabineten von Wien, London und Paris hergestellte Einverständniß ein Band zwischen ihnen bildet, von dem Oestreich sich jetzt nicht loslösen kann, um abgesondert mit Rußland zu unterhandeln". Es war das die Situation, in welcher Kaiser Alexander Sr. Majestät in eigenhändigem Schreiben nach Gastein den Entschluß, den Degen zu ziehn, kundgab und Preußens Bündniß verlangte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1054 [1-321] damalige Auffassung bestätigt. Wenn eine ganze Schule von politischen Schriftstellern ein Vierteljahrhundert lang das, was sie die englische Verfassung nannten, und wovon sie keine eindringende Kenntniß besaßen, den festländischen Völkern als Muster gepriesen und zur Nachahmung empfohlen hatten, so war es erklärlich, daß die Kronprinzessin und ihre Mutter das eigenthümliche Wesen des preußischen Staates, die Unmöglichkeit verkannten, ihn durch wechselnde parlamentarische Gruppen regiren zu lassen, war es erklärlich, daß aus diesem Irrthume sich der andre erzeugte, es würden sich in dem Preußen des 19. Jahrhunderts die innern Kämpfe und Katastrophen Englands im 17. wiederholen, wenn nicht das System, durch welches jene Kämpfe zum Abschluß kamen, bei uns eingeführt werde. Ich habe nicht feststellen können, ob die mir damals zugegangene Nachricht wahr ist, daß im April 1863 die Königin Augusta durch den Präsidenten Ludolf Camphausen und die Kronprinzessin durch den Baron von Stockmar kritisirende Denkschriften über die innern Zustände Preußens ausarbeiten ließen und zur Kenntniß des Königs gebracht haben; daß aber die Königin, zu deren Umgebung der Legationsrath Meyer gehörte, mit der Besorgniß vor Stuartischen Katastrophen erfüllt war, wußte ich und fand es schon 1862 ausgeprägt in der gedrückten Stimmung, in der der König aus Baden von der Geburtstagsfeier seiner Gemalin zurückkehrte 1). Die im Kampfe mit dem Königthume liegende, von Tag zu Tag auf den Sieg rechnende Fortschrittspartei versäumte es nicht, in der Presse und durch die Personen einzelner Führer die Situation unter die Beleuchtung zu stellen, welche auf weibliche Gemüther besonders wirksam sein mußte. 1) S. o. S. 283 ff. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1109 Das Ansehn Deutschlands nach außen hing in beiden Gestaltungen, der dualistischen und der östreichischen, von dem Grade fester Einigkeit ab, den die eine und die andre der Gesammtnation gewährt haben würde. Daß Oestreich und Preußen, sobald sie einig, eine Macht in Europa darstellen, welche leichtfertig anzugreifen keine der andern Mächte geneigt war, hat der ganze Verlauf der dänischen Verwicklungen gezeigt. So lange Preußen allein, wenn auch in Verbindung mit dem stärksten Ausdruck der öffentlichen Meinung des deutschen Volkes, einschließlich der Mittelstaaten, die Sache in der Hand hatte, kam sie nicht vorwärts und führte zu Abschlüssen, wie der Waffenstillstand von Malmö und die Olmützer Convention. Sobald es gelungen war, Oestreich unter Rechberg für eine mit Preußen übereinstimmende Action zu gewinnen, wurde das Schwergewicht der beiden deutschen Großstaaten stark genug, um die Einmischungsgelüste, welche andre Mächte haben konnten, zurückzuhalten. England hat im Laufe der neuern Geschichte jederzeit das Bedürfniß der Verbindung mit einer der continentalen Militärmächte gehabt und die Befriedigung desselben, je nach dem Standpunkt der englischen Interessen, bald in Wien, bald in Berlin gesucht, ohne, bei plötzlichem Uebergang von einer Anlehnung an die andre, wie im siebenjährigen Kriege, scrupulöse Bedenken gegen den Vorwurf des Imstichlassens alter Freunde zu hegen. Wenn aber die beiden Höfe einig und (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1223 ... Leider läßt mir die Politik nicht ganz die Ruhe, deren man im Bade bedarf: es ist dabei mehr die allgemeine Unruhe und Ungeduld als eine wirkliche Gefährdung des Friedens, für Deutschland wenigstens, wodurch die unfruchtbaren Arbeiten der Diplomaten veranlaßt werden. Unfruchtbar sind sie nothwendig, so lange der Kampf innerhalb der türkischen Grenzen zu keiner Entscheidung gediehen sein wird. Wie die letztre auch ausfallen möge, so wird die Verständigung zwischen Rußland und England bei gegenseitiger Aufrichtigkeit immer möglich sein, da - und so lange - Rußland nicht nach dem Besitze von Constantinopel strebt. Sehr viel schwieriger wird auf die Dauer die Vermittlung zwischen den östreichisch-ungarischen und den russischen Interessen sein; bisher aber sind beide Kaiserhöfe noch einig, und ich bin überzeugt, Eurer Majestät Allerhöchste Billigung zu finden, wenn ich die Erhaltung dieser Einigkeit als eine Hauptaufgabe deutscher Diplomatie ansehe. Es würde eine große Verlegenheit für Deutschland sein, zwischen diesen beiden so eng befreundeten Nachbarn optiren zu sollen; denn ich zweifle nicht daran, im Sinne Eurer Majestät und aller deutscher Fürsten zu handeln, wenn ich in unsrer Politik den Grundsatz vertrete, daß Deutschland nur zur Wahrung zweifelloser deutscher Interessen sich an einem Kriege freiwillig betheiligen sollte. Die türkische Frage, so lange sie sich innerhalb der türkischen Grenzen entwickelt, berührt meines unterthänigsten Dafürhaltens keine kriegswürdigen deutschen Interessen; auch ein Kampf zwischen Rußland und einer der Westmächte oder beiden kann sich entwickeln, ohne (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1237 [1-362] daß ich nicht nur die innern, sondern auch die auswärtigen Geschäfte des Reichs ihm gegenüber mit der vertrauensvollen Offenheit werde besprechen können, die mir dem Vertreter Eurer Majestät gegenüber ein geschäftliches und ein persönliches Bedürfniß ist. Für den Augenblick ist unsre Stellung zum Auslande noch dieselbe, wie während des ganzen Winters, und die Hoffnung, daß uns der Krieg nicht berühren werde, ungeschwächt. Das Vertrauen Rußlands auf die Zuverlässigkeit unsrer nachbarlichen Politik hat ersichtlich zugenommen, und damit auch die Aussicht, solche Entwicklungen zu verhüten, gegen welche Oestreich einzuschreiten durch seine Interessen genöthigt werden könnte. Die guten Beziehungen der beiden Kaiserreiche zu einander zu erhalten, bleiben wir mit Erfolg bestrebt. Unsre Freundschaft mit England hat bisher darunter nicht gelitten, und auch die am dortigen Hof durch politische Intriganten angebrachten Gerüchte, als könne Deutschland Absichten auf die Erwerbung von Holland haben, konnten nur in hohen Damenkreisen vorübergehend Anklang finden; die Verleumder werden nicht müde, aber die Gläubigen scheinen es endlich zu werden. Unter diesen Umständen ist die äußere Politik des Reiches im Stande, ihre Aufmerksamkeit ungeschwächt dem Vulkan im Westen zuzuwenden, der Deutschland seit 300 Jahren so oft mit seinen Ausbrüchen überschüttet hat. Ich traue den Versicherungen nicht, die wir von dort erhalten, kann aber doch dem Reiche keinen andern Rath geben, als wohlgerüstet und Gewehr bei Fuß den etwaigen neuen Anfall abzuwarten ... (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 12 [2-7] sagen, dies sei eine Selbsttäuschung. Vielleicht steigen mein Patriotismus und meine Urtheilskraft in Ihrer Ansicht, wenn ich Ihnen sage, daß ich mich seit 14 Tagen auf der Basis der Vorschläge befinde, die Sie in Ihrem Bericht Nro. — machen. Mit einiger Mühe habe ich Oestreich bestimmt, die holsteinischen Stände zu berufen, falls wir es in Frankfurt durchsetzen; wir müssen erst darin sein im Lande. Die Prüfung der Erbfolgefrage am Bunde erfolgt mit unserm Einverständniß, wenn wir auch mit Rücksicht auf England nicht dafür stimmen; ich hatte Sydow ohne Instruction gelassen, er ist zur Ausführung subtiler Instructionen nicht gemacht. Vielleicht werden noch andre Phasen folgen, die Ihrem Programm nicht sehr fern liegen; wie aber soll ich mich entschließen, mich über meine letzten Gedanken frei gegen Sie auszulassen, nachdem Sie mir politisch den Krieg erklärt haben und sich ziemlich unumwunden zu dem Vorsatz bekennen, das jetzige Ministerium und seine Politik zu bekämpfen, also zu beseitigen? Ich urtheile dabei blos nach dem Inhalt Ihres Schreibens an mich und lasse alles bei Seite, was mir durch Colportage und dritte Hand über Ihre mündlichen und schriftlichen Auslassungen in Betreff meiner zugeht. Und doch muß ich als Minister, wenn das Staatsinteresse nicht leiden soll, gegen den Botschafter in Paris rückhaltlos offen bis zum letzten Worte meiner Politik sein. Die Friction, welche Jeder in meiner Stellung mit den Ministern und Räthen, am Hofe, mit den occulten Einflüssen, Kammern, Presse, den fremden Höfen zu überwinden hat, kann nicht dadurch vermehrt werden, daß die Disciplin meines Ressorts einer Concurrenz zwischen dem Minister und dem Gesandten Platz macht, und daß ich die unentbehrliche Einheit des Dienstes durch Discussion im Wege des Schriftwechsels herstelle. Ich kann selten so viel schreiben wie heut in der Nacht am heiligen Abend, wo alle Beamte beurlaubt sind, und ich würde an niemanden als an Sie den vierten Theil des Briefes schreiben. Ich thue es, weil ich mich nicht entschließen kann, Ihnen amtlich und durch die Bureaus in derselben Höhe des Tones zu schreiben, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 19 [2-10] in dieser Richtung entwickelte öffentliche Meinung, auch der Präsident Ludwig von Gerlach, ein kindliches Vertrauen zu dem Beistande, den England dem isolirten Preußen leisten würde. Viel leichter als die englische wäre die französische Genossenschaft zu erlangen gewesen, wenn wir den Preis hätten zahlen wollen, den sie uns voraussichtlich gekostet haben würde. Ich habe nie in der Ueberzeugung geschwankt, daß Preußen, gestützt nur auf die Waffen und Genossen von 1848, öffentliche Meinung, Landtage, Vereine, Freischaaren und die kleinen Contingente in ihrer damaligen Verfassung, sich auf ein hoffnungsloses Beginnen eingelassen und unter den großen Mächten nur Feinde gefunden hätte, auch in England. Ich hätte den Minister als Schwindler und Landesverräther betrachtet, der in die falsche Politik von 1848, 49, 50 zurückgefallen wäre, die uns ein neues Olmütz bereiten mußte. Sobald aber Oestreich mit uns war, schwand die Wahrscheinlichkeit einer Coalition der andern Mächte gegen uns. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 172 Von England durften wir einen activen Beistand gegen den Kaiser Napoleon nicht erwarten, obschon die englische Politik einer starken befreundeten Continentalmacht mit vielen Bataillonen bedarf und dieses Bedürfniß unter Pitt, Vater und Sohn, zu Gunsten Preußens, später Oestreichs, und dann unter Palmerston bis zu den spanischen Heirathen, dann wieder unter Clarendon zu Gunsten Frankreichs gepflegt hatte. Das Bedürfniß der englischen Politik war entweder entente cordiale mit Frankreich oder Besitz eines starken Bundesgenossen gegen Frankreichs Feindschaft. England ist wohl bereit, das stärkere Deutsch-Preußen als Ersatz für Oestreich hinzunehmen, und in der Lage vom Herbst 1866 konnten wir auf platonisches Wohlwollen und belehrende Zeitungsartikel dort allenfalls zählen; aber bis zum activen Beistande zu Wasser und zu Lande würde sich die theoretische Sympathie schwerlich verdichtet haben. Die Vorgänge von 1870 haben gezeigt, daß ich in der Einschätzung Englands Recht hatte. Mit einer für uns jedenfalls verstimmenden Bereitwilligkeit übernahm man in London die Vertretung Frankreichs in Norddeutschland, und während des (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 197 Die geographische Lage der drei großen Ostmächte ist der Art, daß eine jede von ihnen, sobald sie von den beiden andern angegriffen wird, sich strategisch im Nachtheil befindet, auch wenn sie in Westeuropa England oder Frankreich zum Verbündeten hat. Am meisten würde Oestreich, isolirt, gegen einen russisch-deutschen Angriff im Nachtheil sein, am wenigsten Rußland gegen Oestreich und Deutschland; aber auch Rußland würde bei einem concentrischen Vorstoß der beiden deutschen Mächte gegen den Bug zu Anfang des Krieges in einer schwierigen Lage sein. Bei seiner geographischen Lage und ethnographischen Gestaltung ist Oestreich im Kampfe gegen die beiden benachbarten Kaiserreiche deshalb sehr im Nachtheil, weil die französische Hülfe kaum rechtzeitig eintreffen würde, um das Gleichgewicht herzustellen. Wäre aber Oestreich einer deutsch- russischen Coalition von Hause aus unterlegen, wäre durch einen klugen Friedensschluß der drei Kaiser unter sich das gegnerische Bündniß gesprengt oder auch nur durch eine Niederlage Oestreichs geschwächt, so wäre das deutsch-russische Uebergewicht entscheidend. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 202 Die Versuchung war groß gewesen für einen Monarchen, dessen Stellung den maßlosen Angriffen der Fortschrittspartei und dem Druck der östreichischen Diplomatie nicht blos auf dem nationalen Gebiete des Frankfurter Fürstencongresses, sondern auch auf dem polnischen von Seiten der drei großen verbündeten Mächte England, Frankreich und Oestreich ausgesetzt war. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 297 [2-104] zurückgeschreckt war, würde ich auch den der italienischen Republikaner für annehmbar gehalten haben, wenn es sich um Verhütung der Niederlage und um Vertheidigung unsrer nationalen Selbständigkeit gehandelt hätte. Die Velleitäten des Königs von Italien und des Grafen Beust, die durch unsre ersten glänzenden Erfolge zurückgedrängt waren, konnten bei der Stagnation vor Paris um so leichter wieder aufleben, als wir in den maßgebenden Kreisen eines so gewichtigen Factors wie England über zuverlässige Sympathien und namentlich über solche, welche bereit gewesen wären, sich auch nur diplomatisch zu bethätigen, keineswegs verfügen konnten. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 313 [2-110] wenn unsre Truppen vor Paris, im Westen, Norden und Osten Frankreichs vor Seuchen bewahrt blieben. Die Frage, wie der Gesundheitszustand des deutschen Heeres sich in den Beschwerden eines so ungewöhnlich harten Winters bewähren werde, entzog sich jeder Berechnung. Es war unter diesen Umständen keine übertriebene Aengstlichkeit, wenn ich in schlaflosen Nächten von der Sorge gequält wurde, daß unsre politischen Interessen nach so großen Erfolgen durch das zögernde Hinhalten des weitern Vorgehns gegen Paris schwer geschädigt werden könnten. Eine weltgeschichtliche Entscheidung in dem Jahrhunderte alten Kampfe zwischen den beiden Nachbarvölkern stand auf dem Spiele und in Gefahr, durch persönliche und vorwiegend weibliche Einflüsse ohne historische Berechtigung gefälscht zu werden, durch Einflüsse, die ihre Wirksamkeit nicht politischen Erwägungen verdankten, sondern Gemüthseindrücken, welche die Redensarten von Humanität und Civilisation, die aus England bei uns importirt werden, auf deutsche Gemüther noch immer haben; war uns doch während des Krimkrieges von England aus nicht ohne Wirkung auf die Stimmung gepredigt worden, daß wir „zur Rettung der Civilisation“ die Waffen für die Türken ergreifen müßten. Die entscheidenden Fragen konnten, wenn man wollte, als ausschließlich militärische behandelt werden, und man konnte das als Vorwand nehmen, um mir das Recht der Betheiligung an der Entscheidung zu versagen; sie waren aber doch solche, von deren Lösung die diplomatische Möglichkeit in letzter Instanz abhing, und wenn der Abschluß des französischen Krieges ein weniger günstiger für Deutschland gewesen wäre, so blieb auch dieser gewaltige Krieg mit seinen Siegen und seiner Begeisterung ohne die Wirkung, die er für unsre nationale Einigung haben konnte. Es war mir niemals zweifelhaft, daß der Herstellung des Deutschen Reiches der Sieg über Frankreich vorhergehn mußte, und wenn es uns nicht gelang, ihn diesmal zum vollen Abschluß zu bringen, so waren weitre Kriege ohne vorgängige Sicherstellung unsrer vollen Einigung in Sicht. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 321 Wenn man sich fragt, was andre Generale bestimmt haben kann, die Ansicht Roons zu bekämpfen, so wird es schwer, sachliche Gründe für die Verzögerung der gegen die Jahreswende ergriffenen Maßregeln aufzufinden. Von dem militärischen wie von dem politischen Standpunkte erscheint das zögernde Vorgehn widersinnig und gefährlich, und daß die Gründe nicht in der Unentschlossenheit unsrer Heeresleitung zu suchen waren, darf man aus der raschen und entschlossenen Führung des Krieges bis vor Paris schließen. Die Vorstellung, daß Paris, obwohl es befestigt und das stärkste Bollwerk der Gegner war, nicht wie jede andre Festung angegriffen werden dürfe, war aus England auf dem Umwege über Berlin in unser Lager gekommen, mit der Redensart von dem „Mekka der Civilisation“ und andern in dem cant der öffentlichen Meinung in England üblichen und wirksamen Wendungen der Humanitätsgefühle, deren Bethätigung England von allen andern Mächten erwartet, aber seinen eignen Gegnern nicht immer zu Gute kommen läßt. Von London wurde bei unsern maßgebenden Kreisen der Gedanke vertreten, daß die Uebergabe von Paris nicht durch Geschütze, sondern nur durch Hunger herbeigeführt werden dürfe. Ob der letztre Weg der menschlichere war, darüber kann man streiten, auch darüber, ob die Greuel der Commune zum Ausbruch gekommen sein würden, wenn nicht die Hungerzeit das Freiwerden der anarchischen Wildheit vorbereitet hätte. Es mag dahingestellt bleiben, ob bei der englischen Einwirkung zu Gunsten der (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 322 [2-114] Humanität des Aushungerns nur Empfindsamkeit und nicht auch politische Berechnung im Spiele war. England hatte kein praktisches Bedürfniß, weder uns noch Frankreich vor Schädigung und Schwächung durch den Krieg zu behüten, weder wirthschaftlich noch politisch. Jedenfalls vermehrte die Verschleppung der Ueberwältigung von Paris und des Abschlusses der kriegerischen Vorgänge für uns die Gefahr, daß die Früchte unsrer Siege uns verkümmert werden könnten. Vertrauliche Nachrichten aus Berlin ließen erkennen, daß in den sachkundigen Kreisen der Stillstand unsrer Thätigkeit Besorgniß und Unzufriedenheit erregte, und daß man der Königin Augusta einen brieflichen Einfluß auf ihren hohen Gemal im Sinne der Humanität zuschrieb. Eine Andeutung, die ich dem Könige über Nachrichten derart machte, hatte einen lebhaften Zornesausbruch zur Folge, nicht in dem Sinne, daß die Gerüchte unbegründet seien, sondern in einer scharfen Bedrohung jeder Aeußerung einer derartigen Verstimmung gegen die Königin. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 497 Mir lag eine solche damals und später so fern, daß ich eher zurückgetreten sein würde, als zu einem vom Zaune zu brechenden Kriege die Hand zu bieten, der kein andres Motiv gehabt haben würde, als Frankreich nicht wieder zu Athem und zu Kräften kommen zu lassen. Ein solcher Krieg hätte meiner Ansicht nach nicht zu haltbaren Zuständen in Europa auf die Dauer geführt, wohl aber eine Uebereinstimmung von Rußland, Oestreich und England in Mißtrauen und eventuell in activem Vorgehn einleiten können gegen das neue und noch nicht consolidirte Reich, das damit die Wege betreten haben würde, auf denen das erste und das zweite französische Kaiserreich in einer fortgesetzten Kriegs- und Prestige-Politik ihrem Untergange entgegengingen. Europa würde (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 618 [2-216] Achtundzwanzigstes Kapitel: Berliner Congreß. der russischen Regirung, vermittelst eines Congresses zu dem Frieden mit der Türkei zu gelangen, bewies, daß sie sich militärisch nicht stark genug fühlte, es auf Krieg mit England und Oestreich ankommen zu lassen, nachdem die rechtzeitige Besetzung von Constantinopel einmal versäumt war. Für die Mißgriffe der russischen Politik theilt Fürst Gortschakow ohne Zweifel mit jüngern und energischeren Gesinnungsgenossen die Verantwortlichkeit, aber frei davon ist er nicht. Wie stark seine Stellung, nach den russischen Traditionen gemessen, dem Kaiser gegenüber war, zeigt die Thatsache, daß er gegen den ihm bekannten Wunsch seines Herrn an dem Berliner Congresse als Vertreter Rußlands theilnahm. Indem er, gestützt auf seine Eigenschaft als Reichskanzler und auswärtiger Minister, seinen Sitz einnahm, entstand die eigenthümliche Situation, daß der vorgesetzte Reichskanzler und der seinem Ressort unterstellte Botschafter Schuwalow neben einander figurirten, der Träger der russischen Vollmacht aber nicht der Reichskanzler sondern der Botschafter war 1). (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 619 Diese vielleicht actenmäßig nur aus den russischen Archiven und vielleicht auch aus diesen nicht nachweisbare, aber nach meiner Wahrnehmung unzweifelhafte Situation zeigt, daß auch in einer Regirung mit so einheitlicher und absoluter Spitze, wie der russischen, die Einheit der politischen Action nicht gesichert ist. Sie ist es vielleicht in höherm Grade in England, wo der leitende Minister und die Berichte, die er empfängt, der öffentlichen Kritik unterliegen, während in Rußland nur der jedesmalige Kaiser in der Lage ist, je nach seiner Menschenkenntniß und Befähigung zu beurtheilen, welcher von seinen berichtenden und vortragenden Dienern irrt oder ihn belügt, und von welchem er die Wahrheit erfährt. Ich will damit nicht sagen, daß der laufende Dienst des auswärtigen Amtes in London klüger betrieben wird als in Petersburg, aber die englische Regirung geräth seltener als die russische in die Nothwendigkeit, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 621 [2-217] Irrthümer ihrer Untergebenen durch Unaufrichtigkeit wieder gut zu machen. Lord Palmerston hat freilich am 4. April 1856 im Unterhause mit einer von der Masse der Mitglieder wahrscheinlich nicht verstandenen Ironie gesagt, die Auswahl der dem Parlamente vorzulegenden Schriftstücke über Kars habe große Sorgfalt und Aufmerksamkeit von Personen, die nicht eine untergeordnete, sondern eine hohe Stellung im Auswärtigen einnähmen, erfordert. Das Blaubuch über Kars, die castrirten Depeschen von Sir Alexander Burnes aus Afghanistan und die Mittheilungen der Minister über die Entstehung der Note, welche die Wiener Conferenz 1854 dem Sultan anstatt der Mentschikowschen zur Unterzeichnung empfahl, sind Proben von der Leichtigkeit, mit welcher Parlament und Presse in England getäuscht werden können. Daß die Archive des Auswärtigen Amtes in London ängstlicher als irgendwo gehütet werden, läßt vermuthen, daß in ihnen noch manche ähnliche Probe zu entdecken sein würde. Im Ganzen wird man aber doch sagen dürfen, daß der Zar leichter zu belügen ist als das Parlament. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 679 Graf Schuwalow hatte vollkommen Recht, wenn er mir sagte, daß mir der Gedanke an Coalitionen böse Träume verursache 1). Wir hatten gegen zwei der europäischen Großmächte siegreiche Kriege geführt; es kam darauf an, wenigstens einen der beiden mächtigen Gegner, die wir im Felde bekämpft hatten, der Versuchung zu entziehn, die in der Aussicht lag, im Bunde mit andern Revanche nehmen zu können. Daß Frankreich das nicht sein konnte, lag für jeden Kenner der Geschichte und der gallischen Nationalität auf der Hand, und wenn ein geheimer Vertrag von Reichstadt ohne unsre Zustimmung und unser Wissen möglich war, so war auch die alte Kaunitzsche Coalition von Frankreich, Oestreich, Rußland nicht unmöglich, sobald die ihr entsprechenden, in Oestreich latent vorhandenen Elemente dort an das Ruder kamen. Sie konnten Anknüpfungspunkte finden, von denen aus sich die alte Rivalität, das alte Streben nach deutscher Hegemonie als Factor der östreichischen Politik wieder beleben ließ in Anlehnung, sei es an Frankreich, die zur Zeit des Grafen Beust und der Salzburger Begegnung mit Louis Napoleon, August 1867, in der Luft schwebte, sei es in Annäherung an Rußland, wie sie sich in dem geheimen Abkommen von Reichstadt erkennen ließ. Die Frage, welche Unterstützung Deutschland von England in einem solchen Falle zu erwarten haben würde, will ich nicht ohne Weitres im Rückblick auf die Geschichte des siebenjährigen Krieges und des Wiener Congresses beantworten, es aber doch als wahrscheinlich bezeichnen, daß ohne die Siege Friedrichs des Großen die Sache des Königs von Preußen damals noch früher von England wäre fallen gelassen worden. In dieser Situation lag die Aufforderung zu dem Versuch, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 701 In dieser Lage hat nun Rußland in den letzten Wochen an uns Forderungen gestellt, welche darauf hinausgehn, daß wir definitiv zwischen Rußland und Oestreich optiren sollen, indem wir die deutschen Mitglieder der orientalischen Commissionen anwiesen, in den zweifelhaften Fragen mit Rußland zu stimmen, während in diesen Fragen unsrer Meinung nach die richtige Auslegung der Congreßbeschlüsse auf Seiten der durch Oestreich, England und Frankreich gebildeten Majorität ist, und Deutschland deshalb mit dieser gestimmt hat, so daß Rußland theils mit, theils ohne Italien allein die Minorität bildet. Obschon diese Fragen, wie z. B. die Lage der Brücke bei Silistria, die der Türkei vom Congreß concedirte Militärstraße in Bulgarien, die Verwaltung der Post und Telegraphie und der Grenzstreit über einzelne Dörfer an sich im Vergleich mit dem Frieden großer Reiche sehr unbedeutende sind, so war das russische Verlangen, daß wir in Betreff derselben nicht mehr mit Oestreich, sondern mit Rußland stimmen sollten, nicht einmal, sondern wiederholt von unzweideutigen Drohungen begleitet bezüglich der Folgen, welche unsre Weigerung eventuell für die internationalen Beziehungen beider Länder haben würde. Diese auffällige Thatsache war, da sie mit dem Rücktritt des Grafen Andrassy *) zusammenfiel, geeignet, die Besorgniß zu erwecken, daß (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 704 Ich würde es für eine wesentliche Garantie des europäischen Friedens und der Sicherheit Deutschlands halten, wenn das Deutsche Reich auf eine solche Abmachung mit Oestreich einginge, welche zum Zweck hätte, den Frieden mit Rußland nach wie vor sorgfältig zu pflegen, aber wenn trotzdem eine der beiden Mächte angegriffen würde, einander beizustehn. Im Besitze dieser gegenseitigen Assecuranz könnten beide Reiche sich nach wie vor der erneuten Befestigung des Dreikaiserbundes widmen. Das Deutsche Reich im Bunde mit Oestreich würde der Anlehnung Englands nicht entbehren und bei der friedfertigen Politik der beiden großen Reichskörper den Frieden Europas mit zwei Millionen Streitern verbürgen. Der rein defensive Charakter dieser gegenseitigen Anlehnung der beiden deutschen Mächte aneinander könnte auch für niemand etwas Herausforderndes haben, da dieselbe gegenseitige Assecuranz beider in dem deutschen Bundesverhältniß von 1815 schon 50 Jahre völkerrechtlich bestanden hat. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 707 [2-242] Verhältniß zu Frankreich der gänzlichen Isolirung auf dem Continent ausgesetzt. Nähme Oestreich aber bei Frankreich und England Fühlung, ähnlich wie 1854, so wäre Deutschland auf Rußland allein angewiesen und wenn es sich nicht isoliren wollte, an die wie ich fürchte fehlerhaften und gefährlichen Bahnen der russischen innern und äußern Politik gebunden. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 757 Dieser Eventualität gegenüber ist es ein Vortheil für uns, daß Oestreich und Rußland entgegengesetzte Interessen im Balkan haben, und daß solche zwischen Rußland und Preußen-Deutschland nicht in der Stärke vorhanden sind, daß sie zu Bruch und Kampf Anlaß geben könnten. Dieser Vortheil kann aber vermöge der russischen Staatsverfassung durch persönliche Verstimmungen und ungeschickte Politik noch heut mit derselben Leichtigkeit aufgehoben werden, mit der die Kaiserin Elisabeth durch Witze und bittre Worte Friedrichs des Großen bewogen wurde, dem französisch-östreichischen Bunde gegen uns beizutreten. Zuträgereien, wie sie damals zur Aufhetzung Rußlands dienten, Erfindungen und Indiscretionen werden auch heut an beiden Höfen nicht fehlen; aber wir können Unabhängigkeit und Würde Rußland gegenüber wahren, ohne die russische Empfindlichkeit zu provociren und Rußlands Interessen zu schädigen. Verstimmung und Erbitterung, welche ohne Nothwendigkeit provocirt werden, sind heut so wenig ohne Rückwirkung auf die geschichtlichen Ereignisse, wie zur Zeit der Kaiserin Elisabeth von Rußland und der Königin Anna von England. Aber die Rückwirkung von Ereignissen, die dadurch gefördert werden, auf das Wohl und die Zukunft der Völker ist heut zu Tage gewaltiger als vor 100 Jahren. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 771 [2-262] Daß die Pforte auf ein russisches Protectorat in dieser Form eingehe, liegt nicht nur in der Möglichkeit, sondern, wenn die Sache geschickt betrieben wird, auch in der Wahrscheinlichkeit. Der Sultan hat in frühern Jahrzehnten glauben können, daß die Eifersucht der europäischen Mächte ihm gegen Rußland Garantien gewähre. Für England und Oestreich war es eine traditionelle Politik, die Türkei zu erhalten; aber die Gladstoneschen Kundgebungen haben dem Sultan diesen Rückhalt entzogen, nicht nur in London, sondern auch in Wien, denn man kann nicht annehmen, daß das Wiener Cabinet die Traditionen der Metternichschen Zeit (Ypsilanti, Feindschaft gegen die Befreiung Griechenlands) hätte in Reichstadt fallen lassen, wenn es der englischen Unterstützung sicher geblieben wäre. Der Bann der Dankbarkeit gegen den Kaiser Nicolaus war bereits durch Buol während des Krimkrieges gebrochen, und auf dem Pariser Congresse war die Haltung Oestreichs um so deutlicher in die alte Metternichsche Richtung zurückgetreten, als sie nicht durch die finanziellen Beziehungen jenes Staatsmannes zum russischen Kaiser gemildert, vielmehr durch Kränkung der Eitelkeit des Grafen Buol verschärft war. Das Oestreich von 1856 würde ohne die zersetzende Wirkung ungeschickter englischer Politik selbst um den Preis Bosniens sich weder von England noch von der Pforte losgesagt haben. So wie die Sachen aber heut liegen, ist es nicht wahrscheinlich, daß der Sultan von England oder Oestreich noch so viel Beistand und Schutz erwartet, wie ihm Rußland, ohne eigne Interessen Preis zu geben, zusagen und vermöge seiner Nachbarschaft erfolgreich gewähren kann. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 774 Wie auch diese Phase der von mir vorausgesetzten russischen Politik verlaufen mag, so wird aus derselben immer die Situation entstehn, daß Rußland wie im Juli 1853 ein Pfand nimmt und abwartet, ob man und wer es ihm wieder abnehmen werde. Der erste Schritt der russischen Diplomatie nach diesen seit lange vorbereiteten Operationen würde vielleicht eine vorsichtige Sondirung in Berlin sein, bezüglich der Frage, ob Oestreich oder England, wenn sie sich dem russischen Vorgehn kriegerisch widersetzten, auf die Unterstützung Deutschlands rechnen könnten. Diese Frage würde meiner Ueberzeugung nach unbedingt zu verneinen sein. Ich glaube, daß es für Deutschland nützlich sein würde, wenn die Russen auf dem einen oder andern Wege, physisch oder diplomatisch, sich in Konstantinopel festgesetzt und dasselbe zu vertheidigen hätten. Wir würden dann nicht mehr in der Lage sein, von England und gelegentlich auch von Oestreich als Hetzhund gegen russische Bosporus-Gelüste ausgebeutet zu werden, sondern abwarten können, ob Oestreich angegriffen wird und damit unser casus belli eintritt. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 775 Auch für die östreichische Politik wäre es richtiger, sich den Wirkungen des ungarischen Chauvinismus so lange zu entziehn, bis Rußland eine Position am Bosporus eingenommen und dadurch seine Frictionen mit den Mittelmeerstaaten, also mit England und selbst mit Italien und Frankreich, erheblich verschärft und sein Bedürfniß, sich mit Oestreich à l'amiable zu verständigen, gesteigert hätte. Wenn ich östreichischer Minister wäre, so würde ich die Russen nicht hindern, nach Konstantinopel zu gehn, aber eine (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 776 [2-264] Verständigung mit ihnen erst beginnen, nachdem sie den Vorstoß gemacht hätten. Die Betheiligung Oestreichs an der türkischen Erbschaft wird doch nur im Einverständnisse mit Rußland geregelt werden, und der östreichische Antheil um so größer ausfallen, je mehr man in Wien zu warten und die russische Politik zu ermuthigen weiß, eine weiter vorgeschobene Stellung einzunehmen. England gegenüber mag die Position des heutigen Rußland als verbessert gelten, wenn es Konstantinopel beherrscht, Oestreich und Deutschland gegenüber ist sie weniger gefährlich, so lange es in Konstantinopel steht. Es würde dann die preußische Ungeschicklichkeit nicht mehr möglich sein, uns wie 1855 für Oestreich, England, Frankreich auszuspielen und einzusetzen, um uns in Paris eine demüthigende Zulassung zum Congreß und eine mention honorable als europäische Macht zu verdienen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 779 Unser Ansehn und unsre Sicherheit werden sich um so nachhaltiger entwickeln, je mehr wir uns bei Streitigkeiten, die uns nicht unmittelbar berühren, in der Reserve halten und unempfindlich werden gegen jeden Versuch, unsre Eitelkeit zu reizen und auszubeuten, Versuche, wie sie während des Krimkrieges von der englischen Presse und dem englischen Hofe und den auf England gestützten Strebern an unserm eignen Hofe gemacht wurden, indem man uns mit der Entziehung der Titulatur einer Großmacht so erfolgreich bedrohte, daß Herr von Manteuffel uns in Paris großen Demüthigungen aussetzte, um zur Mitunterschrift eines Vertrages zugelassen zu werden, an den nicht gebunden zu sein uns nützlich gewesen sein würde 1). Deutschland würde auch heut eine große Thorheit begehn, wenn es in orientalischen Streitfragen ohne eignes Interesse früher Partei nehmen wollte, als die andern, mehr (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 781 [2-266] interessirten Mächte. Wie das schwächere Preußen schon während des Krimkrieges Momente hatte, in denen es bei entschlossener Rüstung im Sinne östreichischer Forderungen und über dieselben hinaus den Frieden gebieten und sein Verständniß mit Oestreich über deutsche Fragen fördern konnte, so wird auch Deutschland in zukünftigen orientalischen Händeln, wenn es sich zurückzuhalten weiß, den Vortheil, daß es die in orientalischen Fragen am wenigsten interessirte Macht ist, um so sichrer verwerthen können, je länger es seinen Einsatz zurückhält, auch wenn dieser Vortheil nur in längerem Genusse des Friedens bestände. Oestreich, England, Italien werden einem russischen Vorstoße auf Konstantinopel gegenüber immer früher Stellung zu nehmen haben als die Franzosen, weil die orientalischen Interessen Frankreichs weniger zwingend und mehr im Zusammenhange mit der deutschen Grenzfrage zu denken sind. Frankreich würde in russisch-orientalischen Krisen weder auf eine neue „westmächtliche“ Politik, noch um seiner Freundschaft mit Rußland willen auf eine Bedrohung Englands sich einlassen können, ohne vorgängige Verständigung oder vorgängigen Bruch mit Deutschland. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 784 Unsre Zurückhaltung kann vernünftiger Weise nicht den Zweck haben, über irgend einen unsrer Nachbarn oder möglichen Gegner mit geschonten Kräften herzufallen, nachdem die andern sich geschwächt hätten. Im Gegentheil sollten wir uns bemühn, die Verstimmungen, die unser Heranwachsen zu einer wirklichen Großmacht hervorgerufen hat, durch den ehrlichen und friedliebenden Gebrauch unsrer Schwerkraft abzuschwächen, um die Welt zu überzeugen, daß eine deutsche Hegemonie in Europa nützlicher und unparteiischer, auch unschädlicher für die Freiheit andrer wirkt als eine französische, russische oder englische. Die Achtung vor den Rechten andrer Staaten, an der namentlich Frankreich in den Zeiten seines Uebergewichts es hat fehlen lassen, und die in England doch nur so weit reicht, als die englischen Interessen nicht berührt werden, wird dem Deutschen Reiche und seiner Politik erleichtert, einerseits durch die Objectivität des deutschen Charakters, andrerseits durch die verdienstlose Thatsache, daß wir eine Vergrößerung unsres unmittelbaren Gebietes nicht brauchen, auch nicht herstellen könnten, ohne die centrifugalen Elemente im eignen Gebiete zu stärken. Mein ideales Ziel, nachdem wir unsre Einheit innerhalb der erreichbaren Grenzen zu Stande gebracht hatten, ist stets gewesen, das Vertrauen nicht nur der mindermächtigen europäischen Staaten, sondern auch der großen Mächte zu erwerben, daß die deutsche Politik, nachdem sie die injuria temporum, die Zersplitterung der Nation, gut gemacht hat, friedliebend und gerecht sein will. Um dieses Vertrauen zu erzeugen, ist vor allen Dingen Ehrlichkeit, Offenheit und Versöhnlichkeit im Falle von Reibungen oder von untoward events nöthig. Ich habe dieses Recept nicht ohne Widerstreben meiner persönlichen Empfindlichkeiten befolgt in Fällen wie Schnäbele (April 1887), Boulanger, Kaufmann (September 1887), Spanien gegenüber in der Carolinen-Frage, den Vereinigten Staaten gegenüber in Samoa, und vermuthe, daß die (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 955 Bei seiner Frau Gemalin konnte ich nicht dasselbe Wohlwollen für mich voraussetzen; ihre natürliche und angeborne Sympathie für ihre Heimath hatte sich von Hause aus gekennzeichnet in dem Bestreben, das Gewicht des preußisch-deutschen Einflusses in europäischen Gruppirungen in die Wagschale ihres Vaterlandes, als welches sie England zu betrachten niemals aufgehört hat, hinüberzuschieben und im Bewußtsein der Interessenverschiedenheit der beiden asiatischen Hauptmächte, England und Rußland, bei eintretendem Bruche die deutsche Macht im Sinne Englands verwendet zu sehn. Dieser auf der Verschiedenheit der Nationalität beruhende Dissens hat in der orientalischen Frage, mit Einschluß der Battenbergischen, manche Erörterung zwischen Ihrer Kaiserlichen Hoheit und mir veranlaßt. Ihr Einfluß auf ihren Gemal war zu allen Zeiten groß und wurde stärker mit den Jahren, um zu culminiren in der Zeit, wo er Kaiser war. Aber auch bei ihr bestand die Ueberzeugung, daß meine Beibehaltung bei dem Thronwechsel im Interesse der Dynastie liege. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)