Schnelle, Eva Marie, „Dann bricht der Freiheit Morgen an“. Die Opern Albert Lortzings in ihrem verfassungsgeschichtlichen Kontext (= Schriftenreihe der Albert-Lortzing-Gesellschaft Band 1). Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2013. 110 S. Besprochen von Thomas Vormbaum.

 

Auf die Frage, welcher Opernkomponist sein eigener Librettist gewesen sei, wird regelmäßig die Antwort „Richard Wagner“ gegeben werden. Wagner steht jedoch nicht allein, denn auch sein (Fast-) Zeitgenosse Albert Lortzing (1801-1851) hat den größten Teil seiner Operntexte selbst verfasst. Dies bietet einer Fragestellung, wie sie die Verfasserin dieser Monographie verfolgt, aus naheliegenden Gründen besonders gute Ansatzpunkte, denn Libretti von fremder Hand lassen sich dem Komponisten nicht ohne weiteres zuordnen, auch wenn er sich wohl nur selten zur Komposition eines Textes entschließen wird, der ihm contre coeur geht. (Lortzing selbst hat nach der plausiblen Rekonstruktion der Verfasserin die – verschollene – Komposition des Operntextes Die Schatzkammer des Ynka von Robert Blum „unter Verschluss [gehalten] und später sogar vernichtet“, weil er mit deren „blutrünstiger und teilweise kriegsverherrlichender Handlung“ (86) nicht einverstanden war). Umgekehrt ist ja auch nicht jeder Librettist beglückt, wenn ihm der Komponist in den Text hineinredigiert (wie Carl Maria von Weber in den Freischütz-Text Friedrich Kinds).

 

Dass Albert Lortzing ein „eminent politischer Komponist“ war, ist unstreitig (10). Schwierig ist aber seine politische Einordnung. Das Spektrum der politischen Vereinnahmungen reicht von der nationalsozialistischen Kulturpolitik bis zu derjenigen der Deutschen Demokratischen Republik. Dies muss nicht unbedingt an frivolen Interpretationsversuchen liegen (so aber tendenziell die Herausgeber Irmhild Capelle und Bernd-Rüdiger Kern, S. 5), sondern kann auch das Ergebnis der Vieldeutigkeit des interpretierten Werkes sein (so tendenziell mit Recht die Verfasserin, S. 10).

 

Lortzings Operntexte möchte die Verfasserin „in Bezug zur Verfassungsgeschichte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts [setzen]“. Verfassung versteht sie nicht im engen Sinne, sondern – mit Böckenförde – als „politisch-soziale Bauform einer Zeit“ (11). Dies ist zweifellos kein leichtes Unterfangen, denn gerade in jener Zeit verschlingen sich recht disparate geistige Strömungen: Aufklärung und Romantik, Liberalismus und Biedermeier, Nationalismus, Kulturnation und Weltbürgertum, Fortschritt und Restauration (und später Reaktion).

 

Die Verfasserin geht die einzelnen Opern Lortzings durch und sucht nach Spuren politischer Aussagen. Dies ist nicht immer leicht – schon deswegen, weil jeder Textverfasser der Restaurationszeit mit dem Einschreiten der Zensur rechnen musste; und so überwiegen denn neben den deutlichen Passagen – u. a. solchen, die auf die Befreiungsbewegungen in Polen und Griechenland anspielen – diejenigen, die sich erst durch intensive Auslegung als einschlägig erschließen. Umgekehrt ist freilich zu bedenken, dass die Zeitgenossen manche Texte besser entschlüsseln konnten als die Nachgeborenen. Dass die Tätigkeit der Schiffshandwerker in Zar und Zimmermann „den bürgerlichen Wunsch nach einem deutschen Nationalstaat“ versinnbildlichen soll (27), eröffnet sich dem Nachgeborenen jedenfalls nicht auf den ersten Blick.

 

Als hauptsächliche Zielscheiben der Kritik Lortzings analysiert die Verfasserin gut nachvollziehbar den Adel mit seinen lockeren Sitten, denen der sittliche bürgerliche Lebensstil entgegengesetzt wird, und das aufkommende Großkapital, dem die bürgerliche Bescheidenheit kontrastiert. In beiden Hinsichten wird das Lob des Bürgertums mit der romantischen Verklärung der „köstlichen Zeit“ des Mittelalters unterfüttert.

 

Im Anschluss an die neuere Liberalismus-Forschung, wonach der deutsche Frühliberalismus der Zeit Lortzings keinen umwälzenden Charakter besaß, sondern auf eine allmähliche Verbürgerung der Gesellschaft setzte (96), gelangt die Verfasserin zu dem Resümee, dass Lortzing dieser Richtung zuzuordnen sei, er also ein „gemäßigter und in der Romantik verhafteter Liberaler“ gewesen sei (100), ein ‚„konservativ‘ eingefärbter Liberaler, ein Konstitutioneller“ (94).

 

Über das Buch verteilt findet sich teils direkt, teils zwischen den Zeilen die gängige Lesart, dass der deutsche Nationalismus eine ursprünglich fortschrittliche, später pervertierte Ideologie gewesen sei, während gegen Ende (88f.) herausgestellt wird, dass der antinapoleonische und antifranzösische Affekt der Befreiungskriege dem von der Romantik getragenen deutschen Nationalgefühl von vornherein ein antiaufklärerisches und antirationalistisches Element beimengte, das freilich zugleich wieder mit einem antiabsolutistischen Element verknüpft war. Dies dürfte in der Tat die realistischere Interpretation sein; insbesondere bedarf auch der Mythos vom ursprünglich progressiven Charakter der Burschenschaften der Relativierung, denn problematische, z. B. antisemitische, Züge waren ihnen von Beginn an nicht fremd.

 

Rezensenten sollten darauf verzichten, Verfassern des von ihnen besprochenen Werkes den – fast immer ungerechten – Vorhalt zu machen, was sie noch alles hätten berücksichtigen können oder sollen. Auf einen Punkt möchte ich immerhin hinweisen: Beim Trinklied des Kilian aus der 1848 komponierten Oper Regina mit der Passage „Metternich, marsch mit dir / Rothschild und Staatspapier! / Hep, hep, hep, hep“ hätte man doch auf ihren antisemitischen Kontext hinweisen sollen – weniger wegen des angesprochenen jüdischen Bankiers Rothschild, der hier halt als Zielscheibe des antikapitalistischen Affekts steht, sondern wegen der folgenden Zeile, denn „Hep! Hep!“ war der Kampfruf der antisemitischen Krawalle, die zuerst 1819 große Teile Süddeutschlands heimsuchten und weitere Höhepunkte in den Jahren 1830 und 1848 – also als Begleitmusik der revolutionären Wellen – erreichten.

 

Insgesamt kann dem an Oper und (Rechts-) Geschichte gleichermaßen Interessierten das Büchlein empfohlen werden. Es ist aus einer studentischen Qualifikationsarbeit der Verfasserin hervorgegangen und verdient damit umso mehr Respekt, wenngleich die Herausgeber – wohl aus Marketing-Gründen – dieses Verdienst im Vorwort relativieren, indem sie auf von ihnen gewünschte „vielfache Überarbeitungen“ hinweisen, die aus dem Text die „Spuren einer studentischen Arbeit“ getilgt hätten.

 

Hagen                                                Thomas Vormbaum