NS-Justiz in Hessen. Verfolgung – Kontinuitäten – Erbe, hg. v. Form, Wolfgang/Schiller, Theo/Seitz, Lothar (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 65,4). Historische Kommission für Hessen, Marburg 2015. XXV, 692 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Die kurze Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft in dem Deutschen Reich unter Adolf Hitler findet nach wie vor beachtliche Aufmerksamkeit der Allgemeinheit. Nach dem Vorwort der Herausgeber versteht sich das vorliegende Buch als ein Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Verstrickung der Justiz in das nationalsozialistische System und zeigt die Entwicklung von der Justiz der Weimarer Republik bis zu den Nachwirkungen in der Bundesrepublik. Grundlage ist die im Studienzentrum der Finanzverwaltung und Justiz Rotenburg an der Fulda am 28. Februar 2012 erstmals gebotene Ausstellung mit dem Titel Verstrickung der Justiz in das NS-System 1933-1945 – Forschungsergebnisse für Hessen.
In der von 2012 bis 2014 an allen hessischen Landgerichtsstandorten und an dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main präsentierten Wanderausstellung konnten viele Themenkomplexe nur angerissen und nicht in der gebotenen Tiefe dargestellt werden. Das vorliegende Werk will zwecks Richtigstellung lange gepflegter Geschichtsbilder und Aufhellung der Wahrheit in seinem ersten Teil das Themenspektrum der Ausstellung durch vertiefende Beiträge näher beleuchten. In seinem zweiten Teil (S. 445ff.) wird die Ausstellung mit Hilfe zahlreicher Abbildungen vollständig dokumentiert.
Gegliedert ist das gewichtige Werk in seinem ersten Teil in zwei Abschnitte über die Zeit des Nationalsozialismus und die Zeit nach 1945. Dabei werden behandelt die Grundstrukturen nationalsozialistischer Moral, die deutschen Richter 1933, die Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main, die politische nationalsozialistische Justiz in Hessen, das Sondergericht Darmstadt, die Militärgerichte im Fall Krauss, der Strafvollzug im Dritten Reich, der Justizvollzug am Beispiel der Justizvollzugsanstalt Diez, Schutzhaft und Konzentrationslager im Regierungsbezirk Kassel 1933, das Zusammenwirken von Justiz und Gestapo in Guxhagen, die Schutzhaft in dem Konzentrationslager Osthofen, Wilhelm Leuschner, die ungesühnten Verbrechen der nationalsozialistischen Justiz, die Entnazifizierung am Beispiel der politischen Strafsenate in Kassel und Darmstadt, Strafprozesse am Landgericht Darmstadt, der Auschwitzprozess oder die Rolle der Strafjustiz bei der politischen Aufklärung. Ein schwergewichtig auch Adolf Hitler einbeziehendes Register der Personen und Orte und ein Verzeichnis der 18 Autorinnen und Autoren runden den Band, der die Justiz als integralen Teil der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus nach (bzw. ab) 1933 und als Kampfinstrument und Vernichtungsinstrument politischer Gegner und Minderheiten, die Verurteilung tausender Männer und Frauen wegen ihrer Gesinnung oder aus nichtigen Anlässen zu schweren Strafen und die jahrzehntelang unterbliebene Aufarbeitung des Handelns von Richter und Staatsanwälten eindringlich dokumentieren will, leserfreundlich ab.
Innsbruck Gerhard Köbler