Schwarzmeier, Leonie, Der NS-verfolgungsbedingte Entzug von Kunstwerken und deren Restitution (= Rechtsgeschichtliche Studien 67). Kovač, Hamburg, 2014. 518 S., zugleich Diss. jur. Regensburg 2012. Besprochen von Werner Augustinovic.
Die systematische Eliminierung des als jüdisch definierten Bevölkerungselements im nationalsozialistischen Staat eröffnete den Machthabern in unterschiedlicher Art auch den Zugriff.auf beträchtliche Vermögenswerte der Verfolgten. Unfreiwillige Abtretungen, die unter den genannten Bedingungen vonstatten gingen, werden gemeinhin unter dem weit gefassten Begriff des NS-verfolgungsbedingten Entzuges zusammengefasst. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs stellt sich damit insbesondere die Frage, in welcher rechtlichen Form auf dem Hintergrund mittlerweile oft verworrener Besitz- und Eigentumsverhältnisse der moralischen Pflicht zur Befriedigung der Geschädigten genügt werden kann. Speziell die Frage der Rückstellung im öffentlichen Besitz befindlicher, sogenannter Raubkunst hat durch spektakuläre Fälle, wie den durch den Schiedsspruch vom 17. Januar 2006 entschiedenen Rechtsstreit zwischen der Republik Österreich und den Erben nach Adele und Ferdinand Bloch-Bauer um die Herausgabe von fünf Gemälden Gustav Klimts (allein das wertvollste, „Adele Bloch-Bauer I“, die „Goldene Adele“, sollte später um die geschätzte Summe von 135 Millionen Dollar versteigert werden), in den Medien und der breiten Öffentlichkeit für kontroverse Diskussionen gesorgt. Das Spektrum der Reaktionen reicht vom Beifall zur längst fälligen Wiedergutmachung einstigen Unrechts bis hin zur scharfen Kritik an der angeblich rechtswidrigen Verschleuderung öffentlichen Gutes. Anzumerken ist, dass „weder in Österreich noch in Deutschland spezielle Restitutionsregelungen (existieren), die Ansprüche auf Herausgabe gegenüber Privatpersonen begründen“ (S. 263f.).
Der Umstand, dass gerade für die entscheidenden rechtlichen Implikationen dieser Problematik trotz einer „überaus umfangreich(en)“ wissenschaftlichen Literatur (S. 22) bislang keine geschlossene Darstellung vorliegt, hat die Verfasserin, Leonie Schwarzmeier, bewogen, ihre von Martin Löhnig und Hans-Jürgen Becker begutachtete, 2012 von der Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität Regensburg approbierte Dissertation diesem Thema zu widmen. Sie gliedert sich nach den üblichen Vorbemerkungen in zwei Hauptteile, deren umfangreicherer die Enteignungspolitik der Nationalsozialisten und die heutige Kunstrestitution behandelt, während der zweite, deutlich kürzere eine juristische Überprüfung des eingangs erwähnten Restitutionsfalles Bloch-Bauer vornimmt.
Der NS-verfolgungsbedingte Entzug von Kunstwerken beruht in aller Regel auf wirtschaftliche Notlagen begründenden Repressalien aufgrund spezieller wie allgemeiner Rechtsvorschriften. Enteignungsgesetze seien, so die Verfasserin, seinerzeit zwar „formell rechtmäßig zustande gekommen“, stünden aber im Sinne Gustav Radbruchs „in unerträglichem Widerspruch zur Gerechtigkeit“ (S. 482), was ihre Nichtigkeit und somit auch die Nichtigkeit der auf sie gestützten Vollzugsakte begründe. Mit den Restitutionsgesetzen der Alliierten sei man im Westen Deutschlands „der Intention, nationalsozialistisches Unrecht wieder gut zu machen, im Hinblick auf die Rückgabe von Kunst nachgekommen“, obwohl „die äußerst kurzen Anmeldefristen“ zu kritisieren seien, während von der späteren Deutschen Demokratischen Republik (DDR) primär in der Absicht, „staatliche Unrechtsmaßnahmen während des kommunistischen Regimes wiedergutzumachen“, erst kurz vor der Wiedervereinigung mit dem Vermögensgesetz (VermG) eine den alliierten Vorschriften vergleichbare, auch auf die NS-Zeit anwendbare Rechtsgrundlage geschaffen wurde. Die Republik Österreich habe - im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland, wo eine solche klare gesetzliche Regelung (noch) ausstehe - mit dem Kunstrückgabegesetz 1998 (KRG) „die Ermächtigung zur Rückgabe von Kunstwerken umfassend geregelt“, ohne dass damit eine rechtliche Verpflichtung zur Rückgabe oder rechtliche Ansprüche der ursprünglichen Eigentümer einhergingen. Das Gesetz fußt auf der mit der Erklärung von Terezin 2009 fortgeschriebenen Washingtoner Erklärung von 1998, worin die Unterzeichnerstaaten ihren politischen Willen zur Selbstverpflichtung der öffentlichen Hand zum Ausdruck gebracht haben, „noch in ihrem Besitz befindliche nationalsozialistische Raubkunst zu restituieren, jedoch ohne rechtliche Bindung“ (S. 483ff.).
Ausführlich setzt sich die Verfasserin mit den betreffenden Normen und den rechtlichen Aspekten der Restitution im Einzelnen auseinander und bindet immer wieder prominente konkrete Streitfälle (etwa die Rückgabe der Gemälde „Berliner Straßenszene“ von Ernst-Ludwig Kirchner, S. 19ff., und „Ein Nachmittag im Tuileriengarten“ von Adolph Menzel, S. 208ff. , sowie den „Fall Steindorff“ um die ägyptologische Sammlung der Universität Leipzig, S. 218ff.) in die Betrachtung ein. Sie diskutiert auf der Basis der allgemeinen Zivilrechtslage unter anderem Fragen der Eigentumsübertragung und der Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs und konstatiert Unterschiede in den Rechtsordnungen verschiedener europäischer Länder in Bezug auf das Verhältnis zwischen dem Schutz des Rechtsverkehrs und dem Eigentumsschutz. Sollte so der Weiterverkauf eines Kunstwerks außerhalb Deutschlands oder eines Landes mit vergleichbarer Wertausrichtung - beispielsweise in Italien - erfolgt sein, sei „das Risiko, dass der ursprüngliche Eigentümer des Kunstgegenstandes nach dem verfolgungsbedingten Besitzverlust auch sein Eigentum verloren hat, deutlich höher“ (S. 487). Die Problematiken der Verjährung eines zivilrechtlichen Herausgabeanspruchs gem. § 985 BGB, der Hemmung der Verjährung gem. § 206 BGB und der Einrede der unzulässigen Rechtsausübung werden ebenso einer eingehenden Betrachtung unterzogen wie die denkmögliche, aber zurückgewiesene Präklusion des zivilrechtlichen Herausgabeanspruchs durch die alliierten Restitutionsgesetze oder das Vermögensgesetz.
Die im zweiten Teil der Arbeit dargestellte Causa Bloch-Bauer eröffnet die Möglichkeit zu einer vergleichenden Auseinandersetzung mit der österreichischen Rechtslage, insbesondere mit dem Kunstrestitutionsgesetz. Die Entscheidung des Schiedsgerichts, „dass die Republik Österreich 1948 Eigentum an den Gemälden erworben habe und die Erfordernisse des KRG für eine unentgeltliche Rückgabe erfüllt seien“, beurteilt die Verfasserin als „zutreffend“, räumt aber zugleich ein, dass sich der Fall „insbesondere im Bereich der Erbrechtsproblematik so vielschichtig“ darstelle, „dass auch eine gegenteilige Entscheidung […] gut vertretbar gewesen wäre. Ohnehin hätte sich die beklagte Republik Österreich über die Entscheidung des Schiedsgerichts hinwegsetzen können, da das Gericht Österreich nicht zur Restitution der Kunstwerke verurteilt, sondern lediglich festgestellt hat, dass die Voraussetzungen für eine Restitution gemäß des KRG erfüllt seien.“ Österreich nahm jedenfalls die Gelegenheit wahr, sich auf einer soliden Rechtsgrundlage durch die unentgeltliche Rückgabe „von dem unmoralischen Eigentumserwerb an den Klimt-Werken [zu] distanzieren“ (S. 478). Im Interesse der Rechtssicherheit reklamiert die Verfasserin für die Bundesrepublik Deutschland ein am Vorbild des österreichischen KRG orientiertes Restitutionsgesetz, das sie um einen Rechtsanspruch der Betroffenen auf Behandlung ihrer Angelegenheit erweitert wissen will.
Insgesamt füllt die nützliche, detailreiche Arbeit, die in ihrem historischen Teil auch die nationalsozialistische Kunstpolitik mit den Beschaffungen für das geplante Führermuseum in Linz und die Kunstsammlung Hermann Görings sowie die Beschlagnahmetätigkeit des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg in den besetzten Gebieten beleuchtet, eine Lücke in der juristischen Literatur und bietet sich als Orientierungshilfe für die rechtliche Beurteilung wohl noch anstehender, zukünftiger Fälle der Restitution von NS-verfolgungbedingt entzogenen Kunstobjekten aus öffentlichen Sammlungen an. Noch positiver fiele der allgemeine Eindruck aus, hätte sich ein aufmerksames Lektorat der Mühe unterzogen, vor Drucklegung die zahlreich anzutreffenden Flüchtigkeitsfehler zu tilgen.
Kapfenberg Werner Augustinovic