Recht –
Geschichte – Geschichtsschreibung. Rechts- und Verfassungsgeschichte im
deutsch-italienischen Diskurs, hg. v. Lepsius, Susanne/Schulze,
Reiner/Kannowski, Bernd (= Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen
Grundlagenforschung – Münchener Universitätsschriften Juristische Fakultät 95).
Erich Schmidt Verlag, Berlin 2014. 277 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Gerhard Dilcher wurde in Schlüchtern 1932 geboren und nach dem Studium der Rechtswissenschaft 1961 mit einer Dissertation über Paarformeln in der Rechtssprache des frühen Mittelalters promoviert. Im Anschluss hieran forschte er als Schüler Adalbert Erlers mit Hilfe eines Stipendiums der Deutschen Forschungsgemeinschaft mehrere Jahre am deutschen historischen Institut in Rom, woraufhin er 1966 mit einer grundlegenden Schrift über die Entstehung der lombardischen Stadtkommune habilitiert wurde. Unmittelbar danach wurde er nach Berlin berufen, von wo aus er 1972 nach Frankfurt am Main zurückkehrte und nach seiner Emeritierung im Jahre 1998 seine langjährigen Verbindungen zu Italien nochmals vertiefte.
Der vorliegende Band vereint nach der einfühlenden Einleitung Susanne Lepsius‘ die Beiträge eines Symposiums, das am 23. und 24. Februar 2012 kurz nach dem 80. Geburtstag Gerhard Dilchers in den Räumen der Carl Friedrich von Siemens Stiftung in München stattfand, um den Stand der Forschung und die Perspektiven der Rechts- und Verfassungsgeschichte in Deutschland und Italien aus italienischer und deutscher Sicht zu reflektieren. Thematisch und personell wurden dabei Leitfragen aufgegriffen und Diskussionszusammenhänge fortgeführt, die Gerhard Dilcher in seinen verschiedenen Schriften aufgeworfen und mitgeprägt hat. Insbesondere sollte in Zusammenarbeit von älteren Weggefährten und jüngeren Forschern auch die Frage geprüft werden, ob und inwieweit sich in jüngerer Zeit eine Annäherung der Forschungsparadigmen oder eine Spezialisierung und Differenzierung der nationalen Historiographien beobachten lässt.
Insgesamt umfasst der schlanke elegante, mit den sich zuneigenden Gestalten Italias und Germanias geschmückte Band neunzehn Studien in 6 Abschnitten. Dabei werden orale Rechtskultur und Schriftlichkeit des Rechtes mit dem Rechtsbegriff im Frühmittelalter im Mittelpunkt, Recht und Schrift als Instrumente der Herrschaftsausübung in der Stadt, die Stadt als Raum des Verfassungslebens, gelehrtes Recht als Motor der Veränderung seit dem hohen Mittelalter, politische Theoriebildung im Rechtsdiskurs zwischen Deutschland und Italien sowie Transfer historiographischer Modelle seit dem 19. Jahrhundert behandelt, so dass im Grunde der gesamte geschichtliche Rahmen des Rechtes in zeitlicher Hinsicht ausgeschöpft wird. Mehrfach wird dabei den jeweiligen Referaten ein Intervento zur Seite gestellt.
Eröffnet werden die weiterführenden Studien mit Daniela Frusciones eindringlicher Betrachtung von Gerhard Dilchers Beziehung zu den Leges Langobardorum im Spannungsfeld zwischen deutscher Rechtsgeschichte und italienischem Frühmittelalter. Danach werden etwa normative Schriftlichkeit, Idealtyp und Zwangsgewalt, Savona zwischen 1203 und 1206, die italienische Kommune als Laboratorium administrativen Schriftgebrauchs, Siena (1310), das Umland von Reichsstädten und der Contado oberitalienischer Städte, das sistema città, Irnerius, Max Webers Beziehung zum kanonischen Recht, Marsilius, Ockham und der Konziliarismus, die Doktrin Giovanni da Legnanos, der Konstitutionalismus, Savigny, die Pandektistik in der Schweiz oder Sovranità e diritto comune pubblico nel pensiero di Francesco Calasso (1904-1965) angesprochen.
Insgesamt wird dabei deutlich sichtbar gemacht, wodurch und in welcher Weise Gerhard Dilcher die europäische Rechtsgeschichte verändert hat. Zu dieser beeindruckenden Summe nimmt der Geehrte selbst noch erhellend Stellung. Am Ende wird durch die Fortführung der Publikationsliste Gerhard Dilchers durch weit mehr als 100 Veröffentlichungen seit der Festschrift zum 70. Geburtstag im Jahre 2002 die große Schaffenskraft des bedeutenden Gelehrten veranschaulicht.
Innsbruck Gerhard Köbler