Nonn, Christoph, Theodor Schieder. Ein bürgerlicher Historiker im 20. Jahrhundert. Droste, Düsseldorf 2013. 454 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Der in Oettingen am 11. April 1908 in einer bürgerlichen protestantischen Familie geborene, in Augsburg und Kempten aufgewachsene Theodor Schieder schloss sich bereits in der Schulzeit der Jugendbewegung an und leitete während des 1926 begonnenen Studiums der Geschichte, Germanistik und Geographie in München und Berlin zeitweise die Münchener Gilde Greif der antisemitischen, militaristisch-nationalistischen deutsch-akademischen Gildenschaft, der etwa Theodor Oberländer, Erich Maschke und Günther Franz angehörten. Zunächst betreut von Paul Joachimsen wurde er nach dessen Tode in München 1933 bei Karl Alexander von Müller mit einer Dissertation über die kleindeutsche Partei in Bayern in den Kämpfen um die nationale Frage promoviert. 1934 wurde er unter Vermittlung Erich Maschkes in Königsberg Leiter der Landesstelle Ostpreußen des preußischen geheimen Staatsarchivs, trat in Verbindung zu Hans Rothfels und habilitierte sich nach dem Beitritt zur Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (1937) im Jahre 1939 bei Kurt von Raumer mit einer Schrift über deutschen Geist und ständische Freiheit im Weichsellande.
Nach einer Lehrstuhlvertretung 1941/1942 in Innsbruck wurde er auf Grund des Einflusses Herbert Grundmanns und des Gauleiters Erich Koch Professor für neuere Geschichte an seiner Heimatuniversität Königsberg, an der er 1944 der Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung der bolschewistischen Weltgefahr beitrat. Nach der wenig später erfolgten Flucht in den Westen wurde er am 28. November 1947 bei der Außenstelle Immenstadt des Amtsgerichts Kempten-Land mit Hilfe kollegialer Stellungnahmen (z. B. Hans Rothfels’) entnazifiziert und nach einer Absage des erstgereihten, in New York lehrenden jüdischen Emigranten Hans Rosenberg mit Unterstützung Peter Rassows am 8. November 1948 ordentlicher Professor in Köln. In der Folge wurde er einer der führenden und einflussreichsten Neuzeithistoriker der Bundesrepublik Deutschland († Köln 8. Oktober 1984).
Vier Jahre nach seinem Tode wies der englische Historiker Michael Burleigh erstmals auf Bezüge Schieders zu antipolnischen Bevölkerungsplanungen in Ostpreußen hin, wenig später machten Angelika Ebbinghaus und Karl Heinz Roth auf eine die Vertreibung von Polen und Juden vorschlagende Denkschrift Schieders vom 7. Oktober 1939 hin. Der an der Universität Düsseldorf für neueste Geschichte tätige Verfasser versucht demgegenüber eine eigene sozial harmonisierende Bestandsaufnahme, die Schieder weder als nationalen Helden noch als (anti)nationalsozialistisches Hassobjekt einordnen will. Sie zeigt neben manchen neuen Erkenntnissen im Ergebnis relativierend, dass es für äußere Erfolge auch in der Wissenschaft vielfach darauf ankommt, die jeweils aktuellen Fragestellungen ohne wirkliche sachliche Notwendigkeit opportunistisch mitbestimmend aufzugreifen und dabei begangene, später als verfehlt eingestufte Handlungen (mit Hilfe von Verbindungen und Schulen) nachträglich nach Möglichkeit zu verschweigen und zu verdrängen, weil es für Größe, Mittel, Macht und Ruhm oft auch entscheidend ist, immer an der Spitze des aktuellen Geschehens das allgemeine Bewusstsein mitzugestalten.
Innsbruck Gerhard Köbler