Nationalsozialismus
und Recht. Erste Babelsberger Gespräche, hg. v. Ramm, Thilo/Saar, Stefan
Chr. Nomos, Baden-Baden 2014. 398 S. Besprochen von Werner Augustinovic.
Die Babelsberger
Gespräche zum Recht im Nationalsozialismus dokumentieren den Ertrag einer im Zweijahresrhythmus
konzipierten interdisziplinären Tagungsreihe, deren erste Sessionen jeweils im
Oktober der Jahre 2011 (Potsdam) und 2013 (München) stattfanden. Sie verfolgt
das Ziel, die Periode der nationalsozialistischen Herrschaft zwischen 1933 und
1945, aber auch ihre Nachwirkungen unter dem Blickwinkel des Rechts zu
diskutieren und anhand des aktuellen Standes der Forschung abzugleichen. Die
Aufgabe bestehe allgemein darin, „die im ‚totalen Staat‘ verbliebenen
Handlungsspielräume zu ermitteln“ (S. 5). Der insgesamt acht Beiträge
männlicher und weiblicher Wissenschaftler versammelnde Band vereinigt die zum
Teil deutlich erweiterten schriftlichen Fassungen ihrer Referate sowie
ergänzendes Material. Ein klares Schwergewicht (sechs Beiträge) liegt dabei auf
der Wissenschaftsgeschichte, der Erforschung der institutionellen, personellen
und curricularen Ideologisierung vor allem der juristischen Fakultäten an den
deutschen Universitäten.
Zunächst wirft
Frank-Rutger Hausmann (Freiburg) einen kritischen Blick auf die
„Universitätsgeschichte in der Zeit des Nationalsozialismus als
Forschungsaufgabe“ und formuliert dazu vier Thesen zur Notwendigkeit der
Erforschung der Geisteswissenschaften im behandelten Zeitraum. Eine erste
besage, dass „die Gründe für den unübersehbaren Ansehensverlust und die
internationale Marginalisierung großer Teile der deutsch(sprachig)en
Geisteswissenschaften nach 1945 ganz wesentlich in ihrer Verbindung mit der nie
wirklich aufgearbeiteten Ideologie des Nationalsozialismus, die gelegentlich
als ‚Selbstgleichschaltung‘ bezeichnet wird, zu suchen sind“. Die daraus
resultierenden Schäden seien „bis heute immer noch nicht wirklich aufgeklärt
und fordern noch zahlreiche Einzeluntersuchungen“. Sodann werde „das ganze
Ausmaß der wissenschaftlichen ‚Katastrophe‘ […] erst sichtbar, wenn man die
Geisteswissenschaften im Verbund betrachtet“, die seinerzeit „in einem Maße
miteinander vernetzt und verzahnt (waren), wie das selbst heute im Zeichen der
Interdisziplinarität und Clusterbildung kaum der Fall“ sei. Eine relativ kurze
Zeitspanne von etwa sieben Jahren, so die vierte These, war „im Sinne der
geplanten ‚Gleichschaltung‘ äußerst effektiv und erfolgreich und (lässt)
grundlegende Strukturen des geplanten Umbaus erkennen“ (S. 18ff.). Mathias Schmoeckel
(Bonn) berichtet kurz über die Einrichtung und die Bestände des Archivs der
Rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät Bonn, für ihn ein
„Trainingsparcour[s] für angehende Rechtshistoriker“ (S. 38). Eva Schumann
(Göttingen) liefert einen ausführlichen Überblick über den Stand der Forschung
zu den juristischen Fakultäten in der NS-Zeit und Überlegungen zur Konzeption
von deren Geschichten. Diese Forschung sei deshalb so ertragreich, weil
Fakultäten Orte seien, „an denen fach-, institutionen- und personengeschichtliche
Aspekte wie in einem Brennglas gebündelt werden“ und ihre Erforschung stets
auch „das eigene Selbstverständnis berührt“ (S. 147). Verdienstvoll und für die
praktische Recherchearbeit nützlich ist besonders ihre nach Standorten gelistete
Zusammenstellung bereits verfügbarer Fakultätsgeschichten zu den Universitäten
im Deutschen Reich, in Österreich und den sogenannten Reichsuniversitäten in
Posen, Prag und Straßburg. Gleiches gilt für Gerhard Köblers (Innsbruck) nach
Ländern und Gauen gegliederte, 393 Gelehrte umfassende biographische
Bestandsaufnahme der „Rechtslehrer an deutschen Rechtsfakultäten“ zum Stichjahr
1932, die vergleichend auch die Schweizer Rechtsfakultäten aufführt.
Bedauerlich ist, dass auf die Aufnahme von weiteren rund 120 Wissenschaftlern,
die ihre Ausbildung zwischen 1933 und 1945 abgeschlossen haben, (aus
Platzgründen?) verzichtet wurde und dass das Register keine Verweise auf die
hier verzeichneten Gelehrten anbietet.
Irene Strenge
(Hamburg) erstreckt den Untersuchungsbereich des Bandes mit ihren Recherchen zu
dem in den Niederlanden initiierten „Protest der hundert juristischen
Fakultäten“ gegen die im Pogrom der „Reichskristallnacht“ vom 9./10. November
1938 manifest werdende Judenverfolgung ebenfalls über die Reichsgrenzen hinaus.
Sie geht unter anderem auf die inkonsistente politische Stimmung in den USA ein
und konstatiert, dass „Antisemitismus und unpolitische Attitüde sowohl an
deutschen Universitäten als auch an amerikanischen nicht unerheblichen Einfluss
(hatten) – eine merkwürdige Parallele, zumal sich die antisemitischen Argumente
in den USA und in Deutschland in makaberer Weise glichen. Das verwundert, denn
in den USA war die Demokratie akzeptiert, während sie in Deutschland als
oktroyiert empfunden wurde“ (S. 290f.). Ralf Frassek (Halle) analysiert
wiederum die von Karl August Eckhardt federführend gestaltete juristische
Studienordnung vom 18. Januar 1935 („Richtlinien für das Studium der
Rechtswissenschaft“), die sich als eine „Kampfansage an das bürgerliche Recht
in seiner hergebrachten Form“ las: „Anstelle der Privatautonomie sollte ein
‚Gemeinschaftsgedanke‘, eine ‚völkische Ordnung‘ die Basis einer neuen
Privatrechtsordnung bilden“ (S. 334). Der von ihr „angestrebte dauerhafte
Einfluss auf die nachfolgende Juristengeneration Deutschlands“ sei über das
Kriegsende hinaus „kein abstrakter Programmsatz geblieben, die Intentionen der
Eckhardtschen Studienordnung konnten […] länger wirken als alle
nationalsozialistischen Gesetze je in Geltung waren“ (S. 342).
Über den Bereich
der juristischen Lehre und Forschung hinaus ins Grundsätzliche gehen zwei
weitere Beiträge. Thilo Ramms (Darmstadt) Studie verfolgt „Hitlers Weg zur
Macht“, indem er die entscheidenden Rechtsakte von Hitlers Ernennung zum
Reichskanzler bis zur Konzentrierung aller staatlichen Macht in seiner Person
durch das mit Hindenburgs Tod verabschiedete Vereinigungsgesetz, das die Ämter
des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers zusammenführte, auf ihre
Rechtmäßigkeit hin überprüft. Er sehe „die Vergangenheit mit den Augen des
Juristen […], so wie der damalige Jurist das rechtliche Geschehen und die
Machtverhältnisse gesehen hätte, wenn er sie gekannt und ihr Verhältnis
zueinander gewürdigt hätte. Dabei hätte er die Durchsetzbarkeit des Rechts an den
Machtverhältnissen messen müssen, ohne aber die Überordnung des Rechts in Frage
zu stellen“ (S. 220). Besonders zu beachten sei in diesem Zusammenhang, dass
schon im Reichstag „die Verteidigung der Demokratie und der Freiheitsrechte in
einer prinzipiellen Diskussion“ unterblieb (S. 242) und mit der nicht mehr
außer Kraft gesetzten Reichstagsbrandverordnung und dem Ermächtigungsgesetz der
„totale Staat“ geschaffen wurde, „der von der Fessel des Rechts befreit war und
das Recht nur noch als Herrschaftsinstrument nützte“ (S. 240). Der durch das Ermächtigungsgesetz zum
maßgeblichen politischen und rechtlichen Akteur avancierten Reichsregierung
stellt der Verfasser ein ebenso klägliches Urteil aus: Dem Ermächtigungskabinett
fehlten „offensichtlich sowohl die juristischen Elementarkenntnisse als auch
das Bewusstsein seiner politischen Gesamtverantwortung, der Verpflichtung auf
die staatliche Ordnung“ (S. 249). Nicht zuletzt das zur nachträglichen
Rechtfertigung der im Zuge der Ausschaltung der SA-Führung am 30. 6. 1934
(sogenannter „Röhm-Putsch“) begangenen Morde in Kraft gesetzte Gesetz über
Maßnahmen der Staatsnotwehr - nach Ramm in Ermangelung jeglicher
Voraussetzungen für eine Notwehrsituation „eine Lüge schon nach der
Überschrift“ und „nichts anderes als die rechtliche Bekundung der
Solidargemeinschaft der Mörder“ (S. 259) – entlarve in Anlehnung an Augustinus
diesen „Staat ohne Gerechtigkeit“ als einen „Mörder- und Verbrecherstaat“, in
dem „die Rechtlosigkeit des Individuums als oberstes Prinzip anerkannt (wird)“.
Unter solchen Bedingungen bezieht der Verfasser in der klassischen Diskussion
um die Legitimität des Tyrannenmordes eine klare Position; dieser sei hier
ungeachtet des Motivs gefordert, denn „das Attentat auf den Inhaber der
Staatsmacht dient vielmehr der Wiederherstellung des Rechts und ist damit
rechtens“ (S. 270f.).
Arno Buschmann
(Salzburg) konstatiert in seiner Untersuchung der „Rechtspolitik im
Nationalsozialismus“, dass die Prinzipien der nationalsozialistischen
Weltanschauung am stärksten in der Gesetzgebung zum Verfassungsrecht –
Stichwort: Aushöhlung der Weimarer Reichsverfassung - umgesetzt worden sind;
vor allem der Zweite Weltkrieg verhinderte jedoch die grundlegende Umgestaltung
des Strafgesetzbuches (StGB) wie auch des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB),
sodass „Normenbestand und Normenstruktur des BGB und StGB und mithin zweier
wichtiger Säulen der Verfassungs- und Rechtsordnung des Deutschen Reiches daher
im Wesentlichen erhalten (blieben) und nach 1945 von einigen wenigen
Vorschriften abgesehen, die vom Alliierten Kontrollrat für unwirksam erklärt
wurden, weiter angewandt werden (konnten)“, womit es nach Ansicht des
Verfassers der nationalsozialistischen Gesetzgebungspolitik „nicht gelungen
ist, […] den Bestand und die Struktur der Normen des kodifikatorischen Kerns
der überlieferten Rechtsordnung des Deutschen Reiches im
nationalsozialistischen Sinne zu verändern oder gar legislativ zum Einsturz zu
bringen“ (S. 322f.). Ob dies wie behauptet eine „beruhigende Feststellung“ sein
mag, bleibt nach Auffassung des Rezensenten allerdings dahingestellt,
vermitteln doch die erwähnten Eingriffe im Bereich der strafrechtlichen und
bürgerlich-rechtlichen Nebengesetzgebung sowie die theoretischen Konzeptionen
(vgl. etwa Christian Kasseckerts Dissertation zur „Straftheorie im Dritten
Reich“, 2009), diversen Planungsvorhaben und Entwürfe ein recht klares Bild von
dem, an welchen Kriterien die zu schaffende Rechtsordnung nach einem
militärischen Erfolg des Dritten Reiches ausgerichtet worden wäre. Es scheint
somit keineswegs erwiesen, dass das temporäre substantielle Fortbestehen der
traditionellen Ordnung tatsächlich einer ihr zugeschriebenen immanenten
Stabilität zu schulden ist, genauso gut kann dieses als Produkt einer
entsprechend gelagerten Prioritätensetzung der NS-Machthaber interpretiert
werden.
Abschließend
berichten die Verfasser der Beiträge auf originelle Art über ihren jeweils
persönlichen Werdegang und ihren Zugang zur Thematik, unter denen aufgrund
ihres hohen Lebensalters nur Thilo Ramm (Jg. 1925) und Arno Buschmann (Jg.
1931) noch vom eigenen bewussten Erleben der nationalsozialistischen Herrschaft
geprägte Impressionen zu schildern vermögen. Ein Register, das dankenswerter
Weise nicht nur Namen, sondern auch Sachbegriffe verzeichnet, erlaubt den
unkomplizierten Zugriff auf die Inhalte dieses engagierten Projekts, das manche
Anregung zur weiteren Diskussion und Forschung vermittelt.
Kapfenberg Werner Augustinovic