Lakenberg,
Thomas, Kinder, Kranke, Küchenhilfen. Wie das
Reichsgericht nach 1900 die Schutzwirkung von Verträgen zugunsten Dritter
erweiterte (= Forschungen zur neueren Privatrechtsgeschichte 34). Böhlau, Köln
2014. 444 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Recht und Unrecht können sehr dicht beieinander liegen, zumal der Gewinn des einen in einem Streit zweier regelmäßig einen Verlust des anderen bedeutet. Von daher werden sowohl für das römische Recht wie auch das englische Recht vielfach die Schwächen aufgezeigt, die sich daraus ergaben, dass beispielsweise ohne actio oder ohne writ tatsächlich Recht oft nicht erreichbar war, so gerechtfertigt in manchen Fällen ein anderes Ergebnis einem objektiven Betrachter erscheinen könnte. Eine vergleichbare Lage ergab sich im deutschen Recht daraus, dass nach dem im Deutschen Reich zum Jahre 1900 in Kraft gesetzten Bürgerlichen Gesetzbuch aus einem Vertrag grundsätzlich nur die beteiligten Parteien berechtigt und verpflichtet waren.
Die sich einem Teilbereich dieser Problematik widmende, auf zusätzliche Themenfelder hinweisende Untersuchung ist die von Mathias Schmoeckel betreute, im Wintersemester 2012/2013 unter dem Titel Kinder, Kranke, Kraftfahrer. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter von der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn angenommene Dissertation des für eine sehr produktive und reiche Zeit am Institut für deutsche und rheinische Rechtsgeschichte dankbaren, inzwischen als Rechtsanwalt tätigen Verfassers. Sie gliedert sich außer in eine Einleitung über neuere Urteile des Reichsgerichts zu § 328 BGB und die diesbezügliche Forschung, Fragestellung und Vorgangsweise in sieben Sachkapitel. Sie betreffen die drei Ausgangsentscheidungen über Scharlach, Kraftdroschke und Tuberkulose, die Patientenfälle, die Beförderungsfälle mit Kutsche, Auto und Dampfer, die Mietvertragsfälle, Arbeiter, Schüler und Hausbewohner, die dogmatische Deutung und die sozialgeschichtliche Deutung.
Im Ergebnis seiner gelungenen, durch Abbildungen, biographische Angaben, ausgewählte Quellen, ein Personenverzeichnis, ein Sachverzeichnis und ein Urteilsverzeichnis von schätzungsweise mehr als 150 Entscheidungen bereicherten, mehr assoziativ einprägsam als systematisch einordnend titulierten Untersuchung stellt der Verfasser fest, dass der dritte Senat des Reichsgerichts unter Führung des Senatspräsidenten Eugen Meyn auf der Suche nach mehr Gerechtigkeit im Einzelfall in Abkehr von der bisher bejahten, auf den Gesetzestext zurückgeführten Rechtslage 1917 in dem so genannten Tuberkuloseurteil erstmals einem nicht am Vertrag selbst beteiligten Dritten vertragliche Schadensersatzansprüche gegen eine Vertragspartei zusprach, ohne ihm einen eigenen Anspruch auf die Leistung zu gewähren, nachdem er in nahezu identischer Besetzung im so genannten Scharlachurteil aus dem Jahre 1915 bewusst den echten Vertrag zu Gunsten Dritter gewählt hatte, um damit einem Krankenkassenmitglied einen eigenen vertraglichen Schadensersatzanspruch gegen das Krankenhaus gewähren zu können. Als einheitlichen Leitgedanken der neuen Rechtsprechung, in deren Rahmen nach seiner Ansicht der Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter nicht von ungefähr gerade im Mietrecht entwickelt worden sein dürfte, ermittelt der Verfasser dabei ansprechend, dass stets der Schuldner eines Vertrags den einem anderen durch eine Vertragsverletzung zugefügten Schaden ersetzen müssen sollte, unabhängig davon, ob er dem Vertragspartner entstanden war oder nicht. Dagegen konnte der Autor eine durchgängige soziale oder sozialpolitische Motivation der Urteile trotz der wichtigen Verwendung der Lebensdaten verschiedener beteiligter Richter und der bisher wenig beachteten Senatshefte als entscheidenden Beweggrund insgesamt nicht nachweisen.
Innsbruck Gerhard Köbler