Klein, Friedrich, Bernhard Windscheid 26. 6. 1817-26. 10. 1892. Leben und Werk (= Schriften zur Rechtsgeschichte 168). Duncker & Humblot, Berlin 2014. 546 S. Zugleich Diss. jur. Leipzig. Besprochen von Werner Schubert.

 

Über Windscheid sind seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts mehrere Arbeiten und Aufsätze erschienen, vor allem die bahnbrechende Monografie Ulrich Falks: „Ein Gelehrter wie Windscheid, Erkundungen auf den Feldern der sogenannten Begriffsjurisprudenz“ (1989). Bis jetzt fehlte es jedoch an einer Biografie Windscheids und einer Analyse besonders der Reden, Aufsätze und Rezensionen. Es ist deshalb sehr zu begrüßen, dass sich Klein in seiner in Heidelberg unter Adolf Laufs begonnenen und in Leipzig unter Kern abgeschlossenen Dissertation von 2012 dieser Thematik angenommen hat. Die Biografie Windscheids wird erschlossen „anhand möglichst vollständig recherchierter ungedruckter Quellen, nicht zuletzt von Bernhard Windscheids eigener Hand“ (S. 6; vgl. hierzu das umfangreiche Verzeichnis der Briefe Windscheids von 1839 bis 1892, S. 466-483). Beabsichtigt war damit, „ein biografisch-fundiertes, kritisches Bild zunächst der Person Bernhard Windscheids als eines Professors, Juristen und Bildungsbürgers des 19. Jahrhunderts wie auch seines persönlichen und wissenschaftlichen Umfeldes, aber auch seines Werks zu entwickeln“ (S. 6). Die Darstellung beginnt mit einer Einführung „Würdigungen und Windscheid-Bild nach 1892“ (S. 17-44), aus der sich ergibt, dass Windscheids Bedeutung für die deutsche Rechtswissenschaft und das Bürgerliche Gesetzbuch bis zum Ende des 20. Jahrhunderts durchgehend sehr kritisch gesehen wurde. Auch wenn „der Schwerpunkt der Arbeit … nicht auf der Diskussion der Windscheidschen Dogmatik und ihrer Einordnung in die Wissenschaftsgeschichte liegt“, verfolgen die Überlegungen gleichwohl den Zweck, „Windscheid in seiner Zeit zu sehen und aus dieser heraus zu interpretieren“ (S. 7).

 

Im zweiten Teil behandelt Klein die Biografie Windscheids (S. 45-407), und zwar das „Leben“ jeweils getrennt von den schriftstellerischen Arbeiten in den einzelnen Lebensabschnitten. Für die Teile A und B, über „die Abstammung, Kindheit und Jugend (1817-1834)“ und über „Studium, Promotion und Habilitation (1834-1840)“ zieht Klein zahlreiche bisher unbekannte Quellen heran. Windscheid lebte seit Herbst 1829 in Düsseldorf, wo er 1834 mit 17 Jahren das Abitur ablegte. Seit seiner Schulzeit war er mit dem späteren Historiker Heinrich von Sybel befreundet (S. 51ff.). Das Studium der Rechtswissenschaft begann er in Bonn, von wo aus er ab dem Wintersemester 1835/1836 an die Universität Berlin wechselte (hier Besuch nur einer zwölfstündigen Pandektenvorlesung von Savigny, S. 62ff.). Nach drei Studienjahren legte Windscheid das Auskultatorexamen am Kammergericht ab und kehrte nach Düsseldorf und Bonn zurück, wo er 1838 promoviert wurde und sich im Mai 1840 mit einer „Antrittsvorlesung“ zum Privatdozenten qualifizierte (S. 79ff.). Ausführlich bespricht Klein die Dissertation Windscheids: „De valida mulierum intercessione“, deren bisher nicht überholte Hauptthesen Windscheid in einem Aufsatz in AcP 1849 nochmals darlegte (S. 69ff.). Während seiner Bonner Dozentenzeit (1840-1847; S. 81-100) übernahm Windscheid ab Sommersemester 1842 Vorlesungen zum Code Napoléon. Während eines einjährigen Aufenthalts in Rom (1845/1846) lernte er Jakob Burckhardt und dessen Ehefrau Luise Burckhardt-His kennen, mit der er lebenslang korrespondierte. Aus Briefen insbesondere von 1846 ergibt sich, dass Windscheid literarisch vielseitig interessiert war (S. 91f.). Seine bis Mitte 1847 andauernde „perspektivlose Existenz“ hatte erst mit der Berufung an die Universität Basel zum ordentlichen Professor für römisches Recht ein Ende. Von den drei romanistischen Abhandlungen aus der Bonner Zeit (S. 100ff.) sind zwei von ihnen bis heute nicht überholt. In seiner Monografie „Zur Lehre des Code Napoléon von der Ungültigkeit der Rechtsgeschäfte“ (1847, S. 112ff.) zeigt sich Windscheid als intimer Kenner des französischen Zivilrechts auch in historischer Hinsicht, für das er hinsichtlich der nullité eine „klare Begrifflichkeit und widerspruchsfreie Systematik“ (S. 121) entwickelte, die sich in der deutschen Jurisprudenz zum C.N. durchsetzte (zum geringen Einfluss auf die französische Rechtsentwicklung S. 126f.).

 

In Basel war nur ein Schmalspurstudium an der Juristischen Fakultät möglich – Windscheid hatte „nie mehr als vier Hörer“ (S. 133). Sein Leben in Basel wurde „beherrscht von philosophischen Überlegungen zum menschlichen Glück und der Stellung des Menschen in der Welt“ (S. 144; zu seinen literarischen Interessen, u. a. an dem Werk George Sands S. 144f.). Neben zwei Aufsätzen zum französischen Zivilrecht (S. 149ff.) erschien während seiner Baseler Zeit die Monografie: „Die Lehre des römischen Rechts von der Voraussetzung“ (1850), die Windscheid bereits in seiner Monografie von 1847 über die Ungültigkeit der Rechtsgeschäfte für das französische Recht entwickelt hatte (S. 120f., 153f.). Mit der Lehre von der Voraussetzung, die in den römischrechtlichen Quellen allenfalls angedeutet war und vor allem Bedeutung für die „Theorie der Willenserklärungen“ und die ungerechtfertigte Bereicherung hatte, ging Windscheid über die „bisher übliche Behandlung des römischen Rechts“ hinaus und griff „in weite Teile insbesondere des Schuldrechts erneuernd und verändernd“ ein (S. 161). Im BGB hat die neue Lehre, die Ende der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts überwiegend auf Ablehnung stieß (S. 162ff.), in § 812 Abs. 1 S. 2 eine gewisse Berücksichtigung gefunden (S. 406f.). Von Basel wechselte Windscheid 1852 nach Greifswald, wo er sich erstmals als Dozent voll entfalten konnte. Hier führte Windscheid die schon in Basel praktizierten römischrechtlichen Übungen (Quelleninterpretation und Falllösung) ein, hielt auch prozessuale Vorlesungen, wozu er verpflichtet war, erstellte Gutachten als ordentlicher Beisitzer im Spruchkollegium (S. 184ff.) und trug zur Gründung eines juristischen Seminars, eines der ersten in Deutschland, bei (S. 181ff.). In Greifswald schlossen Beseler und Windscheid eine lebenslange Freundschaft. Mit Rudolf von Ihering, mit dem Windscheid seit 1852 korrespondierte und den er 1856 persönlich kennenlernte, begann eine „lebenslange enge Verbundenheit“ (S. 194). Auch mit dem Privatdozenten Heinrich von Friedberg, dem späteren preußischen Justizminister, hielt er dauernden Kontakt (vgl. S. 190). Wohl auf Beseler ist es zurückzuführen, dass Windscheid „nicht nur theoretisch die Gegnerschaft von Germanisten und Romanisten für überholt hielt und ablehnte, sondern daraus auch für die Behandlung des römischen Rechts praktische Konsequenzen zog“ (S. 193). 1892 hatte er bereits Andreas Heusler geschrieben, dass er von einem Studienplan träume, „in dem auf getrennte Grundvorlesungen im römischen und deutschen Recht eine übergreifende Veranstaltung über ,gemeines deutsches Recht‘ folgt“ (S. 192). Aus seiner Greifswalder Zeit sind hervorzuheben sein Aufsatz über die ruhende Erbschaft und seine Untersuchung über die „Singularsuccession in Obligationen“, in der Windscheid die Anerkennung der Zession und der Schuldübernahme als ein „Erfordernis des Verkehrs“ herausarbeitete (S. 208ff.) sowie die Rezensionen der Beiträge Mommsens zum Obligationenrecht, die er als bedeutende Monografie zur Modernisierung des Schuldrechts begrüßte. Die Rezensionen Windscheids sind eine wichtige Quelle für die Darstellung des Obligationenrechts in seinem Lehrbuch des Pandektenrechts und wohl auch für seine Anträge in der 1. BGB-Kommission. 1856 erschien seine Monografie „Actio des römischen Civilrechts vom Standpunkte des heutigen deutschen Rechts“. Nach Klein beschränkt sich „Windscheids prinzipielle Aussage“ „auf den einen Satz: ,Actio‘ bedeute nicht ,Klage oder Klagerecht‘, sondern sei heute ,der Ausdruck für dasjenige, was man von einem Andern verlangen kann‘, kurz mit ,Anspruch‘ zu übersetzen“ (S. 219). Allgemeine Anerkennung fand die neue Lehre erst im BGB (§ 194); sie wird jedoch bis heute kontrovers diskutiert (S. 233ff.).

 

Am 12. 2. 1857 nahm Windscheid einen Ruf nach München an, dem am 26. 6. 1857 die Ernennung zum 1. 10. 1857 folgte. Im Hause des Schriftstellers Paul Heyse, mit dem sich Windscheid befreundete, lernte er Charlotte Pochhammer kennen, die einer preußischen protestantischen Beamtenfamilie entstammte und die er am 4. 11. 1858 in Halle/Saale heiratete. Seine Erfolge als Dozent zeigten sich darin, dass die Hörerzahl von anfangs 30-70 Hörern bis 1873 auf 120-150 Studenten stieg (S. 157). In die Münchner Zeit fällt das Erscheinen des dreibändigen Lehrbuchs des Pandektenrechts (1857-1871; z. T. bereits in 2. und 3. Aufl.), dessen Genese Klein anhand der überlieferten Manuskripte schildert (S. 296ff.) und das er detailliert mit den damals gängigen Lehrbüchern zum römischen Recht von Eduard Böcking (seines Lehrers), von Karl Ludwig Arndts und besonders detailliert mit dem jüngeren „Pandekten“-Werk von Heinrich Dernburg vergleicht, der eine Rezeption des römischen Rechts in complexu ablehnte und der nach Klein „mit der Tradition der romanistischen Wissenschaft unbefangener umgeht und so tatsächlich ,moderner‘ als Windscheid wirkt“ (S. 321). Windscheids Bestreben war, „,die Rechtssätze … ihrer specifisch römischen Erscheinungsform zu entkleiden und ihren für uns noch lebendigen Kern herauszukehren‘“ (S. 299; Vorrede). Klein fasst die wichtigsten Aspekte des Lehrbuchs dahin zusammen: „Wiedergabe des gesamten Pandektenrechts in relativer Modernität“, „,Eindeutschung‘ vieler Fachbegriffe und die Wiedergabe der damals aktuellen, auch der germanistischen, Literatur“ (S. 310). Damit habe Windscheid „von Anfang an – bewusst – den Weg zu einem allgemeinen deutschen bürgerlichen Gesetzbuch“ bereitet (S. 310). Die Grenze der Gültigkeit des römischen Rechts war für Windscheid „allein das Verdikt einer überholten, fremden und allein nationalrömischen Regelung“ (S. 287). Im Gegensatz zu seinen Monografien, Aufsätzen und Rezensionen (zu schuldrechtlichen Themen) ist sein „Pandektenrecht“ konservativer, da er „keine grundlegenden Neuerungen“ zur Diskussion stellte, „sondern geltendes Recht mit Aussicht auf möglichst breite Akzeptanz bei Wissenschaft und Praxis“ darbot (S. 309f.).

 

Auf Vangerows Vorschlag kam Windscheid zum Sommersemester 1871 nach Heidelberg, wo er für die Altkatholiken eintrat, deren Gemeinde er jedoch nicht beitrat (S. 331). Einen Weggang lehnte er 1872 vor allem aus finanziellen Gründen ab (S. 338), was ihm eine erhebliche Erhöhung seines Jahresgehalts brachte. Am 2. 7. 1874 wurde er auf Vorschlag Badens in die 1. BGB-Kommission als Vertreter des gemeinen Rechts gewählt. Kurz danach ging Windscheid, damals „einer der bedeutendsten lebenden Romanisten und ein gesuchter akademischer Lehrer“, nach Leipzig, wo er am 20. 10. 1874 auf sein neues Amt verpflichtet wurde. Seine Hörerzahl betrug im Wintersemester 1880/1881 zwischen 320 und 370 Hörer (Durchschnitt 350 Hörer), die jedoch im Durchschnitt der Jahre deutlich darunter lag (S. 350, Fn. 2373). Aus seiner Rede auf der Gedächtnisfeier für den am 19. 1. 1880 verstorbenen Leipziger Rechtslehrer Karl Georg von Wächter ergibt sich, dass „Windscheid besonders die Kombination von historisch ausgerichtetem Rechtsverständnis und einem Zug zum Praktischen und Rationalen bei gleichzeitiger Ablehnung allen überpositiven und unveränderlichen Naturrechts bei Wächter bewunderte“ (S. 362). Wie Klein im „Fazit“ (S. 442) ausführt, sei noch nicht abschließend untersucht „und auch die vorliegende Arbeit konnte dies nicht leisten –, ob Windscheids persönliches Engagement oder seine in diesem Buch [d. h. im „Pandektenrecht“] niedergelegte Lehre größeren Einfluss auf die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches hatte“. Da seine noch seinem Schwiegersohn Oertmann vorliegende Geschichte des Allgemeinen Teils des ersten BGB-Entwurfs verschollen ist, wäre die wichtigste Quelle, abgesehen von den Einflüssen seines „Pandektenrechts“ im Allgemeinen, für die Tätigkeit Windscheids in der 1. BGB-Kommission (Beratung des Allgemeinen Teils und weiter Teile des Schuldrechts) seine zu den Beratungen der 1. BGB-Kommission gestellten Anträge in Verbindung mit den Kommissionsprotokollen. Es ist zu vermuten, dass die Aufzeichnungen des bayerischen Kommissionsmitglieds Gottfried von Schmitt (Bayer. Hauptstaatsarchiv München) weiteren Aufschluss über die Rolle Windscheids in den Beratungen bis zu dessen Ausscheiden aus der Kommission bringen würden. Im Wintersemester 1883/1884 kehrte Windscheid nach Leipzig zurück, wo er bis zum Sommersemester 1882 Vorlesungen hielt. Für die Zeit von 1884 bis zu Windscheids Tod am 26. 10. 1892 berichtet Klein insbesondere über das Familienleben Windscheids, dessen Tochter Käthe (Katharina) als erste Frau von der Universität Heidelberg zum Dr. phil. promoviert wurde und als eine der frühen Frauenrechtlerinnen Leipzigs anzusehen ist (S. 376).

 

Noch vor Beginn der BGB-Hauptberatungen veröffentlichte Windscheid 1878 zwei Abhandlungen zum Bereicherungsrecht und zur Bedeutung des Irrtums bei Abgabe von Willenserklärungen (S. 382ff.), zwei Fragen, die auch bei den BGB-Beratungen, an denen Windscheid noch teilnahm, eine nicht unerhebliche Rolle spielten. Aufsätze von 1892 beschäftigen sich mit der „indirekten Vermögensleistung“, (bereicherungsrechtliches Dreiecksverhältnis) und mit der Voraussetzungslehre in Auseinandersetzung mit deren scharfer Ablehnung durch Lenel.

 

Ein Resümee und zugleich eine Ergänzung bringt der dritte Teil der Untersuchungen Kleins über „Grundlinien Bernhard Windscheids“ (S. 208-441). Der Abschnitt über Windscheids Rechts- und Methodenverständnis beschäftigt sich im Wesentlichen mit der Zeit bis 1857, da sich dieses in der „ersten Phase seiner wissenschaftlichen Tätigkeit“ herausgebildet hat und damit auch die Grundlagen zum „Pandektenrecht“ gelegt worden sind. Der Abschnitt „Windscheids Rechtsverständnis“ (S. 409ff.) umfasst Passagen zu „Recht und Idee“ (Garant der Gerechtigkeit und Sittlichkeit, Bedeutung des Willens) und zu „Recht und Wirklichkeit“ (Bedürfnisse des täglichen Lebens, Verhältnis von römischem und deutschem Recht; Überwindung des römischen Rechts auf seinem eigenen Boden). Es folgen Abschnitte über „Windscheids Selbstverständnis: Recht und Wissenschaft“, über die Autorität des Gesetzes, über „Windscheids Methode“ (u. a. Bedeutung des Systems und des Begriffs als „Mittel zum Zweck“) und über „Windscheids Richterbild“ (der gerechte und verständige Richter) sowie über „Praktikabilität Windscheidschen Denkens“. In zwei weiteren Abschnitten werden Windscheids innere Haltung zum Leben und zum Menschen (S. 428 ff.) sowie seine politischen Vorstellungen (S. 434 ff.) herausgearbeitet. Windscheid lehnte bereits 1847 in einem Schreiben an den preußischen Kultusminister Eichhorn die „Persönlichkeit Gottes ebenso ab wie Gottes Sohnschaft Jesu Christi“ und leugnete „auch die Möglichkeit einer ,unmittelbaren Offenbarung des Evangeliums jenseits des dem menschlichen Geiste Fasslichen‘“ (S. 429). Windscheids Menschenbild bezeichnet Klein als „betont individualistisch, diesseitig-ideal und streng moralisch“ (S. 433). Seit 1845 nahm Windscheid „immer eine liberale, deutsch-nationale, zuweilen gegenüber den konstitutionell-monarchischen Zuständen kritische, aber stets loyale Haltung“ ein (S. 434). 1848/1849 wurde ihm Deutschland wichtiger als seine „preußische Heimat“ (S. 437); sein Ideal war „ein geeintes Deutschland“ (S. 438; Wahlspruch: Durch Preußen über Preußen hinaus, S. 440), was sich auch darin zeigte, dass er 1880 nicht nach Berlin ging, sondern in Leipzig blieb. Mit Bismarck söhnte er sich erst spät aus, wie seine Festrede bei der Bismarck-Feier von 1885 zeigt (S. 375 f., 443). Hervorzuheben ist auch Windscheids Parteinahme gegen antisemitische Tendenzen (S. 443).

 

Als „Ziel seiner biografischen Arbeit“ wollte Klein – so im „Fazit“ (S. 442ff.) – zeigen, dass der Höhepunkt der Pandektistik „nicht zugleich auch – entgegen dem lange tradierten Klischee – mit einer Erstarrung und begriffjuristisch-konstruktivischen wie auch positivistischen Engführung einherging“ (S. 444). Seine Untersuchung verstehe sich „insoweit als biografisch-wertgeschichtliche Ergänzung zu den zahlreichen Arbeiten insbesondere von Ulrich Falk, in denen er es sich seit seiner ersten Monografie erfolgreich zum Ziel gesetzt hat, diese Klischees in Auseinandersetzung mit ihren Vertretern insbesondere aus den 20er bis 40er Jahren des 20. Jahrhunderts zu hinterfragen, zu korrigieren und auf diesem Wege ein erneuertes und zugleich historisch angemessenes Windscheid-Bild zu zeichnen“ (S. 445). Allerdings wäre es eine Untertreibung, das Werk Kleins nur als eine „Ergänzung“ anzusehen. Vielmehr erschließt Klein die Persönlichkeit Windscheids umfassend, und, soweit dies mit den reichlich überlieferten Quellen überhaupt möglich war, die einzelnen Lebensphasen Windscheids und dessen Werk in Beziehung zu setzen. Die Arbeit wird abgeschlossen mit einer „genealogischen Übersicht der Vorfahren und Nachkommen Windscheids“ (S. 450ff.) sowie mit einem aussagekräftigen Personen- und Sachverzeichnis, das den Inhalt des Werkes umfassend erschließt (S. 525 ff., 532 ff.).

 

Die Beurteilung der rechtsgeschichtlichen Bedeutung Windscheids hängt seit Ende des 19. Jahrhunderts eng mit dem Urteil über das BGB zusammen, das insoweit meist nicht sehr positiv ausfiel. Die Untersuchungen Kleins verdeutlichen, dass beides zu trennen ist und vor allem Windscheids Verdienste bei der Herausbildung des modernen deutschen Zivilrechts (u. a. der allgemeinen Lehren und des Schuldrechts des BGB) hervorzuheben sind, was im Ganzen noch detaillierter hätte herausgestellt werden sollen. Insoweit steht Windscheid nicht primär am Ende, sondern am Anfang einer rechtsdogmatischen Entwicklung, die er allerdings nicht mehr mitgestalten konnte. Die Ausführungen im ersten Teil des Werkes über das Windscheid-Bild nach 1892 hätten stärker chronologisch sein sollen, damit die Zeitbedingtheit der Urteile über Windscheid (vor allem in der NS-Zeit) deutlicher wird. Hingewiesen sei noch auf die Feststellung Windscheids in seiner Leipziger Antrittsrede, „dass, wer vom Geiste der historischen Schule durchdrungen ist, wol Dogmatiker sein kann, aber nie – … Dogmaticist sein wird“. Für Windscheid stand gleichzeitig fest, „dass ,kein ,einsichtiger Jurist‘ das BGB als Garanten für ein ,festes und sicheres‘, den Zweifel ausschließendes Recht ansehen dürfe“ (S. 349).

 

Mit dem Werk Kleins liegt eine profunde, glänzend geschriebene Biografie Windscheids unter Einbeziehung seines schriftstellerischen Werks vor, die eine noch detailliertere Erschließung des Beitrags Windscheids zum modernen deutschen Zivilrecht erhoffen lässt und wegweisend sein sollte für weitere Biografien der großen deutschen Juristen des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts.

 

Kiel

Werner Schubert