Heydenreuter,
Reinhard, Kriminalität in München – Verbrechen und Strafen
im alten München (1180-1800) (= Kleine Münchner Geschichten 4). Pustet,
Regensburg 2014. 117 S., 19 Abb. Besprochen von Reinhard Schartl.
Der Autor, der bis 2007 in leitender
Stelle an bayerischen Archiven tätig war, hatte bereits 2003 eine populärwissenschaftliche
Darstellung der „Kriminalgeschichte Bayerns“ verfasst (teilweise kritische
Besprechung von Ilse Reiter-Zatloukal in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte,
Germanistische Abteilung, Band 121 [2004]). Nunmehr legt er in der Reihe
„Kleine Münchner Geschichten“, die sich an den interessierten Laien wendet,
eine auf die bayerische Metropole beschränkte kürzere Fassung vor. Als
hauptsächliche Quelle der berichteten Strafrechtsfälle benutzte er Helmuth Stahleders
dreibändige Chronik der Stadt München (1995-2006). Schon in der Einleitung
weist Heydenreuter darauf hin, dass München als landesherrliche Stadt auch in
der Strafrechtspflege dem unmittelbaren Einfluss der bayerischen Landesherren
ausgesetzt war. In München fungierte somit neben der städtischen
Gerichtsbarkeit, die bis zur Blutgerichtsbarkeit von dem bereits seit dem
Mittelalter von der Stadt ernannten Oberrichter ausgeübt wurde, der Hofrat als oberstes
Gericht des Landesherrn. Seine Darstellung gliedert der Verfasser in je ein
Kapitel über die Entwicklung des Strafverfahrens sowie die Strafen und die
Gerichtsstätten. Es folgen Kapitel über die Fehde und zu einzelnen wichtigen
Delikten. Im Kapitel über das Strafverfahren behandelt Heydenreuter etwas
ausführlicher die Asylprivilegien, wonach wegen eines Tatverdachts Verfolgte in
den Münchner Klöstern, insbesondere auf deren Friedhöfen Schutz suchen konnten.
Unterschiedliche Auffassungen über die Grenzen des Asylrechts zwischen Stadt
und Kirche führten zu Streitigkeiten mit dem Freisinger Bischof. Die Folter
findet der Verfasser in München erstmals 1346 und danach erst wieder 1434 erwähnt.
Art und Dauer der Foltermethoden wurden im 16. Jahrhundert genauer geregelt.
Unter den Beweismitteln verdient die Bahrprobe Erwähnung, die bis ins 16.
Jahrhundert praktiziert wurde. Durch wörtliche Wiedergabe hebt der Verfasser
die Ordnung über den Ablauf des Endlichen Rechtages von 1574 hervor. Das zweite
Kapitel schildert die angewandten Strafen, von denen Heydenreuter unter den
Todesstrafen naheliegend die Hinrichtung mit dem Strang (Galgen zuerst 1367
erwähnt, letztmals 1804 an einem Buben wegen Diebstahls von neun Gulden
vollstreckt) ausführlich beschreibt. Neben Verbrennen und Rädern bezeichnet er
die Hinrichtung mit dem Schwert als die „normale Todesstrafe“, was auch in
anderen Teilen des Reiches für die Neuzeit sicherlich zutrifft. Als nächstschwere
Strafe sieht der Autor die Stadtverweisung an, oft nach vorherigem Auspeitschen
oder Brandmarken, wobei er das Brennen
auf der Stirn als Herkunft des Ausdrucks „hirnverbrannt“ deutet. Von den
Herzögen wurde die Verurteilung zu Zwangsarbeit und Galeerenstrafe
wirtschaftlich ausgenutzt. Zu den Gefängnissen in München weist der Verfasser mit
Recht darauf hin, dass diese bis weit in die Neuzeit hinein vorwiegend der
Verwahrung der Beschuldigten bis zum Prozess dienten und im Mittelalter dort
nur kurze Freiheitsstrafen verbüßt wurden. In München bestanden je ein der
Stadt und ein dem Herzog unterstehendes Malefizgefängnis mit Folterkammer: die
städtische Schergenstube unter dem Rathaus und der zur Stadtbefestigung
gehörende Falkenturm als herzogliches Haftgebäude. Unter den Schandstrafen behandelt
Heydenreuter eingehender das Narrenhäusl, das in München wahrscheinlich an eine
Rathausecke angebaut war, und den Schneller, einen Wippgalgen, vornehmlich für
unredliche Bäcker. Verwirrend ist die Bemerkung des Autors, dass man gegen einen
Hochverräter 1504 nach der Peinlichen Gerichtsordnung Karls V. von 1532 die
schlimmste Form der Hinrichtung, das Schleifen zur Richtstatt und das Zerhacken
bei lebendigem Leib gewählt habe. Im Kapitel über die Fehden stellt er die
Frage „legales Verfahren oder Raubrittertum?“ und scheint sie im erstgenannten
Sinne zu beantworten, sofern die formalen Voraussetzungen erfüllt waren. In
Kürze behandelt er unter anderem die in Selbsthilfe bestehenden
Auseinandersetzungen der Stadt und ihrer Bürger gegen Auswärtige, aber auch von
Auswärtigen gegen die Stadt. Im Bereich der Religionsdelikte findet
Heydenreuter eine strengere Verfolgung und Bestrafung von Wiedertäufern – vor
allem durch die Herzöge – mit dem Scheiterhaufen oder durch Enthaupten, während
gegen die Lutheraner milder vorgegangen wurde. Hexenprozesse, die in München,
wie auch sonst praktiziert, mit Verbrennen, gnadenweise mit vorherigem Erwürgen
endeten, ermittelt der Verfasser zwischen 1578 und dem frühen 18. Jahrhundert.
Das Kapitel „Mord und Totschlag in München“ beginnt mit der Schilderung eines
langwierigen, unter Anwendung schwerer Folter durchgeführten Prozesses aus dem
frühen 16. Jahrhundert, wobei der Tatvorwurf
einer auf der Nördlinger Messe begangenen tätlichen Bedrohung nicht gut
in den Zusammenhang dieses Kapitel passt. Als kriminologische Ursache für
Kindsmord in der frühen Neuzeit erkennt der Autor die Angst der unehelichen
Mutter vor öffentlicher Bestrafung und Bloßstellung wegen Ehebruchs oder
sogenannter Leichtfertigkeit. Im Kapitel über Eigentums- und Vermögensdelikte
(„Diebe, Räuber und Betrüger“) stellt Heydenreuter zutreffend die
unterschiedliche Ahndung von großem und kleinem Diebstahl heraus, bei ersterem
je nach den Tatumständen bis zur Hinrichtung. Interessant ist die abgedruckte
Abrechnung des Bannrichters aus dem Jahr 1610 über die Kosten für die
Hinrichtung zweier Kirchenräuber. Das Kapitel über „Sittlichkeits- und
Disziplierungsdelikte“ beginnt mit einer kurzen Erläuterung der
landesherrlichen Begründung für die ausufernde Strafverfolgung in der frühen
Neuzeit: Gott bestrafe auch die Landesherren, wenn sie die Untaten ihrer
Untertanen nicht ahnden. Wie der Verfasser nachvollziehbar macht, werde bei
keinem Delikt neben Zauberei und Hexerei das Herrschen durch Strafen deutlicher
als beim Fluchen. Auf eine Abweichung von den bis dahin geltenden Beweisregeln
weist Heydenreuter bei der Verfolgung von Leichtfertigkeit hin. Nach einem
herzoglichen Mandat von 1615 genügte für die Bestrafung bereits ein „genugsamer
Verdacht“, ein recht frühes Beispiel für die im Gemeinen Recht aufkommende
Verdachtsstrafe. Zur Eindämmung des Alkoholkonsums und Alkoholmissbrauchs als Ursache für Fluchen und
Gotteslästerungen verbot der Münchner Stadtrat 1497 das Zutrinken. Im
Zusammenhang mit der Verfolgung von Sittlichkeitsdelikten konstatiert der
Verfasser, dass sich nach den zunehmenden Eintragungen in den städtischen Strafbüchern
nur schwer beurteilen lasse, ob in München seit dem 16. Jahrhundert die
Kriminalität oder die Kriminalisierung zunehme. Insgesamt zeigt die reich
bebilderte Darstellung vielfältige Übereinstimmung mit den Befunden zum
Strafrecht und Verfahrensrecht aus anderen stadtrechtlichen und landrechtlichen
Quellen. Das Büchlein, das bewusst auf einen wissenschaftlichen Apparat
verzichtet, aber mit einem kurzen Glossar und einer Literaturauswahl schließt, bietet
dem Interessierten ein sehr anschauliches Bild der mittelalterlichen und
frühneuzeitlichen Kriminalität und deren Bekämpfung.
Bad Nauheim Reinhard
Schartl