Geraubte Mitte - Die „Arisierung“ des jüdischen Grundeigentums im Berliner Stadtkern, hg. v. Nentwig, Franziska (Ausstellungskatalog). Stadtmuseum Berlin, Berlin 2013. 80 S., Abb. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Das nach dem Vorwort in Ausstellungen, Programmen und Veranstaltungen immer wieder auf die Geschichte und die Gestalt Berlins innerer Mitte zurückblickende Stadtmuseum Berlin ließ der Ausstellung Berlins vergessene Mitte zwischen Schlossplatz und Alexanderplatz eine Sonderschau folgen, in der erstmals im Rahmen einer Ausstellung die Schädigung Berliner Juden im Hinblick auf ihr Eigentum an Grundstücken durch den nationalsozialistisch bestimmten Staates mittels Rechtsprechung und Verwaltung thematisiert wurde, um auf dieser Grundlage die Frage zu stellen, wie sich dieses Unrecht Jahrzehnte später korrigieren lässt. Dazu vertritt der Staatssekretär für kulturelle Angelegenheiten vorweg die Meinung, dass durch die moderne Bebauung an Hand des alten Straßenverlaufs das Herz Berlins mit allen seinen historischen Bezügen für Gegenwart und Zukunft zurückgewonnen werden könnte.

 

Der kurze geschichtliche Rückblick zeigt dabei, dass Juden in Berlin nie in einem Getto wohnten, in der Jüdenstraße und im Großen Jüdenhof nur Siedlungsschwerpunkte hatten und als Kreditgeber, Pfandleiher und Fleischer (für koscheres Fleisch in mehr als 10 Buden) tätig waren, aber um 1350, 1446, 1510 und 1571 vertrieben wurden. 1671 gestattete Kurfürst Friedrich Wilhelm 50 jüdischen Familien aus Wien die Ansiedlung und um 1700 waren in Berlin 117 jüdische Familien ansässig. Das Emanzipationsedikt des Jahres 1812 brachte dann  die Gleichstellung der Juden in fast allen Bereichen, als deren wirtschaftliche Folge Juden 1933 mindestens Grundeigentümer 225er von etwa 1200 Grundstücken in Berlins Mitte waren, als die nationalsozialistische Politik unter Adolf Hitler sich mit allen verfügbaren Mitteln gegen sie wandte.

 

Die damit verbundenen Maßnahmen veranschaulicht der Ausstellungskatalog vor allem an den fünf Familien Gadiel, Berglas/Intrator, Freudenberg, Eugenie Fuchs und Alfred Panofsky. Dabei erfolgten 1998 eine Ablehnung der Rückübertragung und Anerkennung eines Entschädigungsanspruchs für die Erben Gadiel, 2000 eine Rückübertragung an die Familie Berglas, 1998 die Ablehnung der Rückübertragung und Entschädigung der Familie Freuedenberg wegen Fehlens eines verfolgungsbedingten Vermögensverlusts, 1994 die Ablehnung der Restitution  und die Festlegung einer geringen Entschädigungssumme im Falle Eugenie Fuchs und 1994 die Ablehnung der Rückübertragung im Falle Alfred Panofsky wegen Fehlens für Anzeichen einer rassischen Verfolgung. Insgesamt dokumentiert das Werk konkret und farbig in vielen Abbildungen Unrecht und Recht in Bezug auf Grundeigentum entrechteter, verfolgter und zum Teil auch ermordeter Juden in der Berliner Mitte im 20. Jahrhundert unter dem Gesichtspunkt des größten Vermögensraubs der deutschen Geschichte, in dessen Rahmen von ehemals 160000 Juden in Berlin nur 5990 überlebten.

 

Innsbruck                                                                               Gerhard Köbler