Ehberger, Wolfgang, Bayerns Weg zur parlamentarischen Demokratie. Die Entstehung der Bamberger Verfassung vom 14. August 1919 (= Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte 29). Kommission für bayerische Landesgeschichte, München 2013. XC, 419 S., teilw. zugleich Diss. jur. München. Besprochen von Werner Schubert.

 

Die bayerische Verfassung vom 14. 8. 1919, die sog. Bamberger Verfassung, ist vom Bayerischen Landtag am 12. 8. 1919 mit 165 gegen 3 Gegenstimmen der USPD-Abgeordneten (bei einer Enthaltung) in Würzburg verabschiedet worden, wohin die Regierung mit dem Landtag im April 1919 angesichts der Räteherrschaft in München (beendet 8. 5. 1919) bis August 1919 übergesiedelt war. Zur Entstehung der Bamberger Verfassung lag bisher keine quellenorientierte Gesamtdarstellung vor (vgl. S. 6ff.), so dass es zu begrüßen ist, dass sich Ehberger dieser Thematik in seiner historischen Dissertation von 2007 angenommen hat. Im Abschnitt über die Verfassungsordnung am Vorabend der Revolution 1918 (S. 14-39) geht der Verfasser ein auf die Verfassung von 1818 und auf das Wahlrecht, das noch am Anfang des 20. Jahrhunderts als eines der fortschrittlichsten Landtagswahlrechte im Reich galt (S. 22), auf die parlamentarischen Initiativen zur Verfassungsreform (1917/1918) und auf das gescheiterte Abkommen zwischen der Regierung und den Parteien vom 2. 11. 1918 zur Verfassungsreform. Im Abschnitt über die „Erste (außerparlamentarische) Phase der Verfassungsentstehung“ (S. 40-169) behandelt Ehberger zunächst die Bildung der Räteregierung unter Eisner (USPD) und Auer (MSPD) sowie die unterschiedlichen Konzeptionen zur staatlichen Neuregelung (S. 40ff., 52ff.). Wie die neugegründeten Parteien (Bayerische Volkspartei [BVP], die das Zentrum ablöste; die Bayerische Mittelpartei und die linksliberale DVP/DDP) war auch die MSPD der Meinung, dass spätestens mit dem Zusammentritt einer frei gewählten Nationalversammlung die Daseinsberechtigung der Räte wegfiel.

 

Die Revolutionsregierung Eisner setzte bereits am 18. 11. 1918 eine (externe) Juristenkommission ein, die den Entwurf zu einer bayerischen Verfassung ausarbeiten sollte. Die maßgebenden Redaktoren der Verfassungsentwürfe, deren erste Fassungen bereits in der zweiten Dezemberhälfte 1919 vorlagen (S. 101ff.), waren Joseph von Großmann (1864-1928), ein „genuiner Vertreter der liberalen bayerischen Ministerialbürokratie aus der vorrevolutionären Zeit“ (S. 83) und Robert Piloty (1863-1926), ein Schüler des herausragenden bayerischen Verfassungsrechtlers Max von Seydel (seit 1905 Inhaber eines staatsrechtlichen Lehrstuhls an der Universität Würzburg und von 1919/1920 Mitglied des Landtags für die DDP). Über beide Redaktoren sowie über die weiteren Kommissionsmitglieder bringt Ehberger detaillierte biografische Informationen (S. 79ff., 396ff.). Das vorläufige Staatsgrundgesetz vom 4. 1. 1919 (S. 343ff. wiedergegeben), das einige problematische Regelungen und zugleich eine Festlegung der wichtigsten Grundsätze der Verfassung enthielt, rief den Widerspruch der Verfassungsredaktoren und der Öffentlichkeit hervor. Aus Wahlen zum Bayerischen Landtag am 12. 1. 1919 ging die BVP mit 35% der Stimmen als stärkste Partei hervor (33,5% für die MSPD, 2,5% für die USPD, 14% für die DVP und 6% für die Mittelpartei). Damit war entschieden, dass eine Berücksichtigung von rätedemokratischen Elementen in der Verfassung weitgehend ausgeschlossen war. Noch vor der Ermordung Eislers am 21. 2. 1919 lag am 13. 2. 1919 bereits eine erste gedruckte Fassung des Verfassungsentwurfs vor (Abschwächung des Referendums; restriktive Regelung hinsichtlich der Räte). Am 17. 3. 1919 wählte der Landtag Johannes Hoffmann (USPD) zum Ministerpräsidenten und verabschiedete eine abgeänderte Fassung des Vorläufigen Staatsgrundgesetzes. Unter dem 28. 3. 1919 erging ein „Ermächtigungsgesetz“, das die Regierung autorisierte, „zur raschen Umsetzung dringender sozialer und ökonomischer Maßnahmen ohne Mitwirkung des Parlaments Gesetze und Verordnungen zu erlassen“ (S. 158).

 

Im Bamberg, wo der Landtag am 15. 5. 1919 seine dortigen Sitzungen eröffnet hatte, fand die erste Beratung des Verfassungsentwurfs durch den Ministerrat statt. Am 28. 5. 1919 erreichte der Regierungsentwurf zu einer Verfassungsurkunde für den Freistaat Bayern den Landtag, der nach Abschluss des sog. Bamberger Abkommens über die Bildung einer Koalitionsregierung aus MSPD, BVP und DDP am 21. 5. Hoffmann erneut zum Ministerpräsidenten gewählt hatte. Der Verfassungsausschuss des Landtags (28 Mitglieder; Vorsitzender war Max Süßheim, ab 23. 7. 1919 Alwin Saenger, beide USPD) beriet den Entwurf in 21 Sitzungen (16. 6.-11. 8. 1919), worüber umfangreiche Ausschussprotokolle vorliegen. Referent des Ausschusses war Friedrich Ackermann (SPD), Mitberichterstatter waren Heinrich Held (BVP) und Robert Piloty (DDP). Als maßgebender Vertreter der Regierung nahm Grassmann an den Ausschussberatungen teil. Auf den Seiten 203-280 rekonstruiert Ehberger anhand „einiger ausgewählter Problemkreise und Diskussionen die Arbeit im Ausschuss“ und zeigt in diesem Zusammenhang „spezifische Charakteristika der bayerischen Verfassung von 1919“ auf. § 68 des Entwurfs, der den Rätegedanken noch teilweise berücksichtigt, wurde im Hinblick auf Art. 165 WRV gestrichen (vgl. jedoch § 24 der Verfassung). Die Bestimmungen über Volksbegehren und Volksentscheid wurden „praktisch völlig der revolutionären Ansätze entkleidet“ (S. 228). Während der Geltungsdauer der Verfassung kam es zu keinem erfolgreichen Volksentscheid (S. 229). Für den Fall des Notstandes verlieh § 64 dem gesamten Ministerium umfassende Rechte. Das Ressortprinzip wurde gegenüber dem Entwurf leicht abgeschwächt (§ 61 Ziff. 2 der Verfassung; S. 247). Die Vorschlagsliste für die Ministerien war dem Landtag durch den Ministerpräsidenten zu unterbreiten, der diese im „Einverständnis mit dem Landtag“ besetzte (§ 58 Abs. 1). Der Ministerpräsident hatte die Stellung eines Primus inter pares, hatte jedoch das Recht, „in allen Staatsangelegenheiten sich durch Beamte aller Ministerien und durch sonstige ihm hierzu berufene Personen beraten zu lassen (§ 62 Abs. 3 der Verfassung). Staatssekretäre waren als „ständige politische Beamte“ zugelassen; sie wurden auf Vorschlag des Ministers im Einverständnis mit dem Landtag durch das Gesamtministerium ernannt und entlassen (§ 58 Abs. 2). Der Antrag der BVP, einen gewählten Staatspräsidenten in der Verfassung vorzusehen, wurde mehrheitlich abgelehnt, um einer möglichen Restauration der Monarchie zu begegnen. Gegen die Stimmen der SPD wurde durch § 17 Abs. 3 die Führung des Adelstitels weiterhin gestattet (S. 273f.). Der Grundrechtsteil der Verfassung (§§ 6ff.) war im Hinblick auf die Weimarer Verfassung sehr knapp. Die Staatsangehörigen hatten nach § 3 Abs. 1 das Recht der Beschwerde an den Staatsgerichtshof, „wenn sie glauben, durch die Tätigkeit einer Behörde in ihrem Recht unter Verletzung der Verfassung geschädigt zu sein“, eine Regelung, die keine andere deutsche Landesverfassung vorsah. Die am 12. 8. 1919 vom Landtag angenommene und am 14.8. ausgefertigte Verfassung, die Ehberger zusammenfassend in der Schlussbemerkung (S. 326ff., 331ff.) würdigt, ist „entgegen der bis heute wohl überwiegenden negativen Bewertung durchaus als eine „für ihre Zeit bemerkenswerte verfassungspolitische Leistung“ anzusehen (S. 335). Vor der „Schlussbetrachtung“ behandelt Ehberger noch die „staats- und verfassungspolitische Entwicklung Bayerns in der Weimarer Zeit“ (S. 290ff.) und das „Spannungsverhältnis zwischen Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit“ (S. 307ff.; Hinweis auf die sog. Beamtenkabinette von 1920-1924 und auf das „System der parlamentarischen Geschäftsführung“ durch die BVP ab August 1930). Bemühungen um Verfassungsreformen hatten keinen Erfolg, insbesondere nicht die Initiative der BVP, das Amt eines Staatspräsidenten zu schaffen (S. 318ff.).

 

Das Scheitern der durch die Verfassung „konstituierten parlamentarisch-demokratischen Ordnung“ beruht – so Ehberger – letzten Endes auf einem „ganzen Bündel exogener Belastungsfaktoren“ (S. 334). Das Werk wird abgeschlossen mit einer Zeittafel über den Weg zur Bayerischen Verfassung (S. 337ff.), mit der Wiedergabe u. a. des Verfassungsentwurfs vom Mai 1919 – hilfreich wäre auch der Abdruck eines früheren Verfassungsentwurfs gewesen –, mit Kurzbiogrammen der maßgeblich an der Verfassungsentstehung beteiligten Personen und mit einem Personen- sowie einem aussagekräftigen Orts- und Sachverhaltsregister. Mit dem Werk Ehbergers liegt eine gut lesbare, auf das Wesentliche beschränkte Entstehungsgeschichte der Verfassung von 1919 vor. Das Werk ist auch für den Rechtshistoriker von großem Interesse, der sich mit dem Länderverfassungsrecht der Weimarer Zeit und insbesondere mit den Verfassungen der süddeutschen Länder befasst (zu Württemberg vgl. Tobias von Erdmann, Die Verfassung Württembergs 1919, 2013; zu Baden vgl. Detlev Fischer, Eduard Dietz, Vater der badischen Verfassung von 1919, 2008; Andreas Hunkel, Eduard Dietz [1866-1940] – Richter, Rechtsanwalt und Verfassungsschöpfer, 2009, S. 91-201; Michael Braun, Der Badische Landtag von 1918-1923, 2009, S. 87ff.; Martin Furtwängler: Baden: Die Protokolle der Regierung der Republik Baden. Bd. 1: Die provisorische Regierung: November 1919-März 1920, S. 141ff.).

 

Kiel

Werner Schubert