Ebert, Jochen, Domänengüter im
Fürstenstaat. Die Landgüter der Landgrafen und Kurfürsten von Hessen (16.-19.
Jahrhundert). Bestand - Typen - Funktionen (= Quellen und Forschungen zur
hessischen Geschichte 166). Historische Kommission für Hessen, Marburg 2013. X,
493 S., zahlr. Abb. und Kart. Besprochen von Steffen Schlinker.
Mit seiner historischen Dissertation hat sich Jochen
Ebert zum Ziel gesetzt, den Stellenwert der landgräflichen Güter für die
Landgrafschaft Hessen-Kassel zu bestimmen und insofern einen Beitrag zu der
Debatte über die finanziellen Grundlagen des frühmodernen Fürstenstaats zu
leisten. In der Einleitung (S. 1-27), die kurz das gestellte Thema umreißt und die
bisherige Forschung sorgfältig aufarbeitet, beklagt er, dass die heutige
agrargeschichtliche Forschung die wesentliche Bedeutung der fürstlichen Domänen
marginalisiere (S. 14) und vorrangig adelige Güter, die Lebensverhältnisse der
Landbevölkerung oder die Struktur von Grund- und Gutsherrschaft in den
Mittelpunkt der Erörterung stelle. Zudem seien agrargeschichtliche
Untersuchungen häufig von einer gedachten Entwicklungslinie geprägt, die von
einer mittelalterlichen Herrschaftsfinanzierung durch Domänenwirtschaft (Stichwort: „Domänenstaat“) zur neuzeitlichen Finanzierung
durch Steuern (Stichwort: „Steuerstaat“) führe.
In einem ersten Hauptteil wird der
Domänengüterbestand in seinem Umfang und seinen Veränderungen untersucht (S.
29-167). Als Ausgangspunkt dient der sogenannte „Ökonomische Staat“, in dem
Landgraf Wilhelm IV. im Jahr 1585 eine Bestandsübersicht aller Besitzungen und
Einkünfte des Hauses Hessen-Kassel hatte erarbeiten lassen. Erhebliche
Veränderungen im Bestand sind sowohl nach dem dreißigjährigen als auch nach dem
siebenjährigen Krieg zu beobachten. Den Endpunkt der Untersuchung markiert ein
Bericht der Oberfinanzkammer in Kassel an das preußische Ministerium nach der
Annektion des Kurfürstentums durch Preußen im Jahr 1866. Insgesamt zeigt sich
keine gradlinige Entwicklung. Die Säkularisation von Klostergütern, der
Heimfall von Erbleihgütern, Ankäufe, Erbschaften und Neugründungen vergrößern
den Bestand von anfangs 56 Gütern. Verpfändungen, Veräußerungen und besonders
Kriegsverluste durch Zerstörung und Wüstung mindern ihn. Für das Jahr 1866
lassen sich immerhin 134 Domänengüter feststellen, die mit ihren rund 22.000
Hektar knapp 10% des Staatsetats erwirtschafteten. Über die Jahrhunderte ist
die klare Tendenz auffällig, die Domänengüter im räumlichen Bereich der
Residenzen zu konzentrieren, um die Versorgung des Hofs zu gewährleisten (S.
167).
Der zweite Hauptteil thematisiert die
wirtschaftliche Struktur der Domänengüter (S. 169-288), insbesondere die
verschiedenen Landnutzungsformen. So lassen sich Wälder, Ackerland, Wiesen,
Teiche, Mühlen, Weinberge, Gestüte, Bergwerke, Salinen, Manufakturen und
Eisenhütten feststellen. Bisweilen verfügten die Güter über Pertinentien in
Gestalt von Mühlen, Brauereien, Molkereien oder Schmieden (S. 246ff.). Die
Größe der Güter schwankte zwischen 15 und beinahe 400 Hektar. Als Form der
Bewirtschaftung kamen die Eigenregie mit einem Verwalter an der Spitze oder die
Verpachtung in Frage. Nicht zuletzt hinsichtlich der mit den Domänen
verbundenen Gerichtsrechte und Dienstrechte, insbesondere der bäuerlichen Hand-
und Spanndienste, bestanden Unterschiede. Schon nach dem siebenjährigen Krieg
wurde in Kurhessen über die Umwandlung der teils unwillig geleisteten Dienste
in eine Abgabe beraten (S. 235ff.). Die Ablösung erfolgte jedoch erst im 19.
Jahrhundert, insbesondere auch auf Betreiben der Grundherren, die mit der
Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit (1808) ein Mittel zur Durchsetzung der
Dienstpflichten verloren hatten (S. 242).
Die Funktionen der Domänengüter werden im
dritten Hauptteil erörtert (S. 289-405). Die Güter dienten zunächst der
Versorgung des Hofes mit Lebensmitteln und Pferden, sodann der Ausstattung von
Mitgliedern der fürstlichen Familie sowie weiterer Personen mit Wohnsitz und
Einkünften. Die Domänen dienten aber auch und nicht zuletzt der Durchdringung
des Landes. Mit den Domänen war der Landgraf vor Ort präsent. Insofern kam den
Domänen eine Funktion der Herrschaftsverdichtung zu. Nicht zu vernachlässigen
ist der Beitrag der Domänen zur Herrschaftsfinanzierung. In Kurhessen lag der
Anteil der Domänen am Finanzvolumen der fürstlichen Kassen durchschnittlich bei
6-7%. In Brandenburg-Preußen resultieren die Staatseinnahmen teilweise bis zu
50% aus den Domänen. Bis zum Ende des eigenständigen kurhessischen Staats waren
die Domänen somit nach den direkten und indirekten Steuern, den Kontributionen
und Gerichtsabgaben sowie den Regalien ein ernstzunehmender Aktivposten im
Haushalt. Die Domänen dienten schließlich als Instrument der Agrarpolitik, weil
sie als eine Art von Mustergütern die Verbesserung der Landbautechnik oder die
Einführung neuer Nutztierrassen beförderten (S. 382 ff.). Domänenpolitik sei
daher vorrangig Finanzpolitik und erst in zweiter Linie Agrarpolitik gewesen
(S. 417).
Zusammenfassend erteilt Ebert der Vorstellung einer
linearen Entwicklung vom „Domänenstaat“ zum „Steuerstaat“ überzeugend eine
Absage. Verkannt werde häufig auch, dass die Domänen durchgehend der
Finanzierung der lokalen Verwaltung vor Ort dienten (S. 420), eine Abkehr von
der Domänenwirtschaft insofern gar nicht erstrebenswert war. Die Arbeit
schließt - wie jedes Kapitel - mit einer präzisen und klaren Zusammenfassung
der Ergebnisse (S. 407-421). Übersichten erläutern die erwähnten Maße, Gewichte
und Währungseinheiten (S. 425-426). Zudem enthält die Arbeit hilfreiche und
instruktive Karten, Tabellen und Diagramme, ein Quellen- und
Literaturverzeichnis sowie ein ausführliches Register. Der Rechtshistoriker
hätte sich natürlich gewünscht, umfangreicher über die Domänen als Mittel der Herrschaftsintensivierung
sowie die konkreten administrativen und gerichtlichen Aufgaben des Amtmanns zu
erfahren. Vermutlich hätte das jedoch den Rahmen der ohnehin gewichtigen Arbeit
überschritten. Es wäre zu wünschen, wenn zukünftig auch für weitere Territorien
die fürstlichen Domänen in den Blickpunkt der Forschung gerieten. Jochen
Ebert hat jedenfalls gezeigt, dass damit ein wichtiger Beitrag zur
Verfassungsgeschichte und zur Wirtschaftsgeschichte geleistet werden kann.
Würzburg Steffen
Schlinker