Die Figur des Augenzeugen. Geschichte und Wahrheit im fächer- und epochenübergreifenden Vergleich, hg. v. Rösinger, Ameli/Signori, Gabriela. UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz 2014. 179 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Der Mensch nimmt seit seiner Entstehung mit den Augen unvorstellbar viele Eindrücke auf, die vom Gehirn in nicht wirklich bekannter Weise verwaltet werden. Wegen ihrer riesigen Zahl muss der größte Teil aus dem Bewusstsein verdrängt werden, um Platz für einiges zu lassen, das ein unbekannter Mechanismus als bewahrenswert aussondert. Aus diesem Grunde können sich tatsächliche Wahrnehmung und sichere Erinnerung an das betreffende Geschehen immer zur zu einem geringen Teil decken, was insbesondere die Suche nach und die Darstellung von Geschehenem schwierig macht.

 

In diesem Rahmen befasst sich der vorliegende, mit Mitteln des im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder Deutschlands eingerichteten Exzellenzclusters der Universität Konstanz „Kulturelle Grundlagen von Integration“ geförderte schmale Sammelband mit der Frage von Geschichte und Wahrheit im sach- und zeitübergreifenden Vergleich. Er geht von Michel Foucault aus und enthält neun weitgehend chronologisch geordnete, aber keine geschlossene Reihe bildende Beiträge von der antiken Geschichtsschreibung bis zum modernen Zeitzeugen. Nach Ansicht der in Konstanz tätigen Herausgeberinnen lässt er im Epochenvergleich bei vielen Unterschieden doch auch mehr Gemeinsamkeiten erkennen als erwartet.

 

Das Werk eröffnet  Nino Luraghi mit einer Studie über The Eyewitness and the Writing of History in Vergangenheit und Moderne. Danach werden Boten  in der mittelalterlichen Kommunikation, literarische Augenzeugenschaft im Wigalois, in der Virginal und in der Weltchronik des Jans von Wien, Joinsvilles Vie de saint Louis, (der blinde) Gilles li Muisis, Basler Kundschaften, Goyas Desastres de la guerra, die kurze Zeit bejahte Optographie in der Kriminalistik und der mediale Augenzeuge betrachtet, wobei der Augenzeuge zuletzt dem Zeitzeugen zu weichen scheint. Im Ergebnis will der mit einem Index von Abraham bis Zürich ausgestattete Band zeigen, dass sich nur im Vergleich von Epochen und Disziplinen, unter denen das Recht trotz der Bedeutsamkeit des Zeugen für das streitige Verfahren wohl keinen herausragenden Platz gefunden hat, erkennen lässt, wie sich der Bezug zwischen Gesehenem (Gesichte) und Geschichte verändert.

 

Innsbruck                                                                  Gerhard Köbler