Der Goslarer Ratskodex - Das Stadtrecht um 1350.
Edition, Übersetzung und begleitende Beiträge, herausgegeben von Lehmberg,
Maik (= Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar/Goslarer Fundus 52).
Verlag für Regionalgeschichte, Gütersloh 2013. 669 S. 270 farbige
Faksimileseiten. Besprochen von Reinhard Schartl.
Der Goslarer Ratskodex wurde bereits 1969 von Wilhelm
Ebel veröffentlicht und von ihm auf etwa 1330 datiert. Überliefert und
Gegenstand des zu besprechenden Buches ist eine zweite, kurz vor 1350
geschriebene Fassung. Der Goslarer Geschichtsverein fasste im Jahre 2000 den
Plan einer neuen Edition der während des zweiten Weltkrieges in einen
Bergwerksstollen im Rammelsberg verbrachten und nun wieder im Stadtarchiv
Goslar aufbewahrten Handschrift. Nach langjährigen, finanziell durch Spenden
unterstützen Arbeiten ist eine aufwändige, äußerlich voluminöse bibliophile
Ausgabe entstanden, die der Textwiedergabe einige Beiträge zur Geschichte Goslars
sowie zu der Ratssammlung voranstellt. Sabine Graf berichtet über
„Goslar zur Zeit der Stadtrechtskodifizierung“. Dabei stellt sie die
Entwicklung der Ratsherrschaft im späten 13. und frühen 14. Jahrhundert heraus,
die sich im Erwerb der Reichsvogtei und des Münzrechts, aber auch von Mühlen
und Verkaufsständen in der Stadt sowie dem Übergang von Lehensrechten am
Rammelsberg und von Bergwerksanteilen manifestierte. In der städtischen
Gerichtsverfassung war der Rat dem Vogtgericht übergeordnet, so dass nach den
§§ 216 und 220ff. des Ratskodex‘ Fälle, in denen das Vogtgericht ein Urteil
nicht finden konnte oder ein Urteil des Vogtgerichts angefochten wurde, vor den
Rat gebracht wurde. Die Rechtsbuchforscherin Dietlinde Munzel-Everling,
„Der Einfluss des Sachsenspiegels auf das Stadtrecht von Goslar und dessen
Ausstrahlung auf andere Städte“ stellt zunächst fest, dass dem in den
Grundlinien mit dem sächsischen Recht identischen Goslarer Recht wohl nicht das
Magdeburger Recht als Vorlage gedient hat, dass sich aber der oder die
unbekannten Verfasser des Ratskodex‘ des Sachsenspiegels bedient haben dürften.
Im Anschluss an frühere Arbeiten Otto Göschens und Wilhelm Ebels
vergleicht sie kursorisch den Ratskodex mit dem Sachsenspiegel, wobei sie sich,
da der Sachsenspiegel kein Stadtrecht (inneres Verfassungsrecht) enthält, auf die
Bereiche Erbrecht und Strafrecht sowie Strafverfahrensrecht beschränkt. Dies
lässt sich in Hinblick auf den Hauptzweck des Buches, den Text leicht
zugänglich zu machen, ohne weiteres rechtfertigen. Im Erbrecht erkennt sie
neben einigen Unterschieden wie dem Fehlen des Musteils, dass in Goslar viele
Einzelheiten dem Sachsenspiegel entsprechen. Im Strafrecht fällt die fast
wörtliche Übereinstimmung beider Sammlungen bei der Einleitung, wie Unrecht zu
richten sei, auf. Übereinstimmungen hebt Munzel-Everling ferner bezüglich der
handhaften Tat hervor, bei der der Gefangene keinen Unschuldseid leisten
konnte. Das Goslarer Recht beeinflusste seinerseits etwa das Meißener
Rechtsbuch und wird von der Verfasserin zusammenfassend als geschickte
Anpassung des sächsischen Landrechts an die Bedingungen des städtischen Lebens
bewertet. Nach einer kodikologischen Behandlung des 406 Seiten umfassenden
Bandes durch Maria Kapp beschreibt Hansgeorg Engelke den
„Goslarer Ratskodex des Stadtrechts im Kreis der ihn umgebenden Texte“. Neben
einem Hinweis auf einen Vergleich zwischen den bedeutenden Gilden und dem
Magistrat vom 16. März 1682, durch den der als die „alten Goßlarischen
Statuten“ bezeichnete Ratskodex zugunsten des gemeinen Rechts aufgehoben wurde,
nennt der Autor den Inhalt der 14 dem Ratskodex vorgehefteten Texte aus dem
Zeitraum von etwa 1400 bis ins 17. Jahrhundert sowie der nachgehefteten acht
Texte, vorwiegend aus dem 14. Jahrhundert. Die Texte haben unterschiedliche
Gegenstände, die teilweise untereinander und teilweise mit dem Ratskodex in
Zusammenhang stehen. Ebenfalls Hansgeorg Engelke stellt „Überlegungen
zum Verfasser und zum Schreiber der Handschrift“ an, mit denen er zwei
verschiedene Männer vermutet. Er schließt sich der Auffassung Wilhelm Ebels an,
dass Verfasser und Schreiber nicht zu ermitteln sind, erwägt aber, dass es sich
nicht um Stadtschreiber, sondern wie wahrscheinlich bei dem fast zeitgleich
aufgeschriebenen Herforder Rechtsbuch um Kanoniker handelte. Der Philologe Maik
Lehmberg, der die Transkription und Übersetzung des Kodex‘ führend besorgt hat,
erläutert in seinem Beitrag „ Zur Edition und Übersetzung“ die Regeln seines
Vorgehens. Bei der Übertragung ins Neuhochdeutsche ging es ihm in erster Linie
um Verständlichkeit auch für den Laien. In einem weiteren Beitrag erläutert er
die Sprache des Kodex‘, um zu klären, ob der Schreiber des Kodex‘ aus Goslar
kam. Er identifiziert die Sprache der Sammlung als ein Schreib-Ostfälisch des
beginnenden 14. Jahrhunderts. Lehmberg kommt zu dem Ergebnis, dass
wahrscheinlich ein Goslarer oder eine Person aus der näheren Umgebung den
Ratskodex aus einer Vorlage der Redaktion von etwa 1330 ohne große sprachliche
Änderungen umgearbeitet hat. Im letzten Beitrag stellt Norbert Kron eine
„Konkordanz gleichlautender oder ähnlicher Textstellen“ auf mit 150 ermittelten
Textwiederholungen, wobei er annimmt, dass der Schreiber damit Regelungen, die
zu mehreren Themenschwerpunkten gehören, jeweils in den „richtigen“
Zusammenhang bringen wollte. Es folgt der auf 268 Seiten zweispaltig
geschriebene Kodex, denen in der Edition jeweils die Transkription und die
Übertragung ins Neuhochdeutsche gegenüber gestellt sind. Die stichprobenhafte
Durchsicht bestätigt, dass Transkription und Übersetzung sehr zuverlässig und
inhaltlich überzeugend ausgefallen sind. Eine grobe Erschließung des Inhalts
ermöglicht der rechtshistorisch orientierte Glossar Frank Weissenborns.
Insgesamt ergänzt die Edition sinnvoll die Zugriffsmöglichkeiten auf
niederdeutsche Stadtrechte des Spätmittelalters. Wünschenswert ist nunmehr eine
rechtsgeschichtliche Auswertung. Der Kodex enthält über die ersichtlich dem
Sachsenspiegel folgenden Bestimmungen, wie die dem Landrecht I § 52 Absatz 1 folgenden
Stellen Buch I Kapitel 4 §§ 17 und 19: Nen
eghen mach man laten ane gherichte und
Men ne mach eruegut laten ane der eruen lof, hinaus zahlreiche
Detailregelungen, deren Analyse und Einordnung lohnend erscheint.