Wolfrum, Edgar, Rot-Grün an der Macht. Deutschland 1998-2005. Beck, München 2013. 848 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Im Gefolge der an der Vernunft ausgerichteten Aufklärung der Neuzeit hat der Mensch an vielen Stellen der Erde grundsätzliche Freiheit und Gleichheit erreicht. Gleichwohl erscheint er zumindest in den westlichen Demokratien unzufriedener als je. Zwar versprechen die um die Tröge der Macht buhlenden Parteien vor den Wahlen ohne Rücksicht auf das Wohl der Gesamtheit größtmögliche Vorteile, aber danach entscheiden sie in erster Linie zu Gunsten der Gewählten und ihrer Anhänger, weshalb insgesamt das Interesse an Wahlen so sehr schwindet, dass Strategien zur Sicherung einer Mindestwahlbeteiligung, von der wiederum Parteiengeld abhängig sind, verfolgt werden müssen und der geringstmögliche Schaden nur durch Abwahl der Regierung und Inthronisation der Opposition angestrebt werden kann.

 

Einen Einzelfall der jüngeren deutschen Geschichte bilanziert dabei der Verfasser in seinem vorliegenden umfangreichen Werk. Er trat bereits durch seine Freiburger Dissertation des Jahres 1990 literarisch hervor, die 1991 in seine Veröffentlichung über die französische Besatzungspolitik und die deutsche Sozialdemokratie einfloss. Dem sind zahlreiche weitere gewichtige Untersuchungen des inzwischen in Heidelberg tätigen Historikers über die Geschichte der Bundesrepublik gefolgt.

 

Nach seinen Erkenntnissen wirkten die Sozialdemokratische Partei und die Grünen 1998 in einem intensiven Wahlkampf sozial, modern und europäisch zugleich, so dass am 27. September 1998 erstmals eine gesamte Koalition mit Helmut Kohl durch ein neubürgerliches Lager einer behaupteten Mitte um Gerhard Schröder und Josef Fischer mit dem Ziel eines fairen ökosozialen Neubeginns ohne ausformuliertes Programm abgewählt werden konnte. Unter intensiver Auswertung vieler verschiedener Quellen ermittelt er vor allem einen ständigen Druck zunehmender Komplexität. Dem konnten die Gewählten in den Augen der Wähler so wenig gerecht werden, dass sie zur sichtbaren Enttäuschung des nach sieben Jahren mehr verzweifelt als überzeugend die Flucht nach vorn antretenden, sich nach seiner Niederlage umgehend professionell vom aus einfachsten Verhältnissen aufgestiegenen Aushängesozialisten zum kritiklosen Bannerträger des Staatskapitalismus wandelnden Gerhard Schröder trotz mancher moderner Ansätze durch eine konservativ-liberale Parlamentsmehrheit ersetzt wurden.

 

Innsbruck                                                        Gerhard Köbler