Widerstand und Auswärtiges Amt. Diplomaten gegen Hitler, hg. v. Schulte, Jan-Erik/Wala, Michael. Siedler, München 2013. 352 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Im utopischen Idealfall besteht eine Gesellschaft aus edlen Helden, die uneigennützig das Gesamtwohl verfolgen und sich durch nichts von diesem Ziel abbringen lassen. In der praktischen Wirklichkeit herrscht eine undurchschaubare Gemengelage eigennütziger, mit Hilfe möglichst vieler Netzwerke verfolgter Interessen, deren Träger öffentlich zwar vielfach die Verfolgung des Gemeinwohls behaupten, tatsächlich aber mindestens ebenso oft skrupellos hintertreiben. Dem vorliegenden Sammelwerk geht es in diesem Zusammenhang um die Einordnung des Verhaltens von Angehörigen des Außenministeriums des Deutschen Reiches in der nationalsozialistisch beherrschten Zeit Adolf Hitlers.

 

Die mit dieser wichtigen Forschungsaufgabe betrauten 1966 bzw. 1954 geborenen, als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der Universität Dresden bzw. als Professor für die Geschichte Nordamerikas in Bochum tätigen Herausgeber sind durch Arbeiten zur Geschichte des Nationalsozialismus bzw. zur Geschichte der internationalen Beziehungen sachkundig ausgewiesen. Sie beginnen das vorliegende Werk mit der Feststellung, dass es zu den Gründungsmythen der Bundesrepublik Deutschland gehöre, dass es im Auswärtigen Amt einen breit angelegten Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime gegeben habe. Zur Überprüfung dieser Ansicht haben sie insgesamt sechzehn Beiträge (Günter Brakelmann, Christopher R. Browning, Eckart Conze, Lucas Delattre, Reinhard R. Doerries, Michael Jonas, Martin Kröger, Benigna von Krusenstjern, Karsten Linne, Lars Lüdicke, Hans Mommsen, Anne Nelson, Francis R. Nicosia, Dirk Pöppmann, Jan Erik Schulte, Johannes Tuchel und Michael Wala) zu einem (zweiten) Band versammelt. In ihnen werden nach einer Übersicht über außenpolitische Konzepte und Initiativen (Hans Mommsen) vor allem Einzelpersonen hinsichtlich ihres individuellen Verhaltens durchleuchtet (Friedrich von Prittwitz und Gaffrron, Albrecht Graf von Bernstorff, Otto von Strahl, Fritz Kolbe, Rudolf von Scheliha, Gerhard Feine, Wipert von Blücher, Eduard Brücklmeier, Hans Bernd von Haeften, Adam von Trott zu Solz, Heinrich Wolff, Wilhelm Melchers sowie Ernst von Weizsäcker vor und nach 1945).

 

Im Ergebnis gelangen die wichtigen und sorgfältig abwägenden, der möglichst sachgerechten Aufarbeitung von Vergangenheit dienenden Ermittlungen nach langen Jahren zu der nicht wirklich überraschenden Erkenntnis, dass der Widerstand im Auswärtigen Amt gegen die Politik Adolf Hitlers eher gering war und es schwierig ist, eine klare Grenze zwischen Mittätern und Widerstandskämpfern zu ziehen. Zwar ist es unbestritten, dass auch (12) Angehörige des Auswärtigen Amtes (wie Ulrich von Hassell oder Hans Bernd von Haeften) wichtige Aufgaben im Widerstand ausführten und dafür das Leben verloren, aber eine geschlossene Opposition des Auswärtigen Amtes gegen Adolf Hitler wäre nur in Utopia zu erwarten gewesen, nicht aber im Deutschen Reich zwischen 1933 und 1945, in dem die meisten, im Personenregister von Abetz bis Yorck von Wartenburg benutzerfreundlich aufgeschlossenen Bediensteten das Regime - wie von ihnen erwartet - durch ihre Arbeit mitgetragen und in seinen Zielen aus Überzeugung wie auch aus vielen anderen Überlegungen willig und wirksam langjährig unterstützt haben.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler