Wehler, Hans-Ulrich,
Die neue Umverteilung - Soziale Ungleichheit in Deutschland. Beck, München
2013. 192 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
In der Demokratie bestimmen zwar auch die Meinungsmacher
die Politik und nicht die Gesamtheit des Volkes, doch sind die Meinungsmacher
nicht völlig gelöst vom Volk und deswegen in gewisser Weise doch auf das
gelegentlich von ihrer Beeinflussung unabhängig eine Meinung bildende Volk
angewiesen. Das Zusammenwirken beider kommt vor allem in den Wahlergebnissen
zum Ausdruck. Aus diesem Grunde gleichen sich die Programme der Meinung
machenden Volksparteien im Ringen um eine noch so knappe Mehrheit auch vielfach
recht eng aneinander an, wobei die Auswirkung nahezu jeder kleinen Veränderung
umgehend von Demoskopen ermittelt und verwertet wird.
Der in Freudenberg bei Siegen 1931 geborene, auf dem
rückwärtigen Teil des Faltumschlags strahlend abgelichtete Autor wurde nach dem
Studium von Geschichte, Soziologie und Ökonomie in Köln, Bonn und Athens/Ohio
1960 bei Theodor Schieder mit der Dissertation Sozialdemokratie und
Nationalstaat (1840-1914) promoviert. Nach Ablehnung einer ersten
Habilitationsschrift über den Aufstieg des amerikanischen Imperialismus wurde
er in Köln 1967 mit einer Schrift über Bismarck und den Imperialismus
habilitiert und danach über Berlin nach Bielefeld berufen. Von 1987 bis 2008
gelang ihm in Anknüpfung an Max Weber eine fünfbändige Deutsche
Gesellschaftsgeschichte von etwa 1700 bis 1990.
Das vorliegende Taschenbuch greift auf dieser Grundlage
in die Gegenwart aus und betrachtet die aktuelle Gesellschaft der neuen
Bundesrepublik im Hinblick auf Gleichheit in insgesamt 16 Abschnitten. Nach
einer kurzen Einleitung, die Hierarchietheorien im Allgemeinen und die
internationale Debatte über die neue Einkommensungleichheit werden für
Deutschland die Einkommensungleichheit, die Vermögensungleichheit, die
Ungleichheit in der deutschen Wirtschaftselite und auf den deutschen
Heiratsmärkten, die soziale Ungleichheit der Alten, die Ungleichheit der
Bildungschancen, die Ungleichheit der Geschlechter, die Ungleichheit bei
Gesundheit und Krankheit, die Ungleichheit der Wohnbedingungen, die
ethnisch-kulturelle Ungleichheit, die Ungleichheit der Konfessionen, die
Ungleichheit in der Alltagswelt sowie die Ungleichheit zwischen West und Ost an
Hand zahlreicher Einzelfakten untersucht. Im Ergebnis ordnet der Verfasser
Deutschland als Land starker Hierarchisierung oder Ungleichheit ein, plädiert
realistischerweise aber nicht für eine vollständige Gleichheit oder
Gleichmacherei (etwa im Entgelt von Universitätsprofessoren und
Zeitungsausträgern), sondern nur für eine wenig genau bestimmbare Abmilderung
(je)der krass ausgeprägten Hierarchie, wie sie auch die deutschen Volksparteien
im sozialpolitischen Ringen um eine Mehrheit in mehr oder minder klarer Weise
seit Längerem vorschlagen.
Innsbruck Gerhard Köbler