Wallmeier, Nadine,
Sprachliche Muster in der mittelniederdeutschen Rechtssprache. Zum
Sachsenspiegel und zu Stadtrechtsaufzeichnungen des 13. bis 16. Jahrhunderts (=
Niederdeutsche Studien 55). Böhlau, Köln 2013. 306 S. Besprochen von Gerhard
Köbler.
In der deutschen Sprache hat sich in der Neuzeit das
Hochdeutsche gegenüber dem Niederdeutschen so weit durchgesetzt, dass das
Niederdeutsche aus der Schriftsprache weitgehend verschwunden ist. Dies war
trotz des Entwicklungsvorsprungs des südlichen Althochdeutschen vor dem
nördlichen Altsächsischen und dem Altniederfränkischen im Mittelalter so nicht
sicher abzusehen, da Eike von Repgow um 1221/1224 mit seinem Sachsenspiegel den
ersten langen deutschen Prosatext verfasste und dieser Text sowohl im
Mittelniederdeutschen wie auch infolge Übersetzung als Deutschenspiegel und
Schwabenspiegel im Mittelhochdeutschen beachtliche Verbreitung erfuhr und
danach auch andere Rechtstexte wie Stadtrechte und Urkunden im Süden wie im
Norden aufgezeichnet wurden, wenn auch wohl stets mit einem gewissen Vorsprung
des Südens. Im Norden konnte in der Folge das auf dieser Grundlage ausgebildete
gemeine Sachenrecht sogar gegenüber dem eindringenden gelehrten Recht länger
eine gewisse Selbständigkeit wahren.
Von dieser Ausgangslage her kann eine Untersuchung
sprachlicher Muster in der mittelniederdeutschen Rechtssprache durchaus
allgemeinere Aufmerksamkeit erwarten. Entstanden ist die Arbeit der Verfasserin
als von Jan Wirren betreute, im Sommersemester 2009 von der Fakultät für
Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld angenommene
Dissertation. Gegliedert ist sie außer in eine Einleitung über Fragestellungen
und Methoden (1.1, demgegenüber fehlt 1.2) sowie Ergebnisse und Ausblick in
drei Kapitel über Recht, Rechtssprache und Rechtstexte (mit einem Exkurs über
Volksrechte), Mittelniederdeutsch als Schreibsprache (S. 85-90) und
Untersuchung des Textkorpus (Sachsenspiegel, Soester Stadtrechte, Lübecker
Stadtrechte, Hamburger und Stader Stadtrechte, Bremer Stadtrechte, Magdeburger
Recht, Braunschweiger Stadtrechte, Goslarer Stadtrecht, Duisburger Stadtrecht,
Herforder Rechtsbuch und weitere (Stadt-)Rechtsbücher.
An die Spitze ihrer dabei erzielten Ergebnisse stellt die
Verfasserin die Bestätigung ihrer Voransicht, dass es in ihrer
Untersuchungszeit zwei grundsätzliche Typen von Rechtsabfassungen gibt, nämlich
die vom Rat legitimierten und veranlassten Aufzeichnungen und die
Stadtrechtsbücher, wobei auch die Verfasserin kein festes prototypisches Muster
ausmachen konnte, so dass sich für sie bestätigt hat, dass das wichtigste
Merkmal dieser Texte darin besteht, dass es sich um eine private
Rechtsaufzeichnung handelt. Auf der makrostrukturellen Ebene lassen sich nur
schwerlich prototypische Merkmale nachweisen, die mesostrukturellen Muster in
den Rechtsbüchern entsprechen vielfach denen der Stadtrechtskodifizierungen, so
dass die Verfasserin es als für zukünftige Untersuchungen wünschenswert bezeichnet,
in einem größer angelegten Vergleich zu überprüfen, wie es mit dem Verhältnis von Stadtrechtsbüchern und
Stadtrechtskodifizierungen (!) sowie sonstigen Stadtrechtsdokumentationen
aussieht, zumal die mikrostrukturelle Ebene der Texte in der bisherigen Untersuchung
weitestgehend ausgeblendet werden musste. Letztendlich kann sie aber bereits
jetzt festhalten, dass sich bei allen inhaltlichen Veränderungen des
Rechtssystems die grundlegenden strukturellen Muster, mit denen Normen
formuliert wurden, vom Mittelalter bis zur heutigen Rechtssprache gehalten
haben und sich schon in den lateinischen Texten fanden - möge auf dieser
Grundlage der Verfasserin weiterer Fortschritt zum Wohle von Sprache, Recht und
Rechtssprache glücken, wozu die umfangreichen Anhänge vielleicht durchaus
beitragen können.
Innsbruck Gerhard Köbler