Steinacher, Gerald, Hakenkreuz und Rotes Kreuz. Eine humanitäre Organisation zwischen Holocaust und Flüchtlingsproblematik. StudienVerlag, Innsbruck 2013. 212 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Selbst unter dem zum Symbol der Leidensbereitschafte eines Menschen zwecks Durchsetzung einer von ihm vertretenen Idee gewordenen Kreuz fügt der Mensch Mitmenschen zwecks Durchsetzung von Gedanken Leiden zu. Ein bedeutsam gewordener Versuch der Linderung von Leiden im Rahmen zwischenmenschlicher Grausamkeit ist demgegenüber das 1863 auf Initiative des Genfer Kaufmanns Henri Dunant, der 1859 auf einer Geschäftsreise Zeuge der Schlacht zwischen Frankreich und Österreich bei Solferino wurde und spontan für die Verletzten Hilfe organisierte, initiierte Rote Kreuz. In „Erinnerung an Solferino“ entstand durch ihn in Genf ein privater Verein zur Schaffung einer dauerhaften Hilfsorganisation für in einem Krieg verwundete Soldaten.
Mit dem Verhältnis dieser in bereits 150 Jahren „für das Gute“ erfolgreich tätigen Einrichtung zu dem „das Böse“ symbolisierenden Hakenkreuz befasst sich die vorliegende Untersuchung des in Sankt Johann in Tirol 1970 geborenen, in Innsbruck, Rom und Trient in Geschichte und Politikwissenschaft ausgebildeten, nach der Promotion (1999) am Landesarchiv in Bozen in Südtirol und nach der Habilitation in Innsbruck (2008) seit Sommer 2011 an der University of Nebraska-Lincoln tätigen Zeithistorikers. Die Idee für dieses Werk entstand im Wintersemester 2009/2010 auf Grund eines Seminars an der Universität Luzern. Bei der Beschäftigung mit diesem Verhältnis fand der Autor das offizielle Emblem des deutschen Roten Kreuzes während der nationalsozialistischen Herrschaft im Deutschen Reich, in dem der deutsche Reichsadler ein Hakenkreuz auf der Brust trägt und das Rote Kreuz in seinen Fängen hält, so symbolträchtig, dass er es das gesamte Werk veranschaulichen ließ.
Gegliedert ist die vielfältige Erkenntnisse erzielende, einige Abbildungen und die Anmerkungen an das Ende stellende Untersuchung nach Vorwort und Einleitung in sieben Kapitel. Sie betreffen die Idee und Praxis des Roten Kreuzes, das sich für Juden (als Zivilisten) nicht zuständig ansehende und Liebesgaben an die SS verteilende Rote Kreuz im „Dritten Reich“, das Schweigen der Dachorganisation des Internationalen Roten Kreuzes trotz Kenntnis der Juden verfolgenden Wirklichkeit, die späte Wende unter dem Druck der Vereinigten Staaten von Amerika mit dem D-Day als entscheidendem Punkt, den anschließenden Wettstreit der Wohltäter, die Rechtfertigungsversuche nach dem Krieg und Beispiele von Fluchthilfe von Nationalsozialisten über Südtirol in das Ausland. Das Werk will keine Anklage, sondern ein Verständnisversuch sein, bietet aber doch ein gutes Beispiel für die dem Menschen möglichen Interessenkonflikte zwischen Macht und Elend, in dem Humanität nicht nur den Herrschenden und professionellen Organisationen überlassen, sondern auch der Allgemeinheit anvertraut werden sollte.
Innsbruck Gerhard Köbler