Schulze-Fielitz, Helmuth, Staatsrechtslehre als Mikrokosmos. Bausteine zu einer
Soziologie und Theorie der Wissenschaft des öffentlichen Rechts. Mohr
(Siebeck), Tübingen 2013. 504 S. Anhang: Ein Jahrhundert deutscher
Staatsrechtslehrer XX Tafeln. Besprochen von Gerhard Köbler.
Nach dem kurzen Vorwort des Verfassers kreisen die in
diesem Sammelband zusammengefassten Abhandlungen um die wissenschaftssozialen
Rahmenbedingungen von deutschen Staatsrechtslehrern einerseits und um den
Status der Wissenschaft des öffentlichen
Rechts andererseits. Es handelt sich weithin um schriftlich niedergelegte
Selbstreflexionen eines Universitätswissenschaftlers. Auch wenn sie nicht im
Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des Faches stehen, hat ihre Zusammenfassung an
einer hervorragenden Stelle doch ihren besonderen Wert.
Ihr Verfasser wurde in Goslar 1947 geboren. Nach dem
Studium der Rechts- und Sozialwissenschaften in Göttingen, Frankfurt und
Marburg (bei Peter Häberle in dessen ersten Marburger Wintersemester 1969/1970)
wurde er in Augsburg 1977 mit einer umfangreichen Dissertation über
Sozialplanung im Städtebaurecht - am Beispiel der Stadterneuerung - promoviert
und in Bayreuth 1986 mit einer gewichtigen Schrift über Theorie und Praxis
parlamentarischer Gesetzgebung - besonders des 9. deutschen Bundestages
(1980-1983) - habilitiert. Nach verschiedenen Lehrstuhlvertretungen wurde er
1989 an die Fakultät für Wirtschafts- und Organisationswissenschaften der
Universität der Bundeswehr München berufen, von wo aus er im Wintersemester
1994/1995 auf den Lehrstuhl für öffentliches Recht, Umweltrecht und
Verwaltungswissenschaften in Würzburg wechselte.
In den insgesamt dreigeteilten Sammelband führt eine
namengebende Vorbemerkung über Staatsrechtslehre als Mikrokosmos ein. In ihr
fragt der Verfasser im Prozess der Selbstreflexion zunächst nach seinem
Gegenstand. Danach schildert er verblasste politische Belastungen (z. B.
Politiknähe), Entwicklungstendenzen der Gegenwart (Europäisierung,
Internationalisierung, intradisziplinäre Öffnungen, interdisziplinäre
Öffnungen, Pluralisierung, Differenzierung, Medialisierung) sowie mögliche
Schwächen und bietet einen Ausblick auf die Staatsrechtslehre im Wandel.
Im ersten Teil betrachtet der Verfasser die
Staatsrechtslehre als akademischen Sozialisationsprozess. Dabei befasst er sich
notwendigerweise teilweise von außen mit 25 Jahren Assistententagung der
Fachrichtung öffentliches Recht zwischen 1961 und 1985, mit der
öffentlichrechtlichen Habilitationsschrift, dem öffentlichrechtlichen
Habilitationsvortrag, dem Staatsrechtslehrerreferat und der
Reputationshierarchie in der deutschen Staatsrechtslehre. Am Beispiel der
Festschrift für Werner Hoppe stellt er anlässlich der Übergabe fest, dass sie
auch im Lichte festschriftenwissenschaftlicher Qualitätskriterien herausragt
und gewiss in Theorie und Praxis besonders weit strahlen wird.
Im zweiten Teil werden unter der Überschrift
Staatsrechtslehre als wissenschaftlicher Diskurs ebenfalls sechs Studien
zusammengefasst. Nach einer einführenden Problemskizze wird danach gesucht, was
die Qualität öffentlich-rechtlicher Forschung ausmacht. Anschließend geht der
Verfasser eindringlich auf das Verhältnis der Staatsrechtslehre zum
Bundesverfassungsgericht und der Verwaltungsrechtswissenschaft zum
Bundesverwaltungsgericht ein.
Im abschließenden vierten Teil widmet sich der Verfasser
den deutschen Staatsrechtslehrern der Gegenwart und ihrer akademischen
Herkunft. In diesem Zusammenhang ist in langjähriger Befassung eine
„Genealogie“ als ein begrenzten Hilfsmittel entstanden, das am 30. November
2012 922 Namen deutscher Staatsrechtslehrer umfasste. Sie kann der Verfasser im
Umfang von 84 Prozent verdienstvollerweise auf (nur) 8 Ausgangspunkte und nach
Zuordnung der verbleibenden 16 Prozent auf 12 weitere Ausgangspunkte im
gesamten Umfang auf nur 20 Ausgangspunkte zurückführen.
Im Ausblick verzichtet er an dieser Stelle auf die
Formulierung materieller Einsichten. Er wirft lediglich ein Bündel
naheliegender interessanter Fragen auf. Gleichwohl geht er davon aus, dass ein
Studium des genealogischen Überblicks unter den genannten wie anderen
Fragestellungen zu überraschenden (oder auch nur weniger überraschenden)
Einsichten führen kann, sofern man die Beziehungsnetzwerke - in die er selbst
über Peter Häberle eingebunden ist - mit ergänzenden Vorkenntnissen „lesen“
kann.
Nach den im Anhang wiedergegebenen Tafeln sind die
wichtigsten Ausgangspunkte Theodor Niemeyer, Karl August Bettermann, Felix
Genzmer, Paul Laband, Ludwig vom Bar, Wilhelm Kahl, Otto Mayer, Karl Magnus
Bergbohm, Adolf Menzel, Werner Kägi, Friedrich Berber, Ulrich Stutz, Karl
Binding, Adolf Wach, Wilhelm Eduard Albrecht, Georg Jellinek, Georg Beseler,
Franz von Liszt, Konrad von Maurer und Johann Caspar Bluntschli. Die daran
geknüpften Filiationen stellt der Verfasser trotz aller mit Stammbäumen
verbundenen graphischen Schwierigkeiten bestmöglich dar. Zu Recht wünscht er
allen, dem die von ihm gestellten Fragen gefallen, viel Vergnügen, dem ein
umfangreiches Personenregister von Aaken bis Zwirner (mit hilfreicher Zuordnung
zum jeweiligen Ausgangspunkt) ebenso dienlich sein wird wie ein Sachregister
von Abwägungen bis Zweckgedanke - insgesamt also eine vorzügliche Fundgrube für
die personale Welt des deutschen öffentlichen Rechts der letzten hundert Jahre
und darüber hinaus.
Innsbruck Gerhard Köbler