Nentwig, Teresa, Hinrich Wilhelm Kopf (1893-1961). Ein konservativer Sozialdemokrat (= Veröffentlichungen der historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 272). Hahnsche Buchhandlung, Hannover 2013. 941 S., Ill.

 

Die Arbeit ist die sehr umfangreiche Dissertation der in Göttingen 1982 geborenen und von 2002 bis 2008 in Politik und Französisch in Göttingen und Genf ausgebildeten, in einer Hausarbeit die Darstellung des Kindes in ausgewählten französischen Romanen des 19. Jahrhunderts behandelnden und nach einer Tätigkeit in dem Drittmittelprojekt Politische Führung im deutschen Föderalismus - Die Ministerpräsidenten Niedersachsens am Institut für Demokratieforschung beschäftigten, die Edition der niedersächsischen Kabinettsprotokolle von 1946 bis 1951 verantwortenden Verfasserin. Sie gliedert sich außer in eine Einleitung über Problemstellung, Forschungsstand, Quellenlage, methodische Anmerkungen und Gang der Untersuchung sowie Konklusion und Ausblick in vier Abschnitte. Sie betreffen Kopfs Leben bis 1945, die Grundlagen einer langen Politikerkarriere, den politischen Führungsstil und mögliche Kriegsverbrechen.

 

Kopf wurde in Neuenkirchen am 6. Mai 1893 als Sohn eines Landwirts geboren, brach aber den Besuch der höheren Staatsschule in Cuxhaven im Alter von 16 Jahren zwecks Auswanderung in die Vereinigten Staaten von Amerika ab, kehrte jedoch nach neun in Aushilfstätigkeiten verbrachten Monaten zurück, holte das Abitur nach und studierte nach einer landwirtschaftlichen Lehre ab 1913 Rechts- und Staatswissenschaften in Marburg und Göttingen. 1919 trat er der Sozialdemokratischen Partei bei, wurde 1921 persönlicher Referent des Reichsinnenministers, dann Regierungsrat und nach einer Tätigkeit im Bankwesen und Versicherungswesen von 1928 bis 1932 Landrat seines Heimatkreises Hadeln. Nach seiner Entlassung aus dem öffentlichen Dienst gründete er mit Edmund Bohne ein Immobilienunternehmen, das seit dem Herbst 1939 das Vermögen der nach der deutschen Besetzung Polens Geflüchteten erfassen sollte, und wurde bis 1943 zunächst freier und dann angestellter Mitarbeiter der Haupttreuhandstelle Ost und ihrer Grundstücksgesellschaft.

 

Gleichwohl wurde er 1945 von der Militärregierung zum Präsidenten der preußischen Provinz Hannover ernannt und blieb mit einigen Unterbrechungen bis zu seinem Tode in Göttingen am 21. Dezember 1961 ein führender Politiker des neuen aus Hannover, Braunschweig, Oldenburg und Schaumburg-Lippe gebildeten Landes Niedersachsen. Entgegen dem bisher vorherrschenden Bild vom sozialen oder edlen Landesvater hält die Verfasserin auf einer allerdings nicht sehr breiten Quellengrundlage auch eine Bereicherung aus Grundstückgeschäften mit jüdischen Eigentümern und eine aktive Beteiligung an der Arisierung jüdischer Unternehmen für wahrscheinlich. Gegen manche Versuchungen sind eben vermutlich auch nicht alle konservative Sozialdemokraten in jeder politischen Lage gefeit.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler