Kröll, Peter, Das Städelsche Testament sowie Mühlenbruchs Rechtsverständnis bei der Beurteilung des Beerbungsfalles (= Salzburger Studien zum europäischen Privatrecht 33). Lang, Frankfurt am Main 2013. XXXVIII, 375 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Das nach Tacitus den (mehr oder weniger schriftlosen) Germanen unbekannte Testament ist eine Errungenschaft bereits des altrömischen Rechtes, die es dem Erblasser ermöglicht, seinen individuellen Willen über das an sich geltende Recht zu setzen und dadurch die Abdingbarkeit mancher Rechtssätze im eigenen Interesse zu nutzen. Dieser Vorteil ist im späteren deutschen Recht seit dem 13. Jahrhundert aufgegriffen und von mehr und mehr Menschen genützt worden. Dass durch diese Möglichkeit auch zahlreiche rechtliche Zweifelsfragen eröffnet wurden, zeigt kaum ein einzelner tatsächlicher Erbfall eindrucksvoller als der seit fast zwei Jahrhunderten in der rechtsgeschichtlichen Literatur behandelte Fall des am 1. November 1728 in Frankfurt am Main in einer ursprünglich Straßburger Familie geborenen, unverheirateten und am 2. Dezember 1816 verstorbenen Kaufmanns und Bankiers Johann Friedrich Städel, dessen Nachlass neben seinem am Rossmarkt gelegenen Haus rund 500 Gemälde, 9000 Kupferstiche, 3000 Zeichnungen sowie ein Vermögen von 1300000 Gulden umfasste.
Städel errichtete ein erstes nicht erhaltenes Testament am 26. Januar 1793, wohl auf Grund der Einführung des Code Napoléon in Frankfurt zum 1. Januar 1811 ein zweites nicht erhaltenes Testament am 18. Januar 1812 und nach Außerkraftsetzung des französischen Rechtes und Wiederinkraftsetzung des früheren Rechtes am 15. März 1815 ein drittes erhaltenes (und auf den Seiten 369 abgedrucktes) Testament, das er am 1. Juli 1815 dadurch ergänzte, dass er an Stelle des zwischenzeitlich verstorbenen Johann Carl Städel Carl Ferdinand Keller zum Administrator des von ihm beabsichtigten Kunstinstituts einsetzte. Mit den rechtlichen Folgen dieses Geschehens befasst sich die vorliegende Untersuchung, des an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln ausgebildeten, sich im Übrigen aber eher bedeckt haltenden, als Rechtsanwalt tätigen Verfassers der Dissertationsarbeit. Sie gliedert sich sehr detailliert (Inhaltsverzeichnis auf den Seiten IX-XXIII) in insgesamt drei Teile, die den Rechtsfall im Kontext des Zeitgeists, die Würdigung des Rechtsstreits und der Auffassung Mühlenbruchs sowie das Verhältnis zwischen Mühlenbruch und der historischen Rechtsschule betreffen.
Der in Rostock am 3. Oktober 1785 geborene, in Rostock, Greifswald, Göttingen und Heidelberg ausgebildete, 1805 in Rostock habilitierte und1810 zum ordentlichen Professor aufsteigende, 1815 nach Greifswald, 1818 nach Königsberg, 1819 nach Halle und 1833 nach Göttingen wechselnde, am 17. Juli 1843 verstorbene Christian Friedrich Mühlenbruch gelangte bei seiner 1828 noch vor einem Vergleich der Streitparteien veröffentlichten Beurteilung des Erbfalls zu dem Ergebnis, dass die Erbeinsetzung des Kunstinstituts in dem Testament vom 15. März 1815 mangels rechtlichen Bestands des Kunstinstituts bei dem Tode des Erblassers unwirksam und deshalb den (französischen) Intestaterben der Nachlass herauszugeben sei, dass diese aber durch eine Kodiziliarklausel in dem Testament zur Gründung des Kunstinstituts und zur Übertragung des Nachlasses (abzüglich der so genannten Trebellianischen Quart) verpflichtet seien. Im Ergebnis gelangt der Verfasser bezüglich des Gutachters zu der Erkenntnis, dass Mühlenbruch das positive gemeine Recht unter Berücksichtigung des jeweiligen geschichtlichen Kontextes anwendet und dabei Gesichtspunkte der Billigkeit berücksichtigt. Einen Wandel in Mühlenbruchs Rechtsverständnis kann er den Ausführungen zu dem Rechtsfall auf Grund der Beurteilung unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit nicht entnehmen, vielmehr halte Mühlenbruch folgerichtig die wissenschaftliche Betrachtung des positiven Rechtes als Mittel zur Gewährleistung der für ihn maßgeblichen Rechtssicherheit für geboten.
Innsbruck Gerhard Köbler