Jakobi, Claudia, Die vieldeutige Betriebsgemeinschaft. Ihre Funktion im Arbeitsrecht der Weimarer Republik und der NS-Zeit (= Rechtsgeschichtliche Studien 55). Kovač, Hamburg 2013. XXXIII, 252 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Die „Betriebsgemeinschaft“ als „Wertbegriff“ (Axel Görlitz [Hrsg.], Handlexikon zur Rechtswissenschaft, 1974, S. 47) und als ausfüllungsbedürftiges Organisationsprinzip hat erstmals im Arbeitsrecht der Weimarer Zeit, ausgehend von einer Entscheidung des Reichsgerichts vom 6. 2. 1923 (RGZ 106, 272, 275f.) größere Beachtung gefunden. Ziel der Arbeit Claudia Jakobis ist es, die „Betriebsgemeinschaft“ während der Weimarer Zeit und der NS-Zeit und ihre Funktion im Arbeitsrecht darzustellen. Zu analysieren war nach Jakobi das „Bestehen von Aufgaben in Form von Rechten und Pflichten sowohl der Betriebsleitung als auch der Beschäftigten“. Insoweit galt es, „mögliche Konsequenzen bei Verstößen gegen diese Pflichten darzustellen“. Da auch das Vorhandensein von Gremien der Betriebsgemeinschaft ihr Gepräge geben, liegt ein Schwerpunkt der Arbeit in der Darstellung „der im Betrieb vorhandenen Organe, ihres Verhältnisses zur Betriebsleitung und den Beschäftigten sowie der einzelnen Funktionen“ (S. 2). Im zweiten Teil ihrer Arbeit geht Jakobi den Ursprüngen des Betriebsgemeinschaftsgedankens im Werk von Otto von Gierke, Ferdinand Tönnies und in den Gesetzen bis 1919 nach (S. 5-16). Im Abschnitt: „Der Betriebsgemeinschaftsgedanke in der Weimarer Republik“ (S. 17-88) behandelt Jakobi den Räteartikel 165 der Weimarer Reichsverfassung und die Betriebsgemeinschaft im Betriebsrätegesetz von 1920 in Abschnitten über die Personen im Betrieb, die Betriebsvertretungen , die Betriebsversammlungen, das Arbeitsziel, über die Rechte und Pflichten der Betriebsgemeinschaftsmitglieder sowie des Arbeitnehmers sowie die Rechte und Pflichten des Betriebsrats und des Arbeiter- und Angestelltenrats.

 

Auch wenn in der Weimarer Zeit am schuldrechtlichen, primär-individualistischen Charakter des Arbeitsvertrags noch festgehalten wurde, kann man mit Jakobi bereits von Ansätzen zu einer Umformung des Arbeitsverhältnisses aufgrund des Betriebsgemeinschaftsgedankens sprechen (S. 89-98). Unter dem Nationalsozialismus fand dieser Gedanke im Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit (AOG) vom 1. 5. 1934 insbesondere in den §§ 1 und 2 seine gesetzliche Grundlage. Im Einzelnen untersucht Jakobi das AOG unter folgenden Gesichtspunkten: Führerprinzip, Betriebsgemeinschaft (Führer des Betriebs, Gefolgschaft), Rechte und Pflichten des Führers des Betriebes sowie diejenigen des Gefolgsmannes, das gemeinsame Arbeitsziel (§ 1 AOG), den Vertrauensrat, den Betriebsobmann der Deutschen Arbeitsfront, das Arbeitsverhältnis und die soziale Ehre der Mitglieder der Betriebsgemeinschaft. Auch wenn die Rechtsprechung und überwiegend auch die arbeitsrechtliche Literatur an der Vertragstheorie festhielten, so sahen sie im Arbeitsvertrag selbst ein „personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis“ (S. 157ff.). Im Teil 5 ihres Werkes: „Der Vergleich des Betriebsgemeinschaftsgedankens zur Zeit der Weimarer Republik und unter nationalsozialistischer Herrschaft“ (S. 173-188) stellt Jakobi heraus, dass insbesondere die Treue- und Fürsorgepflicht „durch ihre Idealisierung zu den Hauptpflichten des Arbeitsverhältnisses geworden seien“ (S. 186). Im Schlussteil: „Die aus dem Betriebsgemeinschaftsgedanken resultierenden Rechtsinstitute“ werden jeweils für die Weimarer Zeit, die NS-Zeit und die Zeit nach dem 2. Weltkrieg (S. 189-226) die Betriebsrisikolehre, der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz, die Treue- und Fürsorgepflicht, der Anspruch auf Urlaub sowie das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit untersucht. Das Werk wird abgeschlossen mit einer fotomechanischen Wiedergabe des Betriebsrätegesetzes und des AOG aus dem Reichsgesetzblatt.

 

Auch wenn es das Ziel der Arbeit war, den Betriebsgemeinschaftsgedanken „anhand des für die jeweilige Zeit einschlägigen Gesetzes“ darzustellen, hätte sie durch eine mitunter kritischere Sicht der Entwicklungen besonders in der Weimarer Zeit und hinsichtlich der behandelten Rechtsinstitute an Überzeugungskraft noch gewonnen. Der Vorzug des Werkes ist in der detaillieren Analyse des Betriebsgemeinschaftsgedankens unter der Herrschaft des Betriebsrätegesetzes und des Arbeitsordnungsgesetzes zu sehen. Der vergleichende Blick auf mehrere arbeitsrechtliche Rechtsinstitute zeigt die praktische Reichweite des Betriebsgemeinschaftsgedankens und lässt erkennen, dass dieser Gedanke, ungeachtet aller ideologischen Unterschiede, Epochen übergreifend zu einem Grundprinzip des heutigen Arbeitsrechts geworden ist (vgl. S. 189).

 

Kiel

Werner Schubert