Davies, Norman, Verschwundene Reiche. Die Geschichte des vergessenen Europa. Aus dem Englischen übers. v. Schuler, Karin/Juraschitz, Norbert/Freundl, Hans/Dierlamm, Helmut/Grasmück, Oliver. Theiss/Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2013. 926 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Aufgabe der Geschichte ist es, der jeweiligen Gegenwart das Verständnis ihrer jeweiligen Vergangenheit trotz des Ablaufs von Zeit zu ermöglichen und zu sichern. Deswegen sind verschwundene Reiche ein selbverständlicher Gegenstand der Darstellung und kaum ein verschwundenes Reich hätte darin einen würdigeren Platz als das Reich der Römer. Weil über das imperium Romanum aber bereits viel bekannt ist und ständig der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wird, grenzt der Verfasser sein gewichtiges Werk auf das vergessene Europa im Gegensatz zu dem allgemein bekannten Europa sowie auf Mittelalter und Neuzeit ein.

 

Als inzwischen emeritierter Professor für Geschichte an Universitäten in London, Harvard, Stanford und New York ist er bereits durch verschiedene umfangreiche Darstellungen allgemein bekannt geworden. Dazu zählen etwa die Geschichte Polens im Herzen Europas (2000) oder die große Katastrophe des Krieges zwischen 1939 und 1945 (2009). Das vorliegende Werk schließt eine bisherige Lücke, indem es 15 als solche bekannte geschichtliche Reiche des Mittelalters und der Neuzeit zu einer neuen Einheit der Vergessenheit zusammenführt, in der die Sowjetunion Europa zugeordnet wird.

 

Nach einer sachkundigen Einleitung beginnt der Verfasser mit dem tolosanischen Reich als dem Zwischenhalt der Westgoten zwischen 408 und 507 n. Chr. und schließt daran das Königreich Strathclyde (Alt-Clud, 5.-12. Jh.), fünf, sechs oder sieben Königreiche Burgund (um 411-1795), Aragón (1137-1714), Litauen (1253-1795), Byzanz (330-1453), Borussia der Prußen (1230-1945), Savoyen (1033-1946), Galizien - das Königreich der Nackten und der Hungernden (1773-1918), Etrurien (1801-1814), Rosenau (1826-1918), Montenegro (1910-1918), Ruthenien - die Eintages-Republik, Èire und die UdSSR (1924-1991) an. Zusammenfassend erklärt er auf dieser vielfältigen bunten Grundlage am Ende, wie Staaten sterben. Karten und Abbildungen veranschaulichen die eigenständige, die Aufmerksamkeit des Lesers professionell weckende, zahlreiche Informationen von Aachen bis zum zweiten Weltkrieg vermittelnde neuartige Zusammenschau vorteilhaft ab.

 

Innsbruck                                                        Gerhard Köbler