Conrad, Sebastian, Globalgeschichte. Eine Einführung (= beck’sche reihe 6079). Beck, München 2013. 300 S. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Das seit 1990 zunehmend starke Wachstum der Globalgeschichte als eigenes Feld der Geschichtsforschung verlangt auch nach der Bereitstellung übersichtlicher Einführungswerke in diese nicht leicht zu überschauende, sich komplex entwickelnde Disziplin. Der namhafte deutsche Globalhistoriker Sebastian Conrad, der zunächst am European University Institute in Florenz wirkte und seit 2010 eine Professur für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin innehat, stellt nunmehr einen handlichen Band bereit, der einschließlich der Einführung in acht Kapiteln darzulegen versucht, wodurch sich Globalgeschichte konstituiert, welche Erkenntnismöglichkeiten sie bietet und welche Grenzen ihr gesetzt sind. Unter anderem werden verschiedene Ansätze und Paradigmen skizziert sowie die prominentesten Felder, Themen und Kontroversen angesprochen. Unter dem Titel „Globalgeschichte in Aktion“ stellt der Verfasser abschließend insgesamt zehn Werke näher vor, „exemplarische Texte, die in verschiedener Hinsicht die Erkenntnischancen und das innovative Potential, aber auch die Grenzen globalgeschichtlicher Zugriffe deutlich machen können“ (S. 248), darunter neben weniger gängigen Schriften renommierte Klassiker wie C. A. Baylys „Die Geburt der modernen Welt. Eine Globalgeschichte 1780-1914“ (2008) oder Jürgen Osterhammels opus magnum „Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts“ (2009).

 

Der „Boom der Globalgeschichte“ sei „ohne den Hintergrunddiskurs der Globalisierung nicht zu verstehen“, weshalb es umso wichtiger sei, „sich regelmäßig darüber Rechenschaft abzulegen, wie Erklärungsansätze und Narrative mit zugrundeliegenden Strukturen der Ungleichheit und den Geographien der Macht zusammenhängen“ (S. 95). Im Mittelpunkt sich als globalgeschichtlich definierender Forschungen stünden „grenzüberschreitende Prozesse, Austauschbeziehungen, aber auch Vergleiche im Rahmen globaler Zusammenhänge“, Ausgangspunkt sei „die Verflechtung der Welt“, die wichtigsten Gegenstände seien „die Zirkulation von und der Austausch zwischen Dingen, Menschen, Ideen und Institutionen“. Idealtypisch seien grundsätzlich drei Formen – „eine Geschichte mit globalem Horizont, eine Geschichte globaler Verflechtungen und eine Geschichte vor dem Hintergrund globaler Integration“ – zu unterscheiden, wobei es mitnichten immer darum gehe, „das etablierte nationalgeschichtliche Paradigma durch eine abstrakte Totalität der ‚Welt‘ zu ersetzen“, vielmehr stellten sich „die spannendsten Fragen häufig am Schnittpunkt globaler Prozesse und ihrer lokalen Manifestationen“ (S. 9f.). Der methodische Kern globalgeschichtlicher Ansätze ergebe sich aus einer „nicht nationalstaatlich formatierte(n) und nicht-eurozentrische(n) Perspektive“ in Form der „Absage an Erklärungen, die weitgehend ohne externe Einflüsse und Kontexte auskommen“ (S. 21). Der spatial turn in der Geschichtswissenschaft (die stärkere Orientierung an Konstellationen im Raum gegenüber zeitbezogenen Narrativen), eine relationale Geschichte (Interaktion statt Diffusion), Synchronizität (die Berücksichtigung der strukturierenden Kraft gleichzeitiger Prozesse), die Abkehr vom methodologischen, das Wissen über die Welt vorbildenden und die Bedeutung von Austauschbeziehungen ausblendenden Nationalismus und eine - zunehmend kosmopolitische - Positionalität seien weitere Charakteristika dieser Methodik.

 

Dass gegenwärtig „die globale Diskussion über Globalgeschichte sehr ungleich“ ausfalle, also keineswegs homogen sei, führt der Verfasser unter anderem auf „unterschiedliche institutionelle Kontexte“ zurück. Grundsatzkritik werde „gegenüber den Verallgemeinerungen einer ganz auf Sekundärliteratur angewiesenen Kaste von Globalhistorikern“ (S. 89) und ihrer Makroperspektive, gegenüber teleologischen Tendenzen und anhand des Vorwurfs, „dem gegenwärtigen Globalisierungsprozess eine Genealogie zu konstruieren“ (S. 93), sowie gegenüber einer Weltgeschichte als einer Form kulturellen Genozids“ (S. 96) laut, weitere Vorbehalte beträfen „die Tendenz, den programmatischen Anti-Eurozentrismus zu verabsolutieren“ (S. 97), die Überbewertung externer Faktoren, die (vor allem in der Frühphase globalgeschichtlicher Forschung) zu geringe Spezifizierung des Nachweises von Beziehungen und Verflechtungen, die „Fetischisierung der Mobilität“ (S. 101), die Marginalisierung der kulturgeschichtlichen und geschlechtergeschichtlichen Dimensionen und die Missachtung des „Konstruktionscharakter(s) der globalen Perspektive“ (S. 109).

 

Viele der aktuellen globalgeschichtlichen Ansätze knüpfen an bereits bestehende Entwürfe an, wie an Immanuel Wallersteins Weltsystemtheorie, an die erstmalig von Edward Said thematisierten postcolonial studies, an Manuel Castells‘ These von der Netzwerk-Gesellschaft oder an die Konzeption der multiple modernities (auch alternative modernities) Shmuel N. Eisenstadts. Größere Forschungsfelder haben sich bislang um globale Warenströme, die Geschichte der Ozeane, Migrationsbewegungen, die Geschichte von Imperien, die globalen Horizonte nationaler Geschichten und die Umweltgeschichte etabliert, darüber hinaus verlangt auch das Phänomen des Rassismus nach einer Wahrnehmung unter globalgeschichtlichen Perspektiven. Kontrovers diskutiert werden derzeit unter anderem Strategien zur Überwindung eurozentrischer Sichtweisen, die Frage einer Periodisierung der Globalisierung, das Problem eines europäischen Sonderwegs in der Weltgeschichte und das Konzept der early modernities, speziell „die Frage, welche Bedeutung den unterschiedlichen kulturellen Ressourcen nicht-westlicher Gesellschaften beim Übergang in die moderne Welt zugesprochen werden kann“ (S. 174).

 

Somit liefert der Band grundlegende Informationen über ein Wissenschaftsgebiet, das bislang trotz seiner expansiven Entwicklung in der Wahrnehmung der breiten Öffentlichkeit noch auf relativ bescheidene Resonanz gestoßen ist. Dies mag neben Faktoren wie dem Umfang und der inhaltlichen Komplexität der maßgeblichen Publikationen sowie den Sprachbarrieren im Hinblick auf die asiatische Literatur vor allem an einer starken Theorielastigkeit liegen, die auch das Verständnis der vorliegenden Arbeit nicht eben erleichtert. Wer sich allerdings der Mühe der genauen Lektüre und der sorgfältigen Auseinandersetzung mit der Terminologie unterzieht, wird mit einem ersten profunden Einblick in eine Forschungsmaterie belohnt, von der in naher Zukunft fruchtbare Impulse für die Interpretation weltweit relevanter Problemstellungen zu erwarten sind. Anregungen zur intensiveren Beschäftigung liefert die Auflistung empfehlenswerter Basisliteratur im Anhang (Einführungswerke, Methode und Theorie, Synthesen und Überblickswerke, Fallstudien).

 

Kapfenberg                                                                            Werner Augustinovic