Čapková, Kateřina/Frankl, Michal, Unsichere Zuflucht. Die Tschechoslowakei und ihre Flüchtlinge aus NS-Deutschland und Österreich 1933-1938, aus dem Tschechischen übersetzt v. Kallert, Kristina (= Jüdische Moderne 13). Böhlau, Wien 2012. 327 S. Besprochen von Gerhard Köbler
Die Tschechoslowakei oder Tschechoslowakische Republik wurde
am 28. 10. 1918 vor allem aus den österreichischen Gebieten Böhmen und Mähren
sowie Schlesien und Oberungarn unter zwangsweisem Einschluss der dort
lebenden Deutschen gebildet und gab sich am 29. 2. 1920 eine Verfassung. Der
Vielvölkerstaat umfasste nach einer Volkszählung 8,761 Millionen Tschechen und
Slowaken, 3,1 Millionen Menschen deutscher Sprachzugehörigkeit und bedeutende
Minderheiten von Ungarn, Roma, Russinen, Ukrainern, Juden und Polen. Seine
Entstehung war eine bewusste Abkehr vom deutschsprachig bestimmten
Österreich(-Ungarn).
Nach der überzeugenden Einschätzung der als
wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Zeitgeschichte der
tschechischen Akademie der Wissenschaften in Prag bzw. als Leiter der Abteilung
für Geschichte der Shoah des jüdischen Museums in Prag tätigen Verfasser
überwiegt in der bisherigen Forschung, in den Medien und im öffentlichen
Bewusstsein die Ansicht, die Tschechoslowakei sei zwischen 1933 und 1938 eine
Insel der Freiheit und damit eine geeignete Zufluchtsstätte für Gegner und
Opfer des Nationalsozialismus gewesen. Dies führen die Verfasser vor allem auf
die erfolgreiche tschechoslowakische Exilpropaganda der anschließenden Jahre
zurück. Dem widersprechen sie auf Grund umfangreicher Verwertung bisher
unberücksichtigter Archivalien entschieden.
Gegliedert ist die aus dem von der Projektagentur der
Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik geförderten Projekt Nr.
B 8994401 hervorgegangene neue Darstellung außer in eine Einführung und einen
Epilog in vier Kapitel über „wohlwollende“ Flüchtlingspolitik, Hilfe und
Ohnmacht, rassisch Verfolgte oder Wirtschaftsemigranten und das Ende des Exils
in der Tschechoslowakei. Bei Betrachtung nicht nur eines kleinen bevorzugten
Ausschnitts, sondern aller Flüchtlinge können sie zeigen, dass sich die
Flüchtlingspolitik der Tschechoslowakei von der Flüchtlingspolitik anderer
europäischer Staaten (dieser Zeit) nicht wesentlich unterschied. Die meisten
Flüchtlinge waren unerwünscht, wurden diskriminiert und sollten aus dem
Transitland Tschechoslowakei baldmöglichst anderswohin emigrieren, bis 1938 die
Grenzen für die überwiegend jüdischen Flüchtlinge geschlossen und keine Visa
mehr erteilt wurden.
Innsbruck Gerhard Köbler