Bulling,
Sandra Michaela, Die zivilrechtliche
Erwachsenenfürsorge des 19. Jahrhunderts. Eine historische Untersuchung zu den
Vorläufern des heutigen Betreuungsrechts. Kovač, Hamburg 2013. VI, 286 S. Besprochen
von Werner Schubert.
Mit ihren Untersuchungen will Sandra Bulling die „Vorläufer der heutigen Betreuung“ darstellen und in diesem Rahmen hinsichtlich der zivilrechtlichen Erwachsenenfürsorge die Regelung von vier ausgewählten Rechtsordnungen (Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis 1756, Allgemeines Landrecht Preußens 1794, Code civil Ftankreichs 1804 und Bürgerliches Gesetzbuch Deutsches Recih 1900) erschließen (S. 6). Nach einer kurzen Kennzeichnung des seit 1992 geltenden Betreuungsrechts (S. 7ff.) gibt Bulling einen Überblick über die Erwachsenenfürsorge im römischen Recht, im germanischen sowie im gemeinen Recht (S. 19ff.). Es folgt ein weiterer Abschnitt über die Erwachsenenfürsorge nach dem Codex Maximilianeus (S. 45ff.) und nach dem ALR (S. 58ff., 63ff.), nach dem der Vormund einer umfassenden staatlichen Aufsicht unterlag (S. 85f.). Dieses System der staatlichen Reglementierung wurde durch die preußische Vormundschaftsordnung von 1875 abgelöst, die den Grundsatz der selbständigen Führung durch den Vormund betonte (S. 86ff.; vgl. auch Rez., in: J. Wolff [Hrsg.], Das Preußische Allgemeine Landrecht, Heidelberg 1995, S. 245ff.). Die Erwachsenenfürsorge nach dem Code civil, dessen Vormundschaftsrecht in der Rheinprovinz bis 1875 galt, ist gekennzeichnet durch die Einrichtung des Familienrats (S. 104ff., 119f.).
Nach einem Überblick über die Erwachsenenfürsorge und Erwachsenenvormundschaft nach dem BGB geht Bulling zunächst auf die Entstehungsgeschichte des § 6 BGB a. F. (Entmündigung; S. 139ff.) ein und erörtert anschließend die Dogmatik und Praxis der vier Entmündigungsgründe (Geisteskrankheit, Geistesschwäche, Verschwendung und Trunksucht) heraus. Hierbei kommen auch Grundsätze des BGB-Vormundschaftsrechts zur Sprache, das im Wesentlichen der preußischen Vormundschaftsordnung folgte (S. 197ff.). Das Entmündigungsverfahren hätte im Einzelnen noch detaillierter herausgestellt werden sollen (S. 156 ff.; vgl. hierzu Torsten Schmidt, Die Entmündigung von den Anfängen des BGB bis zur Ablösung durch das Institut der Betreuung, Frankfurt a.M. 1998, S. 53ff., 87ff.). Die Institute der vorläufigen Vormundschaft (§ 1906 BGB a.F.; zur Entstehung dieser Norm vgl. Jacobs/Schubert, Beratung des BGB, Allgemeiner Teil, 1985, S. 545ff.) und der sog. Gebrechlichkeitspflegschaft nach § 1910 BGB a.F. (zur Entstehung S. 219ff.) werden als von der Praxis in großem Umfang benutzte Ersatzformen der Entmündigung vorausgestellt (S. 213ff., 231ff.). Bis zur Einführung der Betreuung hatte die Zahl der Entmündigungsverfahren im Verhältnis zur „Zwangspflegschaft“ seit Mitte der 1960er Jahre erheblich abgenommen (S. 240 ff.; vgl. auch das nachträglich erschienene Werk von Kathrin Brunozzi, Das vierte Alter im Recht, 2012, S. 161ff.). Die Arbeit wird abgeschlossen mit einer vergleichenden Würdigung der Grundsätze der Erwachsenenfürsorge (S. 247ff.), die zum Teil etwas detaillierter hätte sein können. Insgesamt liegt mit den Untersuchungen Bullings eine zuverlässige Darstellung zum Recht der Erwachsenenfürsorge in den letzten zwei Jahrhunderten vor, deren Reform im Verlauf des 20. Jahrhunderts immer wichtiger geworden war.
Kiel |
Werner Schubert |