Braun, Bernd, Die Weimarer Reichskanzler - zwölf Lebensläufe in Bildern (= Photodokumente zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 7). Droste, Düsseldorf 2011. 503 S. Besprochen von Karsten Ruppert.
Für Bernd Braun
war der Antrieb zur Herausgabe dieses Fotobandes über die Weimarer
Reichskanzler der Wunsch, eine Art historische Wiedergutmachung zu leisten.
Denn er beklagt eingangs, dass diese heute fast ganz vergessen seien. Damit
aber geschehe ihnen Unrecht, da sie sich bemüht und nicht weniger geleistet
hätten als die Kanzler anderer Epochen der deutschen Geschichte. Ihr Schicksal sei es gewesen, dass Wirtschaft,
Parteiensystem und Verfassung ihnen ihre Arbeit so erschwert hätten, dass allen
nur kurze Regierungszeiten beschieden gewesen seien und letztlich die Republik,
für die sie sich einsetzten, gescheitert sei.
Einleitend wird der Versuch einer
kollektiven Lebensbeschreibungen der 12 Kanzler unternommen, der einige
interessante Einsichten vermittelt. Die meisten hätten sich nicht nach dem Amt
gedrängt, sondern es mehr aus Pflicht übernommen; erschwert worden sei es ihnen
auch dadurch, dass die wenigsten anders als in der Bundesrepublik zum Zeitpunkt
des Amtsantritts weder Parteivorsitzende noch Fraktionsvorsitzende gewesen
seien. Sozial seien sie dem Bürgertum und Kleinbürgertum zuzurechnen - bis auf
den Uradligen von Papen und den relativen Neuadligen (18. Jahrhundert) von
Schleicher. Von den Sozialdemokraten abgesehen, hatten alle eine akademische
Karriere oder die Offizierslaufbahn durchschritten. Bemerkenswert, dass das
Durchschnittsalter aller Kanzler geringer war als das ihrer Vorgänger und
Nachfolger und dass nur die Reichsländer Preußen und Baden Kanzler gestellt
haben. Die christlichen Konfessionen waren in etwa gleichmäßig vertreten; die
Sozialdemokraten bezeichneten sich aber durchgehend als “Dissidenten”.
So interessant diese Ausführungen sind, so
wenig erhellend sind die eingefügten Kurzbiographien, dafür entschädigen aber
wiederum die eingestreuten Fotos der Reichskanzlei von innen und außen. Gewiss
ist heute eine populäre Erinnerung (Straßennamen, Filme, Briefmarken, Romane)
an die Weimarer Kanzler kaum vorhanden, doch ist hier die Lage für das Kaiserreich,
von Bismarck abgesehen, auch nicht anders. So schlecht, wie Braun meint, ist
die wissenschaftliche Erforschung von deren Leben nicht. Hier muss man auch
bedenken, dass dort, wo Lücken klaffen, die Überlieferung nichts anderes
zulassen würde, als die Ereignisse der Kanzlerschaft nochmals zu erzählen.
Alles in allem kommt der Herausgeber zu dem Schluss, dass den Kanzlern der
Weimarer Republik keine geringere Professionalität als denen anderer Epochen
bescheinigt werden könne.
Mit vorbildlichem Einsatz hat Braun Fotografien
der 12 Reichskanzler der Weimarer Republik aufgespürt vor allem bei den
Nachfahren, die in der dritten Generation so leicht schon nicht mehr zu ermitteln
waren, in Archiven, Presseagenturen wie Bildagenturen und illustrierten Blättern.
Nebenbei kann er einige vorsätzliche Manipulationen aufdecken und
sensibilisiert den Benutzer für politische Absichten, die mit einigen Fotos
verfolgt wurden. Etwas zu kurz streift er die Problematik der Quellenkritik von
Bildern und Fotos.
Man erfährt des Weiteren zwei Tatsachen, die
wohl den meisten Historikern bisher unbekannt gewesen sein werden. Zum einen
die technischen Schwierigkeiten der Fotografie und deren Rückwirkungen auf die
Bildberichterstattung. Obwohl sich die Fotografie in Deutschland seit den
80iger Jahren des 19. Jahrhunderts durchsetzte, blühte die Pressefotografie
erst mit der technischen Neuerung der Handkamera in der Mitte der Weimarer
Republik auf, die zum ersten Mal Schnappschüsse ermöglichte. Das erklärt unter
anderen, warum die Illustrierten, mit deren verkaufter Auflage Deutschland an
der Weltspitze stand, immer noch auf Zeichnungen zurückgriffen und warum es so
wenig politische Fotos aus dieser Zeit gibt. Zum anderen macht Braun deutlich,
dass die Reichskanzler ausnahmslos kaum Öffentlichkeitsarbeit betreiben ließen
und fast alle große Probleme mit den neuen Medien, Kamera und Fotoapparat,
hatten. Einige scheuten sich direkt vor ihnen.
Zu allen
Kanzlern sind 2 - 3 Dutzend, das ganze Leben umspannende Fotos reproduziert - und das macht unter anderem den Reiz
dieses Buches aus. Das älteste zeigt den vierjährigen Philipp
Scheidemann im Jahr 1869, die jüngsten Papen beim Rennen in Iffezheim 1969 und
Brüning in seinem Haus in Vermont (die einzigen in Farbe) im gleichen Zeitraum.
Es sind echte Fundstücke darunter. Von fast allen werden die Kinderbilder,
Jugendbilder und Familienbilder kaum bekannt gewesen sein. Doch wer wusste
bisher, dass Oberstleutnant Schleicher auf der Beerdigung Friedrich Eberts
gewesen ist, wie Papen im Nürnberger Gefängnis aussah, wie zufrieden der
ehemalige Reichskanzler Luther zu seinem Botschafterposten nach Washington
reiste und wie ausgehungert er unmittelbar nach dem Krieg war? Wer hatte bisher
eine Vorstellung vom großbürgerlichen Leben Wilhelm Cunos, dem studentischen
von Constantin Fehrenbach oder dem Sanitätsdienst von Josef Wirth im Ersten
Weltkrieg?
Man spürt, dass dieses Buch mit Freude und
Begeisterung gemacht wurde, die auch auf den Benutzer überspringen. Bernd Braun
hat mit diesem Standardwerk fotografischer Quellen zur Weimarer Republik unsere
bildlichen Vorstellungen von deren Kanzlern erheblich erweitert. Er hat damit,
wie es seine Absicht war, überzeugend den Quellenwert von Fotos vor Augen
geführt. Seinem Wunsch, die Kanzler dieser Republik der Vergessenheit zu
entreißen, hat er den denkbar besten Dienst erwiesen. Bleibt nur zu hoffen,
dass diese Fotosammlung über die Wissenschaft hinaus auch das geschichtsinteressierte
Publikum erreicht.
Eichstätt Karsten
Ruppert