Borgstedt, Angela, Badische Anwaltschaft und sozioprofessionelles Milieu in Monarchie, Republik und totalitärer Diktatur 1865-1945 (= Schriftenreihe des rechtshistorischen Museums Karlsruhe 25). Verlag der Gesellschaft für kulturhistorische Dokumentation, Karlsruhe 2012. 416 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Die Mannheimer sozialgeschichtlich angelegte Habilitationsschrift Angela Borgstedts befasst sich mit der Entwicklung der Anwaltsprofession in Baden seit Erlass der badischen Rechtsanwaltsordnung von 1864 bis 1945. Die Arbeit verbindet drei methodische Ansätze: Professionalisierung, historische Biographik (prosopographische Methode) und sozialmoralisches Milieu (S. 2ff.). Borgstedt untersucht die Professionalität unter dem Aspekt der „Kollegialität und Solidarität, des Verhaltens im sozioprofessionellen Milieu“. Dabei ist von Interesse die „soziale Homogenität resp. Heterogenität innerhalb der Profession, die im Hinblick auf das Herkunftsmilieu mit dem Verweis auf bildungsbürgerliches Herkommen nur unzureichend konturiert“ sei (S. 14). Der Studie zugrunde liegen in erster Linie 700 personenbezogene Akten, die z. T. auch das Entnazifizierungsverfahren betreffen, von Rechtsanwälten der Landgerichtsbezirke Karlsruhe und Freiburg im Breisgau. Damit sollen exemplarisch die Karlsruher und Freiburger Verhältnisse erschlossen werden. Der Quellenbestand zur bedeutsamen Mannheimer Anwaltschaft, die Hannes Siegrist, Advokat, Bürger und Staat. Sozialgeschichte der Rechtsanwälte in Deutschland, Italien und der Schweiz, 1996, herangezogen hat, wurde nicht mehr detailliert ausgewertet. Wie Borgstedt klarstellt, soll die vorliegende Monographie „keine Geschichte der Anwaltschaft in Baden“ bringen und auch nicht den Anspruch erheben, die Professionsgeschichte im Zeitraum 1864 bis 1945 „lückenlos und chronologisch abzubilden“ (S. 16).

 

Im ersten Hauptteil geht Borgstedt der Selbstorganisation der Anwaltschaft unter der Überschrift „Berufsständische Autonomie und die Belastbarkeit professioneller Eigenständigkeit“ (S. 9-119) nach. Die Entstehung der badischen Anwaltsordnung von 1864 ist überblicksartig behandelt (S. 25ff.). Erwünscht gewesen wäre auch eine umfangreichere Berücksichtigung der Reichsrechtsanwaltsordnung von 1878 zumindest hinsichtlich der Wünsche aus Baden. Das Problem der Simultanzulassung der Amtsgerichtsanwälte am übergeordneten Landgericht stellte sich in Baden nicht in dem Maße wie in Preußen und Bayern, da die Simultanzulassung 88% der Anwälte (im Jahre 1909) gewährt wurde (S. 65ff.). In der Weimarer Zeit spielte die Frage der Zwangsaltersversicherung eine wichtige Rolle (S. 55ff.). Weitere Abschnitte befassen sich mit der anwaltlichen Ehrengerichtsbarkeit (S. 83 statistische Übersicht) und mit den Interventionsbefugnissen in der NS-Zeit (S. 69ff.), die zur Erosion und Selbstpreisgabe berufsständischer und nur selten zu einer Verteidigung individueller Autonomie führte (S. 87ff., 104ff.). Im zweiten Hauptteil geht es um die Belastbarkeit professioneller Kollegialität in der NS-Zeit und die Reaktionen der Anwaltschaft und der Anwälte auf die Entrechtung jüdischer Kollegen – hierzu wären detailliertere Informationen von Interesse gewesen – und um die Verdrängung politisch missliebiger Kollegen (S. 122ff., 139ff., 163ff.). Es habe, so Borgstedt, Gesten und Zeichen individueller und kollektiver Nonkonformität gegeben; jedoch habe die anwaltliche Solidarität einer „echten Bewährungsprobe“ nicht standgehalten (S. 256). Die erste badische Juristin, die ihre Anwaltszulassung erhielt, war Emilie Rebstein-Metzger, die auf dem 36. Deutschen Juristentag in Lübeck ein viel beachtetes Gutachten zur Reform des ehelichen Güterrechts erstattete (allgemein zum „weiblichen Rechtsanwalt“ S. 146ff.). Sowohl nach 1918 als auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stellte sich das Problem der Integration von vertriebenen Rechtsanwälten (nach 1918 aus Elsass-Lothringen, nach 1945 aus den Ostgebieten) und der Reimmigration von vormals jüdischen Rechtsanwälten (von 189 jüdischen Rechtsanwälten kamen nur 10 zurück; S. 173).

 

Der dritte Hauptteil befasst sich mit den Herkunftsmilieus und der gesellschaftlichen Vernetzung, dem Sozialprestige und der Positionierung in der „,Topographie des sozialen Raumes’“ (S. 185 ff.). Hinsichtlich des Herkunftsmilieus bringt Borgstedt mehrere Übersichten (Herkunfts- und Heiratsmilieu, Studienorte, konfessionelle Zugehörigkeit, Vereins- und Parteimitgliedschaften; Mitglieder der NSDAP waren 1933 knapp 40% der Rechtsanwälte). Zum großen Teil gehörte die badische Anwaltschaft zur „bürgerlichen Intelligenzschicht“ (S. 216ff.), was auch in der Wohn- und Arbeitssituation der Rechtsanwälte zum Ausdruck kam. Hierzu hat Borgstedt vor allem Karlsruher Adressverzeichnisse, Grundrisse und Inventarlisten ausgewertet (S. 232ff.). Das Werk wird abgeschlossen mit einem Schlussteil (S. 254-258), den man sich etwas ausführlicher gewünscht hätte. Das Quellenverzeichnis ergibt, dass insbesondere für die Karlsruher Rechtsanwaltschaft ein reichhaltiger Aktenbestand im Generallandesarchiv Karlsruhe überliefert ist (insbesondere auch zahlreiche Personalakten des NS-Rechtswahrerbundes), dessen weitere quantitative Auswertung vielversprechend erscheint. Aus rechtshistorischer Sicht hätten die rechtlichen Strukturen, soweit sie in Betracht kamen, mitunter vielleicht noch präziser herausgearbeitet werden sollen. Insgesamt liegt mit dem Werk Angela Borgstedts eine systematisch und gleichzeitig narrativ angelegte sozialwissenschaftliche Studie über die Anwaltschaft in Karlsruhe und Freiburg vor, die auch die Rechtsgeschichte und speziell die Anwaltsrechtsgeschichte unter bisher wenig beachteten Gesichtspunkten bereichert.

 

Kiel

Werner Schubert