Waibel, Harry, Diener vieler Herren.
Ehemalige NS-Funktionäre in der SBZ/DDR. Lang, Frankfurt am Main 2011. 390 S. Besprochen
von Gerhard Köbler.
Das Leben der meisten Menschen wird bestimmt durch viele verschiedene innere und äußere Umstände. Deswegen sind zahlreiche Entscheidungen nicht vollständig frei. Vielmehr kommt es sehr oft auch auf die Gegebenheiten an, in die man hineingeboren ist, selbst wenn fast immer auch eigene Entscheidungsmöglichkeiten mit günstigen oder ungünstigen Folgewirkungen bestehen und genutzt werden können oder könnten.
Der in Lörrach 1946 als Arbeiterkind geborene, zunächst zum Industriekaufmann ausgebildete, nach Kontakten zur außerparlamentarischen Opposition, dem gewerkschaftsgeförderten Erwerb der Reifeprüfung, dem Lehramtsstudium in Deutsch, Geschichte und Soziologie an der pädagogischen Hochschule in Freiburg im Breisgau und dem Studium von Erziehungswissenschaft, Psychologie und Soziologie an der Freien Universität Berlin 1993 mit einer Dissertation an der Technischen Universität Berlin über Rechtsextremismus in der DDR bis 1989 promovierte Verfasser arbeitet freiberuflich als Historiker und Pädagoge. Nach seinem kurzen Vorwort ergab sich aus seinen frühen Forschungsarbeiten die Einsicht in die Notwendigkeit einer historischen Untersuchung über den Verlauf und die Folgen (des widersprüchlichen Prozesses) der Entnazifizierung im Zusammenhang mit der Relevanz des „realsozialistischen“ Anti-Faschismus zwecks Verifizierung der Behauptung, dass in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik vollkommen andere Verhältnisse nach 1945 entstanden worden „wären“ als in den westlichen Besatzungszonen und in der Bundesrepublik Deutschland. Aus diesem Grund stellt er erfreulicherweise etwa 1500 berufliche und politische, Verschweigen enthüllende Kurzbiographien von Menschen zusammen, die für die Nationalsozialisten aktiv gewesen waren , nach dem zweiten Weltkrieg aber in der sowjetischen Besatzungszone bzw. der Deutschen Demokratischen Republik wirkten, ohne dass sie für strafbare Handlungen während der nationalsozialistischen Herrschaft politisch oder juristisch belangt wurden.
Erfasst sind Mediziner, Journalisten, Bewaffnete, Manager, Kulturschaffende, Wissenschaftler und Politiker. Das informative Sammelwerk beginnt mit Hermann Abendroth und endet mit Kurt Zylla. Insgesamt kann der Verfasser an Hand dieser umfangreichen Datensammlung zeigen, dass in der Wirklichkeit eine pragmatische Entnazifizierung beispielsweise allein auf Grund der Mitgliedschaft in einer Partei oder Organisation der Nationalen Front der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik erfolgte, die einmal mehr die häufige Kluft zwischen Theorie und Praxis bzw. Wahrheit und Lüge im menschlichen Leben belegt, deren sich viele häufig überall geschickt und skrupellos zum Schaden der Allgemeinheit bedienen.
Innsbruck Gerhard Köbler