Sprecher, Thomas, Literatur und Verbrechen. Kunst und Kriminalität in der europäischen Erzählprosa um 1900 (= Das Abendland. Neue Folge 36). Klostermann, Frankfurt am Main 2011). 495 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Thomas Sprecher ist Leiter des Thomas-Mann-Archivs der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Außer durch zahlreiche Editionen zu Thomas Mann seit 1988 ist er zuletzt durch eine gewichtige Bibliographie für Leser zu Literatur und Recht hervorgetreten. Eine Nebenfrucht dieser sehr verdienstvollen Bemühungen dürfte die vorliegende Untersuchung sein.

 

Nach Abkürzungen und einer mit der 1905 veröffentlichten Autobiographie des internationalen Hoteldiebs und Hochstaplers Georges Manolescu mit dem Titel ein Fürst der Diebe beginnenden Einleitung verfolgt der Verfasser die fünf Traditionslinien Lügendichtung, Schelmengeschichten, Autobiographie, Kriminalerzählungen und Detektivromane sowie literarische Darstellung von Verbrechern im 18. und 19. Jahrhundert. Anschließend wendet er sich weit zurückgreifend Kriminologie, Pathologie und Genie, Philologie sowie Psychiatrie, Anthropologie und Poetik der Täuschung zu, ehe er zur Hochstapelei im 20. Jahrhundert gelangt. Auf diesem Hintergrund wendet er sich Georges Manolescu und dessen Beurteilung durch Erich Wulffen zu.

 

Dem am in Ploiesti 1871 als Sohn eines Offiziers geborenen und am 2. Januar 1908 nach Heirat der reichen Französin Pauline Pollet (1905) mit 37 Jahren unter Hinterlassung zwölfer Anzüge, vierziger Seidenhemden, zehner Paare Lackschuhe und eines gefälschten Adelsbriefs verstorbenen Manolescu folgen als Genteleman-Verbrecher noch Karl May, Wilhelm Voigt, Harry Domela sowie Ignatz Strassnoff. Das gesamte Werk wird durch umfangreiche Literaturhinweise und ein Namensregister abgerundet. Zum Kerninhalt finden sich zahlreiche detaillierte Beobachtungen und Stellungnahmen, im Übrigen überwiegt die Kunst wohl die Kriminalität in der in eine allgemeinere tour d’horizon eingebundene europäische Erzählprosa um 1900.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler