Schnell, Felix, Räume des Schreckens. Gewalt und Gruppenmilitanz in der Ukraine 1905-1933 (= Studien zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts). Hamburger Edition, Hamburg 2012. 575 S., Abb. Besprochen von Gerhard Köbler.
Der in Delmenhorst 1970 geborene Verfasser legte nach dem Studium in Göttingen und Berlin (Freie Universität) 1996 eine Magisterarbeit über die Stadtstatuten des russischen Kaiserreiches von 1872 und 1892 vor. Als Promotionsstipendiat des Graduiertenkollegs Sozialgeschichte von Gruppen, Klassen, Schichten und Eliten in Bielefeld wurde er nach einem neunmonatigen Aufenthalt in der russländischen Föderation mit einer Dissertation über Ordnungshüter auf Abwegen? - Herrschaft und illegitime polizeiliche Gewalt in Moskau (1905-1917) promoviert. Im Januar 2011 erfolgte seine von Jörg Baberowski betreute Habilitation in Berlin (Humboldt-Universität), wo er im Sommer 2012 den Lehrstuhl für Geschichte Osteuropas vertrat.
Seine seinem jüngst verstorbenen Vater gewidmete, unter Verwendung archivalischer Quellen dicht geschriebene und durch Abbildungen veranschaulichte Habilitationsschrift ist im Wesentlichen in drei Sachkapitel geteilt. Den Beginn bildet das Laboratorim der Gewalt, das die Revolution des Jahres 1905 in den Mittelpunkt stellt und als Fallbeispiel die revolutionäre Miliz von Grišino verwendet. Die Entgrenzung der Gewalt erfolgt danach im ersten Weltkrieg und im anschließenden Bürgerkrieg, wobei Nestor Machno als Ataman mit Armee besonders hervortritt.
Nach Ende der Atamanščina in der Ukraine verfolgt der Verfasser sorgfältig und umsichtig die Staatsbildung im Gewaltraum. Militante Gruppen in lokalen Kontexten begründen das Fazit der Gruppenmilitanz während der Kollektivierung. Im Ergebnis sieht der Verfasser die Gründe der unmenschlichen Gewalt weniger in der politischen Ideologie und mehr in tatsächlichen, vom Fehlen übergeordneter Herrschaft und deshalb von der tatsächlichen Stärke einzelner Gruppen und Banden gekennzeichneten Ausnahmezuständen, wie sie das Recht eingrenzen und aufheben soll und kann.
Innsbruck Gerhard Köbler