Schlosser, Hans, Neuere europäische Rechtsgeschichte. Privat- und Strafrecht vom Mittelalter bis zur Moderne. Beck, München 2012. XXVI, 398 S. Besprochen von Gunter Wesener.

 

Im Jahre 2005 sind Hans Schlossers „Grundzüge der Neueren Privatrechtsgeschichte. Rechtsentwicklungen im europäischen Kontext“ in 10., völlig neu bearbeiteter und erweiterter Auflage erschienen (vgl. dazu G. Wesener, ZRG Germ. Abt. 124, 2007, S. 372). Die vorliegende „Neuere Europäische Rechtsgeschichte“ geht weit darüber hinaus, insbesondere durch die Einbeziehung der Geschichte des europäischen Strafrechts. Neuere Privat- und Strafrechtsgeschichte haben nun eine gemeinsame Darstellung gefunden.

 

Im strafrechtlichen Bereich werden behandelt: das gelehrte Kriminalrecht (S. 92ff.), insbesondere die Traktatliteratur sowie die Constitutio Criminalis Carolina von 1532 (S. 96ff.), ferner die naturrechtliche Strafrechtsauffassung (S. 164ff.), der Bayerische Kriminalkodex von 1751 (S. 196f.), das Bayerische Strafgesetzbuch von 1813, das materielle Strafrecht des ALR (S. 211f.) und das Allgemeine Criminalrecht für die Preußischen Staaten von 1805 (S. 212f.), der französische Code pénal von 1791 sowie von 1795 (S. 220f.), ferner der Code pénal von 1810 (S. 275f.), schließlich die österreichische Strafrechtsgesetzgebung, die Constitutio Criminalis Theresiana von 1768, die Josephina von 1787 und die Franciscana von 1803 (S. 236ff.). (Zur Geschichte des österreichischen Strafrechts vgl. H. Hoegel, Geschichte des österreichischen Strafrechts, I, 1904, II, 1905; M. Horrow, Grundriß des Österreichischen Strafrechts, I. Allgemeiner Teil, 1. Hälfte, Wien 1947, S. 13ff.; G. Kocher, Franz von Zeiller und die österreichische Strafgesetzgebung, in: J. F. Desput/G. Kocher (Hrsg.), Franz von Zeiller. Symposium der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz und der Steiermärkischen Landesbibliothek am 30. 11. 2001 aus Anlass der 250. Wiederkehr seines Geburtstages, Graz 2003, S. 9-19).

 

Den Usus modernus pandectarum behandelt der Verfasser nun unter dem Oberbegriff „Forensische Jurisprudenz in Europa“ (7. Kap. S. 129-144) und stellt ihm die italienische „Giurisprudenza pratica“ als Parallele zur Seite. Damit betont Schlosser die forensische Orientierung des Usus modernus. Zu Recht hebt er hervor, dass die Spätzeit des Usus modernus ideen- und entwicklungsgeschichtlich mit der Frühzeit des Naturrechts zusammenfällt (S. 136; vgl. dazu G. Wesener, Zur Verflechtung von Usus modernus pandectarum und Naturrechtslehre, in: H. Koziol (Hrsg.), Im Dienste der Gerechtigkeit. Festschrift für Franz Bydlinski, Wien-New York 2002, S. 473-494). Besonders deutlich zeigt sich der Übergang vom späten Usus modernus zu einer - allerdings noch in schwachem Maße - naturrechtlich geprägten Kodifikation, zum Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis von 1756 (Verfasser S. 138, 198ff.).

 

Eine höchst instruktive Darstellung findet das Naturrecht der spanischen Spätscholastik (S. 153-160).mit Francisco de Vitorio, Domingo de Soto, Luis de Molina und Vásquez Suárez.

 

Aufgezeigt wird Pufendorfs Auffassung des Naturrechts als Pflichtenlehre und Baruch de Spinozas Naturrecht nach geometrischer Methode (S. 166ff.). Als typische Repräsentanten der Vernunftrechtswissenschaft (S. 172ff.) werden Christian Thomasius und Christian Wolff gezeigt. Durch Thomasius erfolgte die Trennung des Rechts von Religion und Moraltheologie (S. 175).

 

Besonders Interesse gilt dem Vorgang der Aufklärung. Montesquieu als Wegbereiter der französischen Aufklärung und Gaetano Filangieri als „Montesquieu Italiens“ sowie Cesare Beccaria, „die Lichtgestalt der Aufklärung“ (S. 187ff.), werden hervorgehoben.

 

Das umfangreiche 10. Kapitel (S. 190-239) ist dem „Zeitalter der Kodifikationen in Europa“ gewidmet. Neben der bayerischen, preußischen und französischen Kodifikationsgeschichte findet auch die Entwicklung der Gesetzgebung in Österreich eine entsprechende Würdigung [vgl. dazu zuletzt Chr. Neschwara (Hg.), Die ältesten Quellen zur Kodifikationsgeschichte des österreichischen ABGB (= FRA III, Fontes Iuris 22), Wien-Köln-Weimar 2012]. Exegetische Schule und Pandektisierung des Zivilrechts werden maßvoll beurteilt (S. 234f.).

 

Im 11. Kapitel (S. 240-271), das „Historismus und Rechtswissenschaft“ zum Gegenstand hat, wird auf die historisch-systematische Methode eingegangen (S. 248ff.). Ziel der Historischen Schule war für Savigny die „Erneuerung des aktuellen Rechts durch das Medium des geschichtlichen römischen Rechts mit Hilfe der Rechtswissenschaft“ (S. 249). Wie schon im Humanismus sind bei Savigny die Ansätze einer Interpolationenforschung und Textkritik zu finden. Die Historische Schule ging über in die Pandektenwissenschaft, die zu einer Begriffsjurisprudenz wurde. Zutreffend spricht Schlosser (S. 251) von einem Richtungswechsel. Auf das naturrechtliche (vernunftrechtliche) Erbe der Historischen Schule haben Andreas B. Schwarz (Zur Entstehung des modernen Pandektensystems, ZRG Rom. Abt. 42, 1921, 578ff., nun bei Schwarz, Rechtsgeschichte und Gegenwart, lff.), Koschaker und Wieacker (Privatrechtsgeschichte2  372ff.) hingewiesen.

 

Sehr instruktiv ist das 12. Kapitel (S. 272-311), das die „Kodifikation des Bürgerlichen Rechts in Deutschland“ behandelt. Der Verfasser (S. 293) bezeichnet das BGB als „zum Nachlass der spätpandektistisch-positivistischen Zivilrechtswissenschaft“ gehörig. Zu Recht hervorgehoben werden das klare System. Begriffsschärfe, systematische und dogmatische Präzision. Das BGB von 1900 hielt noch fest an der Vorherrschaft des Mannes, die vor allem in der väterlichen Gewalt, im Namensrecht und Ehegüterrecht zum Ausdruck kam. Zu einer Gleichstellung führten insbesondere das Gleichberechtigungsgesetz von 1957, das Familienrechtsänderungsgesetz von 1961 und zuletzt das Familiennamensrechtsgesetz von 1993.

 

Das 13. Kapitel (S. 312-339) hat „Kontinentaleuropa der Kodifikationen“ zum Gegenstand, insbesondere das Schweizerische Privatrecht, den Codice civile italiano von 1865 sowie von 1942, das Niederländische Burgerlijk Wetboek von 1838 und das Nieuw Burgerlijk Wetboek in acht Büchern, in Kraft gesetzt in den Jahren 1970 bis 1998.

 

„England und das Common Law“ wird im 14. Kapitel (S. 340-357) erörtert, im Schlusskapitel (S. 358-378) die „Rechtswissenschaft der Moderne im 20. Jahrhundert“, darunter Gesetzes- und Rechtspositivismus, Freirechtsbewegung und Interessenjurisprudenz.

 

Das vorliegende Buch stellt eine wesentliche Bereicherung der rechtshistorischen, insbesondere geistes- und privatrechtsgeschichtlichen Literatur dar.

 

Graz                                                                           Gunter Wesener