Schierig, Tilman,
Herrschaft und Gerichtsverfassung im frühneuzeitlichen Schweden. „Wonach Du
Dich zu richten hast“ (= Rechtsgeschichtliche Studien 38). Kovač, Hamburg
2010. XXXVII, 289 S. Besprochen von Steffen Schlinker.
Die Freiburger rechtshistorische Dissertation
Tilman Schierigs thematisiert die Veränderungen in der Gerichtsverfassung und
im Herrschaftsgefüge in Schweden in der Zeit zwischen 1523 und 1615. Die Arbeit
beginnt mit einem informativen Überblick zur Quellen- und Forschungslage (S.
5-12) und wendet sich sodann in ihrem ersten Teil einer Darstellung der
spätmittelalterlichen schwedischen Gerichtsverfassung zu, wie sie sich in
Magnus Erikssons Landslag von 1350 und dem Landrecht Kristoffers von 1442 -
wohl weitgehend realitätsnah - abbildet (S. 15-65). Im zweiten Teil untersucht
der Verfasser die Veränderungen in der Gerichtsverfassung seit dem
Regierungsantritt König Gustav I. Vasa im Jahr 1523 (S. 67-154). Leitend ist
dafür die Fragestellung, ob eine aktive Rolle der Krone bei der Zentralisierung
der Gerichtsbarkeit und der Intensivierung der Zentralgewalt zu beobachten ist.
Ein dritter Teil erörtert die wenig erfolgreichen Reformversuche unter der Söhnen
Gustav I. (S. 155-195) und schließlich im vierten Teil die Neuordnung des
Gerichtsverfassung durch König Gustav II. Adolf, die zur Einrichtung des
schwedischen Hofrats (Svea Hovrätt) als Obergericht und dem Erlass der
Prozessordnungen von 1614 und 1615 führt (S. 196-221). Eine prägnante
Zusammenfassung formuliert abschließend die wesentlichen Linien (S. 223-226).
Im Anhang befindet sich dankenswerterweise eine eigene Übersetzung der
prozessrechtlichen Bestimmungen aus dem Magnus Eriksson Landslag sowie der
Prozessordnungen von 1614/1615 (S. 244-289).
Zutreffend sieht der Verfasser in der
Gerichtsbarkeit das wesentliche Element mittelalterlicher Herrschaft und in der
Kontrolle der Gerichtsbarkeit einen wichtigen Baustein für die Entstehung des
neuzeitlichen Staates (S. 1, 71). Das Interesse des Verfassers bleibt
weitgehend auf diesen Bereich konzentriert, so dass andere Aspekte im Prozess
der Staatsbildung, wie die Auswirkungen der Reformation mit der Notwendigkeit
zum Erlass von Kirchenordnungen, die Intensivierung der Gesetzgebung oder die
Steuer- und Abgabenpolitik (fodring) eher nur am Rande gestreift werden (S.
120, 134 f.).
Die Gerichtsbarkeit in Schweden lässt schon im
späten Mittelalter drei Ebenen erkennen: Auf der lokalen Ebene den Häradsting,
im Geltungsbereich eines Landrechts (der Landschaft) den Landsting mit dem
Lagsman an der Spitze (S. 53ff.) sowie die königliche Gerichtsbarkeit.
Besonders anschaulich gelingt dem Verfasser die Darstellung der lokalen
Gerichtsbarkeit des Häradsting mit dem Häradshövding an der Spitze. Vertraut
ist dem mitteleuropäischen Leser die Zuständigkeit des Häradsting für Prozesse sowie für alle
Rechtsangelegenheiten von allgemeinem Belang, von Grundstücksübertragungen und Grundstücksverpfändungen
bis hin zu Streitigkeiten über den Bau von Dämmen und Mühlen. Das Richteramt
des Häradshövding wird angesichts der Beteiligung an den Bußen sowie einer
Gerichtsabgabe als finanziell einträgliches Amt vorgestellt (S. 127). Aus der
Regierungszeit Gustav I. Vasa kann der Verfasser instruktive Beispiele für die
Herrschaftsintensivierung in Form verstärkter Kontrolle über die Rechtsprechung
nachweisen. So gelang es Gustav I. Vasa, das hergebrachte Wahlverfahren für das
Amt des Häradshövdings auszuhebeln und den Richter selbst zu bestimmen, wenn er
seine Gefolgsleute auch aus der lokalen Führungsschicht auswählte (S. 82ff., 92ff., für den hochadeligen Lagman S. 73ff.). Hinzu
trat sein Bestreben, durch Sanktionsdrohungen eine effektive Ausübung der Gerichtsbarkeit sowie die
Exekution der Urteile zu gewährleisten (S. 93ff., 139ff.).
Akribisch hat der Verfasser anhand der Register Gustav I. die Lagmänner und
Häradshövdinge, ihre Amtsdauer, ihre Verwandtschaftsverhältnisse und ihre Güter
aufgelistet (ergänzende Übersicht im Anhang: S. 228-243).
Eine vertraute Erscheinung spätmittelalterlichen
Rechtslebens ist die Unterscheidung von Richter und Urteilern: Die Ermittlung
des Sachverhalts sowie die Mitwirkung an der Vollstreckung oblag der Nämnd, die
sich aus 12 Bewohnern des Härads zusammensetzte (S. 35, 49 f.). Es liegt auf
der Hand, dass die Akzeptanz eines Urteils durch die Mitwirkung der jeweiligen
Rechtsgenossen erhöht wurde. Auf eine Übersetzung von Quellenbegriffen - wie hier der Nämnd – hat der Verfasser aus
nachvollziehbaren Gründen verzichtet (S. 13). Die Institution der Nämnd weist
durchaus Ähnlichkeit mit Urteiler-, Schöffen- oder Geschworenenversammlungen
auf. Ein Vergleich mit der englischen jury
könnte hier reizvoll sein.
Nicht immer klar lässt sich die Rolle des Vogts
aus den Quellen bestimmen. Als
Amtsträger der Krone wirkte er an der Vollstreckung von Urteilen mit und
versuchte offensichtlich, neben dem Häradshövding als Richter und
Streitschlichter aufzutreten. Vielleicht kann man hier einen Vergleich mit dem
Amtmann des deutschen Territorialherrn jener Zeit ziehen, dem es in der frühen
Neuzeit nach und nach gelang, mit seinem „Amtsgericht“ die alten Landgerichte
zu verdrängen. In Schweden stärkte jedoch der König den Häradshövding und
unterband die Rechtsprechung durch den Vogt (S. 147ff.). Der Verfasser spricht
hier überzeugend von einem System von checks
and balance(s) (S. 145), weil die Teilung in zwei einflussreiche lokale
Ämter eine Machtkonzentration in einer Hand verhinderte.
Als Form der Kontrolle über die Rechtsprechung
findet sich schon im späten Mittelalter die vad,
eine Art Beschwerde gegen das Urteil. Aus der vad resultierte ein neuer Rechtsstreit über die Frage, ob das
Urteil im Ausgangsfall dem Recht gemäß ergangen war. Der neue Prozess wurde
zwischen der Partei, welche die vad
erhoben hatte, und dem Häradshövding im Landsting geführt. Hier wäre ein
Vergleich mit der Urteilsschelte der deutschen Rechtsquellen interessant
gewesen. Die vad gegen ein Urteil des
Lagmans brachte den Streit vor den König (S. 61). Aus diesen Anfängen
entwickelte sich die vad zu einer
Appellation (S. 215 zum Jahr 1614) und
die drei Ebenen, auf denen Recht gesprochen werden konnte, zu einem
Instanzenzug. Der Verfasser kann auf gelehrte Juristen hinweisen, die an diesen
Veränderungen maßgeblich beteiligt waren (S. 100ff.,
187, 213). Sie hatten an deutschen Universitäten studiert und waren mit dem
römisch-kanonischen Prozessrecht vertraut.
Herrschte noch zur Zeit Gustav I. Vasa auch im
königlichen Gericht die traditionelle Form der Rechtsfindung durch die gerade
bei Hof anwesenden Großen vor (S. 98), richtete König Gustav II. Adolf im Jahr
1614 ein festes Hofgericht in Stockholm mit besoldeten gelehrten und adeligen
Richtern ein. Die Parallele zu den Obergerichten im Reich liegt auf der Hand.
Prozessrechtlich blieb es beim traditionell mündlichen Verfahren (S. 106),
allerdings war nunmehr eine schriftliche Klage zu erheben und ein Kalumnieneid
zu leisten (Art. 16, 24 Rättegangsprozess). Die lange Abwesenheit des Königs
mag – wie der Verfasser zu Recht vermutet - die Ausbildung eines festen
Apparats, eine Kontinuität des Personals und eine Verselbständigung der
Hofgerichts gegenüber der Person des Königs begünstigt haben (S. 219ff., 226).
Insgesamt hat der Verfasser solide Quellenarbeit
geleistet und – dank seiner Sprachkenntnisse - die schwedische Literatur
umfangreich berücksichtigt. Exemplarisch zeichnet er den Vorgang der
Verdichtung von Herrschaft im frühneuzeitlichen Schweden nach. Für eine
europäische Verfassungsgeschichte hat er
somit einen wesentlichen Baustein erarbeitet, der zu vergleichenden
Betrachtungen frühneuzeitlicher Staatsbildung vielfältige Anregungen zu geben
vermag.
Würzburg Steffen
Schlinker