„Rundfunkverbrecher“ vor dem Sondergericht Halle. Strafverfahren von
1939 bis 1945. Gedenkstätte Roter Ochse Halle (Saale)/Heinrich-Böll-Stiftung
Sachsen-Anhalt, bearb. v. Viebig, Michael u. a., Heinrich-Böll-Stiftung
Sachsen-Anhalt u. a., Halle (Saale) 2010. 80 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Kaum etwas anderes liebt der Mensch mehr als die Macht über andere Menschen. Deswegen übt er nicht nur an vielen Stellen körperliche oder seelische Gewalt gegenüber anderen aus, sondern schreibt ihnen auch sehr häufig vor, welches Verhalten sie ausführen dürfen und welches nicht. Hierzu zählt auch die deutsche Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen unmittelbar am Beginn des zweiten Weltkriegs.
In ihr gab nach dem kurzen Vorwort des schmalen Heftes, das der Herausgeber in Ermangelung eines von einem sachkundigen Rezensenten vergelich erbetenen Rezensionsexemplars der Herausgeber nach Ausleihe in wenigen Sätzen selbst anzeigen muss, der Staat vor, welche Informationen seinen Bürgern durch Rundfunk zur Verfügung gestellt werden sollten und gestaltete die eigenen Nachrichten nach seinen politischen Zielvorstellungen. Gefährlich konnte den Machthabern der Empfang fremder Nachrichten werden. Deswegen wurde das Abhören fremder Sender (etwa in Toulouse, Straßburg, London oder Moskau) ebenso unter Strafe gestellt wie die Weiterverbreitung der dadurch erlangten Kenntnisse.
Eine Gruppe weniger junger Leute interessierte sich vor wenigen Jahren besonders für die seinerzeitigen Vorgänge und wertete deswegen 113 Strafverfahren am Sondergericht Halle aus. In ihrer Studie betrachten die Studierenden und Schüler das Sondergericht, die Verordnung, die Verfahren, die Motivationen der Täter und Denunzianten, den Verbleib der Rundfunkgeräte sowie die Pressearbeit und schildern zehn Einzelfälle von Grubenarbeitern, Weinhändlern, Landwirten, Angestellten, Hebammen, Kunstmäzenen, Schauspielern und Lehrern detailliert. Im Ergebnis beschreibt die Untersuchung ein besonderes Feld von politischer Machtausübung, korrigiert die Untersuchung aber auch die Vorstellung einer fanatischen Nazianhängerschaft aller Deutschen, weil aus den Strafverfahren verbreitetes Interesse an objektiver Information ebenso ablesbar ist wie beachtliche Zivilcourage.
Innsbruck Gerhard Köbler