Reichskommissariat Ostland. Tatort und Erinnerungsobjekt. Eine Publikation des Instituts für schleswig-holsteinische Zeit- und Regionalgeschichte und des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, hg. durch Lehmann, Sebastian gemeinsam mit Bohn, Robert/Danker, Uwe (= Zeitalter der Weltkriege 8). Schöningh, Paderborn 2011. 368 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Reichskommissariat ist in der ersten Hälfte bzw. im zweiten Viertel des 20. Jahrhunderts eine mehrdeutige Bezeichnung, die zum Ausdruck bringen soll, dass ein vom Deutschen Reich bestellter Kommissar oder eine bestellte Kommission im Auftrag des Reiches einen bestimmten Bereich außerordentlich vorläufig verwalten soll. Dementsprechend gab es vom 20. Juli 1932 bis 8. Mai 1933 die Reichskommissariate Papen I, Papen II, Schleicher und Wagner als eine von der Reichsregierung eingesetzte Staatsregierung in einem Lande des Deutschen Reiches. Fortführend hierzu und zugleich inhaltlich abweichend hiervon wurden während des zweiten Weltkriegs Reichskommissariate als Amtsbereiche eines Reichskommissars als zivile Besatzungsbehörde in zuvor einer Militärverwaltung der Wehrmacht unterstellten Gebieten für Kaukasien, Moskowien, Norwegen, Ostland und Ukraine gebildet.

 

Das Reichskommissariat Ostland entstand im Baltikum (Litauen, Lettland sowie Estland) und Teilen Weißrusslands im Juni 1941 unter späterer Leitung des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete des Reichsministers Alfred Rosenberg. Politisches Ziel des dem bisherigen Gauleiter Schleswig-Holsteins (Hinrich Lohse) übertragenen Reichskommissariats war die Vernichtung der Juden unter gleichzeitiger Germanisierung möglichst großer Teile der übrigen Bevölkerung. Vor allem durch besondere Einsatzgruppen wurde in Verwirklichung dieser Zielsetzung etwa eine Million Juden getötet, bis das seit 1943 zerfallende Reichskommissariat sich mit dem Kriegsverlauf 1945 auflöste.

 

Der von Sebastian Lehmann herausgegebene und überzeugend eingeleitete Sammelband umfasst insgesamt 17 sachkundige Beiträge, die zwischen dem 28. und dem 30. Mai 2009 auf einer von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Tagung des Instituts für schleswig-holsteinische Zeit- und Regionalgeschichte an der Universität Flensburg vorgetragen wurden.. Sie betreffen den Holocaust im Baltikum, die Politik des Reichsministeriums, den Stellenwert von Terror und Mord, Ghettos in Weißruthenien, die Region Latgale, die Rekrutierung der Waffen-SS, die Landesleitung Ostland der NSDAP, die Instrumentalisierung der Prähistorie. die Sprachpolitik in Weißruthenien, Konflikte in der Besatzungsverwaltung, Täternarrationen, Schwedens Untätigkeit gegenüber den baltischen Kriegsverbrechern, die strafrechtliche Aufarbeitung in der Bundesrepublik Deutschland, den Blick der deutschen Historiografie, die Historiografie des Völkermords, die Vergangenheitsbewältigung in Litauen und den Vergangenheitsdiskurs in Estland. Dadurch wird ein vielfältiger Überblick über einen bedeutsamen Teilbereich deutscher Besatzungspolitik geschaffen, der eine bisher bestehende Lücke zumindest vorläufig schließt, bis umfassendere Darstellungen an ihre Stelle treten können.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler